Direct Action

Romain Antony | 22.11.2024

Als letzten Film hatten wir "Direkt Action" auf unsere Auswahlliste und waren bereit den 213 Minuten langen Film, beginnend um 22:15 Uhr anzusehen. Gleich gesagt, wir haben nur die Hälfte geschafft, das lag an uns, nicht am Film. Die Augen fielen zu, die Aufmerksamkeit nahm ab, die Unruhe zu. Der Gedanke, das Filmende im Streamingangebot anzusehen, bestärkte unsere Entscheidung zum Aufbrechen. Leider stellte sich später für uns heraus, dass der Film nicht streambar war. Es war eine Fehlentscheidung, das Kino frühzeitig - spätzeitig - zu verlassen, die wir im Nachgang sehr bedauerten. Der Film beschreibt eine französische Lebensgemeinschaft von Aktivisten im Gebiet der Loire in Notre Dame des Landes, im ländlichen Westen Frankreichs und den Widerstand der dortigen Bevölkerung und zahlreicher AktivistInnen gegen den Ausbau eines Großflughafes, das Aéroport du Grand Ouest sollte es werden (veranschlagt mit 580 Millionen Euro - dabei wäre es sicher nicht geblieben, cf. Stuttgart 21). Die aktivistische Gegenwehr hat das Projekt verhindert, 2018 wurde es von der Agenda genommen. Doch der Kampf musste weitergehen. Die Widerstandgruppe "Le Soulèvement de la terre", die ebenfalls aus dem ZAD-Kollektiv (Zône à défendre - zu verteidigende Zone) enstanden ist, musste sich gegen die Privatisierung der Wasserquellen wehren. Es ist empörend, dass Wasser, was allen gehören sollte, zum Vermarktungsartikel verkommt und dass es VolksvertreterInnen gestattet ist, darüber zu befinden (sehr lesenswert zum Thema das Buch von Dieter Gerten: Wasser - Knappheit, Klimawandel, Welternährung. Beck Vlg. Nördlingen 2018 und sehenswert der Dokumentarfilm "Bottled Life - Nestlés Geschäfte mit dem Wasser" (2012) von Urs Schnell und der Doku-Film "Water Makes Money" (2010) von Leslie Franke und Herdolor Lorenz) Der erste Filmteil über die Arbeits- und Wohngemeinschaft beginnt mit einer Einstellungssicht auf einen Holzturm, die gefühlt sehr lange dauerte. Wolken zogen vorbei, ich machte mir Gedanken über Cumulus, Cirrus, Stratus, Wolkenvorbeiziehtempos, und das Empire State Building-Film von Andy Warhol kam mir in den Sinn, wie es eben so passiert, wenn Assoziationen den visuellen Hospitalismus füllen. Doch dann schließlich wechselte die Einstellung auf eine junge Aktivistin, die einen Vortrag hält über die Befragungsmethoden der Polizei. Man hat den Eindruck die Vortragende instruiere eine Gruppe von GenossInnen, AktivistInnen, damit diese bei einer Festnahme besser in Verhören gewappnet sind, doch der Vortrag galt einer im Modder liegenden dicken Sau mit gespitzten Ohren, die anschließend gekrault und gestreichelt wurde. Eine andere Assoziation taucht auf: pigs, Bullen, Schweine. Trotz Polizeigewalt, trotz aktivistischer Flic-Feindseligkeiten, trotz rassistischer Auswüchsen (cf. Filmbesprechung Donnerstag "hold on to her"), sehe ich in der Polizei immer noch und weiterhin einen Freund und einen Helfer und einen zu unterstützenden Garanten unserer Sicherheit. Satt auf die PolizistInnen zu prügeln sollte sich der Zorn gegen die politischen Entscheider in den Innenministerien richten. Die Verhörtechnik, die von der Vortragenden beschrieben, den Menschen nahe liegende Ja-Sage-Tendenz, kennt man aus der Verkaufs- und Werbepsychologie. Durch eine Reihe von Fragen, durch die man Ja-Antworten erhält verführt man die/den Verhörte/n zu weiteren Eingeständnissen. Die Methode der sables mouvants, des sich bewegenden Sandes, der einen wie beim Morastloch im Sumpf, bei jeder Bewegung tiefer ins Loch zieht, zielt darauf ab, die Verhörten, die ZeugInnen als Lügende darzustellen und ihre Glaubwürdigkeit vor Gericht , z.B. als Zeugen von Polizeigewalt zu erschüttern. Es werden immer wieder dieselben Fragen gestellt, die Geschichte soll immer detaillierter und öfter erzählt werden bis sich Widersprüche, Erinnerungslücken, erzählte Veränderungen auftun, die dann als Hinweis für die Unwahrhaftigkeit der Aussagen bezeichnet werden. Es folgen weitere bebilderte Themen in Einstellungen mit statischer Kamera: das Sägen von Holzblöcken zu Brettern mittels einer automatisierten Sägeeinrichtung der Gemeinschaft, das Spalten von Baumstämmen mit einer besonderen Spaltmaschine bei der man als Zuschauende/r angespannt bist, ob das alles lange gut und unfallfrei von statten gehen kann, ein gezäumtes Pferd. Später sieht man das Pferd, das Fregatte heißt, in seiner Funktion als Zugpferd vor einem Pflug, der eingerammt in die Erde, die Furchen zieht und das Erdreich aufwühlt. Die Tätigkeit des Einsammelns von kleinen Kartoffelkäfern in eine Plastikschüssl und das Umkippen in eine andere bleibt in ihrem Zweck etwas rätselhaft. Zwei weitere Tableaus (so bezeichnet Dunja Bialas die verschiedenen Episoden in ihrer bemerkenswerten Filmkritik "41 Shots", erschienen in "Arteschock special" zur Berlinale 2024, Link weiter unten) sind ein Kindergeburtstag mit gutgelaunten Kindern die draußen um einen gedeckten Geburtstagstisch sitzen und der Kamerablick in eine Schmiede. Wir sehen mit optischem Genuss wie über einen längeren Zeitraum zwei Hände Wasser und Mehl miteinander vermengen und zu einem Teig kneten, erleben mitfühlend die Klebrigkeit an Händen, die Vermehlung der Masse von den Rändern des Bottichs aus und sehen wie fast über 20 Minuten Teige zusammen gefaltet, geknetet, geschlagen, gefaustet werden und schlussendlich mit einem Schaber in Brotmengen aufgeteilt wird. Wir hätten auch gerne das fertig gebackene Brot sehen wollen, aber die nächste Einstellung beschäftigte sich mit einer Kuh und ihrem Kälbchen. Die Kamera betrachtet wie eine Mutterkuh und ihr Kälbchen von zwei Personen über einen Waldweg zur Weide geführt, bzw. was das Kälbchen angeht, geschoben wird, um dann in einer nächsten Einstellung wieder zum Turm zurückzukehren. Ein dort oben stehender Mann lässt seine Drohne über die Umgebung fliegen, über die Wolken, über die Wiesen, über Hecken, Höfe, Häuser, Waldstücke. Der Text Intermission wird angezeigt, dazu ein herbstlicher Waldweg im prasselnden Regen, an dessen Rand zwei kaputte, zerbeulte, verrostete Autowracks liegen. Wir denken, dass die angezeigte Pause, wohl so bemessen sein wird, dass alle neue frische Getränke geholt und ihren Klo-Gang erledigt haben und brechen ab, wie bereits oben erwähnt... Dieser eher poetische erste Teil lässt wenig Hinweise zu auf die politische Aktivitäten der über 150 köpfigen alternativen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, deren AktivistInnen sich mit den Bewohnern der Region erfolgreich gegen die seit 2000 geplante Implantierung eines Großflughafens gewehrt haben. Um das Projekt durchzusetzen, welches weitreichende Landschaftszerstörung und enorme Zubetonierung mit sich gebracht hätten, fuhr die Regierung in Paris große Geschütze auf, mit gewaltsamen polizeilichen Räumungsaktionen, Schikanen, Anklagen und Anzeigen. Um das Ausmaß zu beschreiben. Manche Kundgebungen brachten über 40.000 Menschen aus der ganzen Welt zusammen. 2500 Polizisten schossen 11.000 Projektile auf 700 Demonstrierende. Die Regisseure sehen sich in der Linie und sind beeinflusst von den RegisseurKollegInnen: Chantal Akerman, James Benning, Kevin Everson, Sharon Lockhart, Ulrike Ottinger und Frederick Wiseman. cf. auch den Filmblog unter: www.filmekommentieremn.wordpress.com klicken.lesen.abonnieren.