Eine gute Mutter (2021)
Drama | Frankreich 2021 | 99 Minuten
Regie: Hafsia Herzi
Filmdaten
- Originaltitel
- BONNE MÈRE
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2021
- Produktionsfirma
- SBS Prod./Arte France Cinéma
- Regie
- Hafsia Herzi
- Buch
- Hafsia Herzi
- Kamera
- Jérémie Attard
- Musik
- Rémi Durel
- Schnitt
- Eric Armbruster · Camille Toubkis
- Darsteller
- Halima Benhamed (Nora) · Sabrina Benhamed (Sabah) · Jawed Hannachi Herzi (Jawed) · Mourad Tahar Boussatha (Ellyes) · Malik Bouchenaf (Amir)
- Länge
- 99 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Drama über eine alleinstehende Mutter nordafrikanischer Abstammung, die sich in einer Brennpunkt-Banlieue im Norden Marseilles beruflich und privat aufreibt, um ihre Familie zusammenzuhalten.
Was macht eine gute Mutter aus? Soll sie sich um die Familie kümmern und zu Hause bleiben oder sich im Beruf selbst verwirklichen? Mütter unterliegen viel mehr als Väter moralischen Beurteilungen und müssen es allen recht machen. Doch eine Mutter wie Nora, um die 50 und alleinerziehend, hat nicht die Wahl. Sie muss arbeiten gehen und sich um die Familie kümmern, weil es sonst niemand tut. Im Drama „Eine gute Mutter“ von Hafsia Herzi lastet die gesamte Verantwortung, die verschiedenen Mitglieder ihrer Familie irgendwie zusammenzuhalten, auf ihren ziemlich müden Schultern. Schon im Morgengrauen steht die stets etwas melancholisch wirkende Frau mit den zum Pferdeschwanz gebundenen grauen Haaren auf. Dann macht sie sich mit dem Bus auf zum Flughafen. Erst geht es durch einen Metalldetektor, dann schuften Nora und ihre Kolleg:innnen als Putzkolonne in Flugzeugen. Achtlos weggeworfene Verpackungen müssen entsorgt, Sitze und Gänge gesäubert und alles so hergerichtet werden, dass die Passagiere den Flieger startklar vorfinden.
Gelegentlich platzt ihr der Kragen
Danach geht es für Nora zu ihrem eigentlichen Job als Haushaltshilfe für eine alte Dame, Viviane. Nora kocht für sie, pflegt sie und unterhält sie, bevor sie ihren Teenager-Enkel von der Ganztagsschule abholt. Zu Hause kümmert sie sich auch um ihre kleine Enkelin, ermahnt die untätige Tochter, den faulen Sohn und kocht für alle. Der älteste Sohn Ellyes sitzt nach dem Überfall auf eine Tankstelle im Gefängnis. Ihn besucht Nora an Wochenenden. Doch während sie nach außen hin meist alles mit einem Lächeln erträgt, platzt ihr gelegentlich auch der Kragen. Denn statt der wohlverdienten Ruhe in ihrer Wohnung muss sie dort die Streitigkeiten zwischen ihren Kindern ertragen oder schlichten. Sie selbst gönnt sich kaum etwas, und auch auf das mühsam ersparte neue Gebiss muss sie verzichten. Das Geld dafür wird von den Kosten für die Anwältin von Ellyes verschlungen.
Wenn Nora schließlich auch ihren Schmuck verkauft, um alle Honorare für die Juristin stemmen zu können, scheint das Maß der Selbstaufopferung endgültig überschritten zu sein. Dann steht der Film kurz davor, in ein Elendsdrama umzukippen. Dass er es doch nicht tut, ist der undramatischen Erzählweise von Regisseurin Hafsia Herzi zu verdanken. Die 1987 geborene Schauspielerin legt mit „Eine gute Mutter“ ihren zweiten Film als Regisseurin vor, und man merkt ihr die Expertise zu ihrem Sujet an. Die Dreharbeiten fanden in Les Oliviers, der laut Herzi „gefährlichsten Vorstadt Europas“ im Norden Marseilles statt. Dort wuchs die Regisseurin selbst auf, bevor sie eine künstlerische Karriere einschlug. In einem Interview schilderte sie, dass die Lebensbedingungen sich im Laufe der Jahre dort immer weiter verschlechtert hätten.
In der Cité herrschen eigene Regeln
Herzis Beobachtungen des Familienkosmos, aber auch des Lebens innerhalb der sogenannten Cité, der trostlosen Neubausiedlung außerhalb des Zentrums, vermeiden Klischees oder Zuspitzungen, auf die Außenstehende womöglich gesetzt hätten. Der Film beschönigt nichts, doch es gibt keine explizite Gewalt oder dramatische Todesfälle. Herzi, die auch das Drehbuch des Films schrieb, reicht es, eine heruntergekommene Straße zu zeigen oder einen Drogenumschlagplatz innerhalb eines leerstehenden Hauses, ohne dabei krampfhaft Spannung zu beschwören. In der Cité herrschen eigene Regeln. Der reiferen Nora wird Respekt entgegengebracht, selbst von den Drogendealern. Doch die jungen Protagonistinnen dürfen sich mitunter frauenfeindliche Kommentare von jungen Männern aus Einwandererfamilien anhören. Auch die Laiendarsteller:innen verkörpern ihre Rollen sehr glaubhaft.
Während Nora mit ihrer Integrität und Ehrlichkeit wie eine gütige Mutter Courage der Marseiller Vorstadt agiert, bekommt sie auch einiges an Liebe und Wertschätzung von ihren Mitmenschen zurück. Die Szenen, in denen Nora mit ihren Kolleg:innen zusammen isst, sind fast dokumentarisch inszeniert und erinnern ein wenig an Szenen aus dem Klassiker „Couscous mit Fisch“, in dem Herzi 2007 selbst als noch sehr junge Schauspielerin ihr Kinodebüt gab. Hier – wie auch in den Familienszenen – scheint auch immer ein subtiler Humor durch: Eine Putzfrau ist begeisterte „Dallas“-Guckerin, sehr zum Ärger ihres Kollegen. Amir, der dicke, unfähige Sohn Noras, inszeniert sich dagegen als großen Frauenhelden, während Noras noch sehr junger Enkel es tatsächlich ist. Gefühlt jede Woche hat er eine neue Freundin.
Zudem beschreibt der Film, dessen musikalischer Score sich auf einige melancholische Gitarren- und Streicherthemen beschränkt, ebenso beiläufig ein friedliches Zusammenleben von Mitgliedern verschiedener Gemeinschaften: Nora arbeitet mit Personen afrikanischer oder italienischer Herkunft zusammen und versteht sich auch gut mit ihrem jüdischen Zahnarzt.
Nicht nur Nora dreht jeden Euro zweimal um
Dennoch bleibt der Film realistisch, was die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten seiner Protagonist:innen betrifft. Nicht nur Nora dreht jeden Euro zweimal um. Auch die junge Generation fasst beruflich nicht Fuß. Die jungen Frauen reiben sich in schlechtbezahlten unqualifizierten Jobs auf oder versuchen sich vergeblich an einem Zuverdienst als Dominas bei reichen Franzosen. Die jungen Männer wiederum faulenzen, zocken stattdessen oder rutschen in die Kleinkriminalität ab. Wenigstens lässt sich die Jugend ihre Hoffnungen nicht gänzlich nehmen. Alle träumen von Konsum, Wohlstand und dem damit verbundenen Ausbruch aus der eintönigen Cité.