Thelma, das Einhorn
Abenteuer | Kanada/USA 2024 | 93 Minuten
Regie: Jared Hess
Filmdaten
- Originaltitel
- THELMA THE UNICORN
- Produktionsland
- Kanada/USA
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Netflix Animation/Scholastic Ent.
- Regie
- Jared Hess · Lynn Wang
- Buch
- Jared Hess · Jerusha Hess
- Musik
- John Powell
- Schnitt
- Edie Ichioka
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 8.
- Genre
- Abenteuer | Animation | Jugendfilm | Kinderfilm | Komödie
- Externe Links
- IMDb | JustWatch
Ein Animationsverfilmung der beliebten Kinderbuch-Vorlage: Ein Pony träumt vom großen Erfolg mit der Musik – und feiert seinen Durchbruch erst in Einhorn-Verkleidung.
Soziale Netzwerke, insbesondere die visuellen wie YouTube, Instagram und TikTok, haben nicht nur unsere Kommunikation, sondern auch die gesamte Medienökonomie radikal verändert. Alles ist schneller, schriller, Hype-anfälliger geworden; junge Stars strahlen hell wie eine Supernova und können genauso schnell wieder verschwinden. Vom Versprechen der Anfangsjahre, dass alles dort völlig authentisch sei, ist kaum noch etwas übrig. Erfolgreich ist in den seltensten Fällen nicht, wer „einfach er selbst“ ist, sondern wer gekonnt so tut, als ob, aber eigentlich am krassesten, lautesten, schillerndsten ist.
Im Zuge des Selbstoptimierungsdrucks, der durch die Dauerbeschäftigung mit Sozialen Medien und das Jagen nach „Likes“ und Followern entsteht, scheint die Botschaft „Bleib dir selbst treu“ oder „Verbiege dich nicht für andere“ in Kinder- und Jugendfilmen der jüngeren Vergangenheit zunehmend Bedeutung bekommen zu haben. Vor allem das Animationskino hat sie zuletzt vermehrt aufgegriffen: Pixars „Luca“ (2021) und „Rot“ (2022), „Nimona“ (2023) bei Netflix sowie „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ (2023) sind nur ein paar Beispiele. Der neueste Vertreter dieser Botschaft ist nun „Thelma das Einhorn“.
Social-Media-Mechanismen werden gekonnt aufgespießt
Titelheldin Thelma ist allerdings tatsächlich kein Einhorn, sondern ein normales Pony. Eines, das auf einer kleinen Farm Mistkarren zieht und einen großen Traum hat: zusammen mit seinen zwei Freunden, den Eseln Otis und Reggie, als Band durchzustarten. Nur nimmt sie niemand ernst, bei einem Talentwettbewerb werden sie schon von der Bühne gepfiffen, noch bevor der erste Akkord gespielt ist. Thelma habe einfach nicht das gewisse Etwas, sei nur ein „langweiliges Bauernhof-Pony“. Eine Möhre auf dem Kopf und ein unfreiwilliges Bad in Farbe später erstrahlt Thelma jedoch als pink glitzerndes Einhorn – und auf einmal interessieren sich alle für sie und ihre Musik. Darunter auch der schmierige Musikproduzent Vic Diamond, dem es in Windeseile gelingt, Thelma nach seinen Vorstellungen zu verbiegen.
Man sollte sich von der knallbunten Aufmachung keinesfalls täuschen lassen: „Thelma das Einhorn“ ist zwar kein subtiler Film (aber welcher, der primär eine kindliche Zielgruppe anvisiert, ist das schon?), in seiner Entlarvung von Social-Media-Mechanismen und -Hypes sowie der modernen Musikindustrie aber erstaunlich scharf und präzise. Direkt nach Thelmas Vertragsunterzeichnung ist schon ihr erstes Parfüm auf dem Markt, die Songtexte schreibt nun eine KI, eine Kooperation mit einem fragwürdigen Content-Creator (ein Pferd, das in Videos sein Essen hochwürgt und damit Millionen Klicks sammelt) soll den Erfolg befeuern. „Die Wahrheit ist der Tod des Erfolgs“ lautet Vic Diamonds Philosophie.
Parodistische Qualitäten
Erzählt wird letztlich eine Geschichte darüber, wie sehr Ruhm korrumpieren kann: Unter dem Streben nach Anerkennung leidet nicht nur Thelmas Musik – aus dem anfangs noch handgemachtem Pop-Rock wird schnell generischer Plastik-Pop-Rap –, sondern auch ihre Freundschaften. Und natürlich droht diese Fassade jederzeit aufzufliegen, vor allem durch die Bemühungen des abgesägten Ex-Stars Nikki Narwhal, die ihre Chance auf ein Comeback nur im Untergang Thelmas sieht. Die Toxizität des Internets hat viele Facetten, und „Thelma das Einhorn“ greift eine ganze Reihe davon auf. Die Inszenierung, die mit ihren schnellen Schnitten, grellen Farben und lautstarken, ulkig-flachen Slapstick-Momenten die typischen Merkmale von YouTube- und TikTok-Videos aufgreift, passt nicht nur zum Thema, sondern beweist in gewisser Weise sogar parodistische Qualitäten.
Fünf Jahre sind vergangen, seit Netflix die Filmrechte an der Buchvorlage von Aaron Blabey erlangt hat, und auch wenn die doch eher minimalistische Werbekampagne davon zeugt, dass der Streaming-Anbieter wenig Vertrauen in den Film des Regieduos Jared Hess („Napoleon Dynamite“) und Lynn Wang zu haben scheint: „Thelma das Einhorn“ ist eine echte Animationsüberraschung, wenn man denn hinter seine bunte Fassade zu blicken vermag. Und genau darum geht es hier ja schließlich!