Krieg oder Frieden
Dokumentarfilm | Deutschland 2024 | 89 Minuten
Regie: Elfi Mikesch
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Filmgalerie 451
- Regie
- Elfi Mikesch
- Buch
- Elfi Mikesch
- Kamera
- Elfi Mikesch
- Musik
- Mona Mur
- Schnitt
- Frank Brummundt
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 17.10.2024
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Essayistische Doku über das Städtchen Wünsdorf in Brandenburg und ein aufgelassenes Militärgelände, über dessen Zukunft intensiv diskutiert wird.
Die Spuren des Krieges finden sich noch an jeder Ecke; die neue Realität des Friedens lässt allerdings auf sich warten. In Wünsdorf, etwa eine Stunde südlich von Berlin gelegen, existierte bereits im 19. Jahrhundert ein Artillerie-Schießplatz. Später entstand in der flachen, waldigen Region eine Vielzahl militärischer Bauten. Unter anderem hatte das Oberkommando des Heeres hier ab 1938 sein Hauptquartier. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine starke sowjetische Präsenz; dabei entstand das imposante Haus der Offiziere. Kurzzeitig waren in der Gegend sogar russische Atomraketen stationiert. Wenn man die Wälder der Umgebung durchstreift, stößt man durchaus auf grasüberwucherte Panzer oder Soldatenstiefel. Lokale Museen sorgen für die Kontextualisierung.
Wie aber steht es um den Frieden, wenn unter diesem Begriff mehr verstanden wird als nur die Abwesenheit von Krieg? Dieser Frage widmet sich der Film von Elfi Mikesch. Er stellt eine Reihe von Künstlern und zivilgesellschaftlichen Akteuren vor, die sich Gedanken darüber machen, wie die Gegenwart und Zukunft von Wünsdorf gestaltet werden kann – im Sinne eines gewaltlosen Zusammenlebens und ohne die Vergangenheit als bewältigt hinter sich zu lassen.
Militärruinen als Klangräume
„Krieg oder Frieden“ ist mit diesem Anliegen unbedingt solidarisch. Er nimmt gewissermaßen selbst Anteil an jener zivilgesellschaftlichen wie ästhetischen Transformation, die sich die im Film porträtierten Menschen erhoffen. Etwa wenn die Schauspielerin Eva Mattes in Wünsdorf Texte über den Krieg liest oder die Kamera Musiker filmt, die Militärruinen als Klangräume erkunden. Elfi Mikesch hat in den 1990er-Jahren in dieser Gegend selbst eine Filmserie unter dem Titel „Gefährliche Orte“ gedreht, die ausschnittsweise auch Eingang in den Film findet: Harsch expressionistische Schwarz-weiß-Ruinenaufnahmen, die noch weitgehend im Bann des Menschenfeindlich-Militärischen stehen.
Die gegenwärtigen Bilder aus Wünsdorf wirken im Vergleich dazu deutlich ziviler und entspannter. Was in ihnen oft fehlt, sind Menschen, insbesondere junge Menschen. An Ideen, wie sich das ändern könnte, herrscht kein Mangel. Ein zentraler Bezugspunkt des Films ist der Architekt und Hochschullehrer Ekhart Hahn, der in Wünsdorf eine Stadt der Zukunft errichten will, die gleich mehrere drängende Probleme der Gegenwart auf einen Streich beseitigen würde. Seine „Eco City“, die mehreren Tausend Menschen Heimat bieten soll, ist als ökologisch weitgehend neutrale Siedlung angelegt, die ihre materiellen Bedürfnisse selbst deckt – und außerdem Kriegs- und Krisenflüchtlingen eine Heimat bietet, die hier ihren erlernten Tätigkeiten nachgehen können, anstatt berufs- und perspektivlos in Asylbewerberheimen vor sich hin zu existieren.
Der Architekt hat etwas Messianisches an sich. Wenn Hahn über sein Projekt einer Neunutzung der ehemaligen Militärgebäude spricht und das mithilfe von Bildern glücklicher Kreativer zwischen begrünten Betonpfeilern illustriert, muss man fast an den von Adam Driver gespielten Architekten Cesar Catilina in „Megalopolis“ denken, zumal Hahn seine Pläne auch noch naturphilosophisch und kulturhistorisch unterfüttert.
Ein ambivalentes Mosaik
Das aber wirft die Frage nach der Realisierbarkeit auf. Wird sich die Eco City am Ende in die mittlerweile recht lange Liste nicht realisierter Visionen für einen zivilen Aufschwung von Wünsdorf einreihen? In den 1990er-Jahren sollte hier eine Beamtenstadt entstehen; auch Eishallen und Reha-Kliniken waren im Gespräch. Momentan spricht einiges dafür, dass die Eco City eine weitere (besonders) ambitionierte Vision ohne Praxistest bleibt; die Politik lehnt das Projekt ab und durch den Verkauf einiger projektrelevanter Flächen wurden zudem Fakten geschaffen.
Ohnehin macht sich der Film, so sehr er mit Hahns Utopie auch sympathisiert, nicht mit der Diktion des Architekten gemein. Denn „Krieg oder Frieden“ entwirft keine geradlinige Erlösungsgeschichte, sondern vielmehr ein ambivalentes, reflexives Mosaik, in dem verschiedene Vergangenheiten und Zukünfte als nicht immer leicht lesbare Störsender in die Gegenwart hineinfunken. In eine Gegenwart, die ihrerseits zudem mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wieder hochgradig prekär wird. So macht sich Eva Mattes vor der Kamera Gedanken darüber, ob der kompromisslose Pazifismus, dem sie sich selbst verschreibt, in der aktuellen Weltlage noch angemessen ist.
Offen auf die Welt blicken
Für Hahn wiederum ist die Waffenproduktion die Wurzel allen Übels. Wird ein Gewehr erst einmal hergestellt, muss es irgendwann auch eingesetzt werden. Für ihn ist das Militärische einem diabolischen Kreislauf unterworfen, dem man nur entkommt, wenn man in andere, friedliche Kreisläufe investiert. Man kommt nicht umhin, dieser Argumentation angesichts der russischen Aggression eine gewisse Hilflosigkeit zu attestieren. Ein Angriffskrieg ist, gemäß der dezisionistischen Logik des Militärischen, gerade nicht Teil eines Kreislaufs, sondern ein Symmetriebruch. Das ganzheitliche Denken des Architekten stößt an machtpolitische Grenzen. Der mit offenen Augen auf die Welt blickende Film von Elfi Mikesch wird in solchen Widersprüchen jedoch nur noch relevanter.