Gangster à la Scorsese gibt es hier nicht. Keine Anzüge. Keine edlen Weine. Nix mit Pasta und Knoblauch, der in der Pfanne schmilzt. Das Verbrechen in „Shadow of Violence“ bringt nicht das große Geld. Es bedeutet harte Arbeit, deren mickriger Lohn sich wie Schmutz unter den Fingern ansammelt. Nein, dieser irische Kleinstadt-Pate hält sich wahrlich nicht lange mit Körperpflege auf. Mit beinahe verzweifelter Verachtung macht sich Onkel Paudi (Ned Dennehy) über seinen Bruder Hector (David Wilmot) lustig. Dieser sei, seit er eine Beziehung mit einer vermögenden Witwe führe, vollkommen verweichlicht, benutze nun gar einen Klipper für seine Zehennägel und dusche alle zwei Tage. Der alte Patriarch kann nicht aufhören, darüber zu lachen – immer kurz davor, in ein Schluchzen zu verfallen.
Hier ahnt jemand, dass die Welt der männlichen, ungewaschenen Ordnung ins Wanken geraten ist: Paudi ist ein angeschossener Hund, der wild um sich beißen wird. Das wissen auch Douglas (Cosmo Jarvis) und Dymphna (Barry Keoghan), die vor dem Familienoberhaupt antanzen müssen: Der alte Herr ist nicht ganz einverstanden mit der geschäftlichen Vorgehensweise der jüngeren Generation und gewillt, seine Unzufriedenheit notfalls mit der Schrotflinte zu unterstreichen.
Sehnsucht nach Halt
Die Gewalt hat zu diesem Punkt bereits ihre weitläufigen, schmerzhaften Kreise gezogen. Dabei wollte Douglas „Arm“ Armstrong nur ein gutes Leben führen und jene Anerkennung finden, die er als Kind nie erhalten hat. Der hünenhafte Mann hat das Gemüt eines einfältigen Bären, der, von der Welt überfordert, das Chaos um sich herum notfalls mit Körperkraft und Schlägen ordnet: Wenn man selbst laut genug schreit, lässt sich der Lärm um einen herum besser aushalten.
Nun hat sich Arm allerdings mit den falschen Leuten eingelassen, die seine zupackende Art für ihre Zwecke ausnutzen. Der charismatische, letztlich jedoch ebenso verlorene Dymphna (Barry Keoghan) führt ihn in den Devers-Clan ein, der mit seinen Drogengeschäften die verwahrloste irische Kleinstadt im Griff hat. Der Ex-Boxer wird zum Schläger der ziemlich verlotterten Gangster und erhält im Gegenzug das zwiespältige Versprechen auf eine Ersatz-Familie. Wenigstens den Hauch von Zugehörigkeit darf Arm erfahren. Diese hat allerdings ihren Preis.
Nur ist es mit der eigenen Familie ebenso schwierig. Douglas’ Sohn ist Autist. Von der Mutter seines Kindes lebt er nicht zuletzt aufgrund der Geschäfte mit den Devers getrennt. Ursula (Niamh Algar) will den Ort verlassen, die Küste hinter sich lassen. Anderswo gäbe es bessere Schulen für Jack (Kiljan Moroney) und die Hoffnung auf ein Leben ohne das Elend der westirischen Provinz. Dymphnas Einfluss auf Douglas ist jedoch mächtig, durchzogen von gewalttätiger Maskulinität, die jeden Hauch Verletzlichkeit und Reflexion mit Kokain betäubt. Als Arm für die Devers einen Mord begehen soll, eskaliert die Situation. Weil er eine solche Tat nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, muss er einen Ausweg aus der darwinistischen Logik seiner Wahlfamilie finden. Der Plan scheint aufzugehen, bis schließlich Onkel Paudi zum Rapport bittet.
Vom Weg der Gewalt
Es ist wohl der zunehmenden Bekanntheit von Barry Keoghan zu verdanken, dass dieses kleine irische Filmjuwel fünf Jahre nach seinem Kinostart nun auch in Deutschland veröffentlicht wird. Dabei ist es gar nicht der „Saltburn“-Star, der hier den größten Eindruck hinterlässt: Cosmo Jarvis ist die absolute Entdeckung dieses Films. Wie es dem Musiker und Schauspieler, der vor „Shadow of Violence“ eher in kleinen Nebenrollen zu sehen war, gelingt, der rohen und schweigsamen Körperlichkeit seiner Figur eine kindliche Verletzlichkeit zu geben, die sich förmlich in den Falten der Muskelberge zusammenkauert, ist von berührender Dringlichkeit.
Das auf der Kurzgeschichte „Ruhig mit den Pferden“ des irischen Schriftstellers Colin Barrett basierende Debüt von Regisseur Nick Rowland ist, anders als das martialische Cover der deutschen Veröffentlichung suggeriert, ein stiller Film, der sich mit poetischer Zärtlichkeit auf die Dynamik zwischen Arm, Dymphna und Ursula konzentriert: Der teilnahmslose Gesichtsausdruck von Cosmo Jarvis erzählt wortkarg und dennoch beredt vom orientierungslosen Zweifel eines im Körper eines Mannes gefangenen Kindes.
Die Atmosphäre ist indessen von einer angestauten Wut durchzogen, die jedem Moment dieser beinahe archaischen und letztlich altbekannten Geschichte des Außenseiters, der sich der Gewalt nicht mehr entziehen kann, eine flirrende Spannung verleiht. In seiner moralischen Intensität erinnert dies an Jane Campions Serie „Top of the Lake“. Ebenso drängen sich Vergleiche zu Nora Fingscheidts „Systemsprenger“ auf. Dieser mag zwar nicht im kriminellen Milieu angesiedelt sein, teilt mit „Shadow of Violence“ jedoch den schonungslosen Realismus und den präzisen Blick auf ein Milieu. Ebenso steht die Suche nach Zugehörigkeit und familiärer Wärme im Zentrum der Geschichte.
„Shadow of Violence“ geht dabei richtig ans Herz. Trotz seiner Traurigkeit strahlt dieser kleine Film eine schmutzig-ehrliche Wärme aus. So harsch und desillusionierend die Welt von Arm auch sein mag, man folgt der Geschichte dieses Mannes mit aufrichtiger Anteilnahme und wünscht sich, alle Figuren mögen ein gutes Ende finden. Nur hat da Onkel Paudi noch ein Wörtchen mitzureden.