Drama | USA 2024 | 368 (sieben Folgen) Minuten

Regie: Alma Har'el

In Baltimore wird in den 1960er-Jahren ein kleines Mädchen ermordet. Der Mordfall führt zwei Frauen zusammen, eine Jüdin und eine Afroamerikanerin, die ansonsten keine Berührungspunkte zu haben scheinen. Die ästhetisch wie erzählerisch brillante Serie entwickelt sich als gesellschaftspolitisch aufgeladener Thriller, in dem reales Geschehen und Träume zu einem assoziationsreichen, visuell suggestiven Geflecht zusammenfinden. Herausragend besetzt und mit großer aktueller Brisanz, kreist die Serie darum, wie die Vergangenheit Menschen privat wie gesellschaftlich bis in die Gegenwart verfolgen kann. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LADY IN THE LAKE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Bad Wolf America/Crazyrose/Fifth Season/Zusa
Regie
Alma Har'el
Buch
Alma Har'el · Briana Belser · Nambi E. Kelley · Boaz Yakin · Sheila Wilson
Kamera
Lachlan Milne
Musik
Marcus Norris
Schnitt
Yael Hersonski · Dominic LaPerriere
Darsteller
Natalie Portman (Maddie Schwartz) · Moses Ingram (Cleo Sherwood) · Y'lan Noel (Ferdie Platt) · Byron Bowers (Slappy Dark Johnson) · Mikey Madison (Judith Weinstein)
Länge
368 (sieben Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung | Serie | Thriller
Externe Links
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Miniserie um zwei Frauen, eine Jüdin und eine Afroamerikanerin, deren Schicksale sich während der 1960er-Jahre in Baltimore kreuzen.

Diskussion

Es gibt allzu viele Serien, deren Existenz auf unüberschaubar vielen Streaming-Plattformen mehr oder minder überflüssig ist. Viele Produktionen sind einfach dramaturgisch überdehnte, verkappte Spielfilme, deren Handlung sich auf 90 oder 120 Minuten pointierter erzählen ließe; andere kranken an einer uninspirierten Plotfixierung, die wenig Wert auf zwingende Charakterentwicklung oder schlüssige Inszenierung legt. Die Serienhighlights, die es durchaus gibt, drohen in der hohen Produktionsdichte unterzugehen. Man kann nur hoffen, dass dem neuen Werk von Produzentin und Regisseurin Alma Ha’rel dieses Schicksal erspart bleibt: Ihre historische Thrillerserie „Lady in the Lake“ verdient größtmögliche Resonanz. Denn sie lässt nicht nur die beiden Hauptdarstellerinnen Natalie Portman – ihr Fernsehdebüt abseits der großen Leinwand – und Moses Ingram glänzen, sondern demonstriert mit scheinbar leichter Hand, welche ästhetischen wie erzählerischen Möglichkeiten das serielle Erzählen bietet, wenn man der epischen Form nur ernsthaft begegnet und ihre Potenziale zu nutzen weiß.

Politische Unruhen in Baltimore

Die Handlung vollzieht sich größtenteils während der 1960er-Jahre in der US-Großstadt Baltimore – in einer Midcentury-Ära, die geprägt ist von politischen Unruhen, den „Race Riots“, bei denen Schwarze gegen Diskriminierung und immer noch rigide Rassengesetzgebung aufbegehren, sowie von den Folgen der Migrationsbewegung während und nach dem Zweiten Weltkrieg, bei der zahlreiche jüdische Flüchtlinge in den USA eine neue Heimat fanden. „Lady in the Lake“ führt aus, wie die Diskriminierung verschiedener Bevölkerungsgruppen Schnittmengen aufweist und dennoch zwischen den Gruppen auf gewisse Weise ein Konkurrenzverhältnis besteht. Deutlich werden Konfliktlinien, die bis in unsere heutige Zeit reichen. Etwa bei der Frage, ob Jüdinnen und Juden zur weißen Mehrheitsgesellschaft gezählt werden und was es überhaupt bedeutet, „weiß“ zu sein. Aus Perspektive der Afroamerikaner zeigt Alma Ha’rels vielschichtiges, elegantes Drama zudem, wie tief Verletzungen und Schmerz innerhalb der Community reichen und wie sie sich in US-Städten wie Baltimore tief ins Stadtbewusstsein eingegraben haben.

Es beginnt alles mit dem Mordfall an einem kleinen Mädchen in einer überwiegend jüdischen Nachbarschaft. Maddie Schwartz (Natalie Portman) findet die Leiche des Kindes, das ihr zu Lebzeiten bekannt war, an einem abgelegenen Ort, einem Seeufer. Als Mordverdächtigen präsentieren die Behörden einen jungen geistig behinderten Mann (Dylan Arnold), der als Verkäufer in einem Laden arbeitet, den das Mädchen vor seinem Verschwinden betrat. Maddies Kenntnis des Fundorts wirft allerdings Fragen auf. Und es bleibt nicht bei diesem einen Mal. Am Ufer des Sees wird im Laufe der Handlung eine weitere Leiche gefunden. Auch diese Tote war Maddie bekannt, die danach trachtet, aus ihrem einengenden Eheleben mit ihrem Mann (Brett Gelman) auszubrechen und ihr eigentliches Berufsziel als Journalistin zu verfolgen. „Jedes Mal, wenn jemand tot in diesem See auftaucht, führt die Spur zu Ihnen“, heißt es an einer Stelle der siebenteiligen Erzählung.

Eine nächtliche Übergabe eskaliert

Parallel entwickelt die Serie den Handlungsstrang der zweiten Protagonistin Cleo Johnson (Moses Ingram). Die afroamerikanische Frau führt ein Leben der materiellen Entbehrung. Um ihre Familie über die Runden zu bringen, lässt sie sich auf einen Deal mit einem im Viertel und über seine Grenzen hinaus bekannten Gangster ein, Kingpin Shell Gordon (Wood Harris). Als eine nächtliche Übergabe, an der Cleo beteiligt ist, eskaliert und Schüsse fallen, droht das Leben der jungen Frau vollends auseinanderzubrechen. Eine fast schon nebensächliche Fügung führt dazu, dass sich die Pfade der beiden Frauen, Maddie und Cleo, überschneiden.

Der fordernde, komplexe Plot und seine zahlreichen Handlungsebenen und Figuren sind kein Selbstzweck, sondern schaffen eine vielschichtige Erzählung, deren größter Vorzug ihre prägnante visuelle Gestaltung ist. Alma Ha’rel („Honey Boy“) hat „Lady in the Lake“ nicht nur erdacht und konzipiert, sondern fungiert gleichzeitig als Showrunnerin und Regisseurin der sieben knapp einstündigen Episoden – die Israelin erweist sich hier als Autorenfilmerin par excellence. Die Literaturadaption von Laura Lippman erschöpft sich nicht im Abfilmen eines Thrillerplots, sondern setzt Akzente mit der assoziationsreichen Inszenierung von Träumen der Protagonistin Maddie, die gleichermaßen einem Geheimnis wie einem neuen Leben auf der Spur ist. Der Ausbruch aus den beengenden Umständen ihrer Ehe samt gemeinsamem Sohn (Noah Jupe) führt sie als in Trennung lebende Frau in eine heruntergekommene Wohnung einer schwarzen Nachbarschaft, wo sie die Begegnung mit dem ersten schwarzen Detective der Stadt macht, Y’lan Noel in der Paraderolle des Polizisten Ferdie Platt. Die Begegnung der beiden, der Jüdin und des afroamerikanischen Manns, und eine sich daraus entwickelnde, intensive Liebesbeziehung sind berührend und tottraurig zugleich.

Unheil kündigt sich in Albträumen an

„Lady in the Lake“ ist bis in die kleinste Nebenrolle hinein brillant besetzt. Das Unheil, das sich in Maddies Albträumen ankündigt, scheint auf unheimliche Weise seine Entsprechung in der Wirklichkeit zu finden. Bei einigen der von der Regisseurin kongenial heraufbeschworenen Bilder (Kamera: Lachlan Milne) verschwimmt die Trennlinie beider Erfahrungswelten. Ha’rels dramaturgisches Geschick offenbart sich darin, wie die Erzählung Stück für Stück ihre Geheimnisse preisgibt, und darin, dass bestimmte frühe Entwicklungen erst im Laufe späterer Episoden ihre eigentliche Bedeutung preisgeben.

„Lady in the Lake“ führt vor, wie die Vergangenheit privat wie gesellschaftlich bis in die Gegenwart hineinreichen, mitunter heimsuchen kann. Totgeglaubte Übel wie Rassismus und Antisemitismus zeigen sich so virulent wie eh und je. Der Name Alma Ha’rel wird in Hollywood nach dieser Serie kein Geheimtipp mehr sein.

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