Orion und das Dunkel
Animation | USA 2024 | 90 Minuten
Regie: Sean Charmatz
Filmdaten
- Originaltitel
- ORION AND THE DARK
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- DreamWorks Anim./Mikros Anim.
- Regie
- Sean Charmatz
- Buch
- Charlie Kaufman
- Musik
- Kevin Lax · Robert Lydecker
- Schnitt
- Kevin Sukho Lee
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 10.
- Genre
- Animation | Familienfilm | Komödie | Mystery
- Externe Links
- IMDb | JustWatch
Ein Animationsfilm über einen Grundschüler, der sich vor der Dunkelheit fürchtet. Doch dann stattet ihm das Dunkel einen Besuch ab und nimmt ihn mit auf eine abenteuerliche Reise.
Die Dunkelheit ist mehr als die Abwesenheit von Licht. Sie ist mehr als ein Schatten, mehr als ein Fleck, mehr als ein großes Nichts. Sie hat zwei Augen, einen großen Mund, einen rundlichen Körper, trägt einen schwarzen Mantel mit Kapuze, der zum Rand hin ausfranst und mit der Umgebung verschmilzt. Die Dunkelheit ist, so zeigt es dieser Animationsfilm, eine Person: Sie ist das Dunkel. Und auch das Dunkel lebt nicht sorgenfrei. Es wird gehasst, gefürchtet, hat keinen Wert. Dabei macht es doch einfach nur seinen Job!
Ein ängstlicher Knirps lässt sich auf einen Deal mit dem Dunkel ein
Eines der Menschenkinder, die das Dunkel überhaupt nicht mögen, ist der elfjährige Orion. Der schlaksige Junge mit den zerzausten Haaren und der Knubbelnase, den nahe beieinander liegenden Augen und dem schmalen Mund fürchtet sich vor ziemlich vielem: Davor, das Klo zu verstopfen und dadurch die gesamte Schule zu fluten. Oder im Unterricht etwas Falsches zu sagen und sich damit vor der Klasse lächerlich zu machen. Er hat Angst vor mörderischen Clowns, die in Gullys lauern, und vor Handystrahlung, vor Bienen und Hunden, vor einem fiesen Schulrowdy, davor, seine Klassenkameradin Sally anzusprechen, in die er heimlich verliebt ist, und eben vor der Dunkelheit. Als das Dunkel dann aber eines Nachts in seinem Zimmer auftaucht und mit ihm zu sprechen beginnt, lässt Orion sich nach kurzem Zögern auf einen Deal ein. 24 Stunden Zeit erbittet sich das Dunkel, um Orion die Schönheit der Nacht zu zeigen und sie gemeinsam mit ihm zu erkunden.
Ängste sind ein zentrales Thema vieler Bilderbücher. Autor Lemony Snicket und Illustrator Jon Klassen etwa haben in „Dunkel“ einen Jungen auf tiefschwarzen Seiten in einen dunklen Keller geführt, Emma Yarlett wiederum hat die Angst vor dem Unbekannten in „Orion und das Dunkel“ personalisiert und ihren Protagonisten in ein nächtliches Abenteuer geschickt. Yarletts Bilderbuch beginnt mit schönen Ideen, findet allerdings dann auch sehr schnell eine Auflösung. Auf ihre ganz eigene Art geht nun die Adaption von Sean Charmatz mit dieser Vorlage um – denn den Kern der Bilderbuchhandlung hat der Film schon nach etwa der Hälfte seiner Laufzeit abgearbeitet. Eltern lieben simple Geschichten, in denen Probleme aufgelöst werden und alles gut wird, kritisiert eine Figur im Film einmal selbstreflexiv. Warum nicht einmal komplizierter werden? Und diesem Credo folgt der Film dann auch, für dessen Drehbuch Charlie Kaufman verantwortlich zeichnet.
Charlie Kaufman füllt Leerstellen mit seiner eigenen Imagination
Kaufman, bekannt für seine Drehbücher zu Filmen wie „Being John Malkovich“, „Vergiss mein nicht“ oder „Synecdoche, New York“, hat die Leerstellen mit seiner eigenen, bisweilen ziemlich verschrobenen Imagination gefüllt. Und es ist gut, dass Kaufman eben kein Kinderbuchautor ist und sich auch nicht darum bemüht, vermeintlich kindgerecht zu erzählen. So wird die Geschichte tatsächlich komplexer, verschachtelter, hintergründiger, ja existenzieller.
Der Film geht recht weit, wenn er in die Gedankenwelt von Orion eintaucht. Verbal und visuell humorvoll verpackt werden seine Ängste, zum Lachen sind indes nicht alle von ihnen. Manchmal geht es da auch um ganz existenzielle Sorgen wie plötzlich von den Eltern verlassen zu werden oder um Ablehnungen ganz allgemein. Oder es geht um Todesgedanken. Wie fühlt sich das an, wenn man tot ist und wenn alles Nichts ist? Und was ist das Nichts eigentlich? „Orion und das Dunkel“ tanzt auf dem schmalen Grat zwischen Absurdität und Ernsthaftigkeit, zwischen Komik und Philosophie, bedient in einem Moment die eine Seite, im nächsten die andere, meist sogar beide gleichzeitig durch Ton-Bild-Scheren.
Was die Rezeptionskompetenzen gerade jüngerer Kinder angeht, schießt der Film bisweilen über sein Ziel hinaus. Munter fließen Zeitebenen ineinander, wird der Film gar zu einer Reflektion über die Magie des Geschichtenerzählens selbst, wenn die Figuren das Heft in die Hand nehmen und beginnen, ihre Geschichte selbst weiterzuschreiben und zu Ende zu bringen. Nicht, dass man auch das Kindern nicht schon erzählen könnte. Aber wie der Film inszeniert ist, richten sich diese Szenen dann eben doch mehr an die älteren Mitseher als an das kindliche Publikum.
Raum für Überraschungen
Dennoch hebt sich „Orion und das Dunkel“ angenehm von anderen aktuellen Hollywood-Animationsfilmen ab und hat auch eine andere Qualität als jüngere Dreamworks-Animationen wie „Ruby taucht ab“. Nicht jeder Dialog ist hier auf Selbstreferenzialität oder den nächsten Witz getrimmt, die Figuren dürfen auch ernsthafte Dinge sagen, es bleibt Raum für Überraschungen. Damit orientiert man sich mehr am Pixar-Stil – vielleicht sogar ein wenig zu viel: Die Nachtgestalten Schlaflosigkeit, Schlaf, Stille, Süßer Traum und Rätselhaftes Geräusch, denen Orion hier begegnet und mit denen er zusammen mit Dunkel die Reise durch die Nacht antritt, erinnern doch sehr an die personifizierten Gefühle aus „Alles steht Kopf“.
Was die Ästhetik angeht, ließ man sich unterdessen offenbar vom Stilmix jüngerer Sony-Animationsfilme inspirieren. Organisch gehen Animationselemente im 2D-Stil hier über in die 3D-Welt, um Orions Fantasien zu visualisieren. Damit betritt die Dreamworks-Produktion das Terrain, das Filme wie „Spider-Man: A New Universe“ und „Die Mitchells gegen die Maschinen“ in den letzten Jahren so grandios und originell bespielt haben. Dennoch wirkt „Orion und das Dunkel“ nie wie ein Abklatsch. Auf hohem Niveau und mit unter 90 Minuten Spielzeit überraschend kompakt erzählt, hat das in Frankreich ansässige Studio Mikros Animation damit ein bemerkenswertes Ausrufezeichen gesetzt.
Ängste zu überwinden ist das Kernthema des Bilderbuchs von Emma Yarlett, Ängste zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen ist das des Films. Damit verzichtet „Orion und das Dunkel“ klug auf einfache Lösungen, indem er die Perspektive nur ein klein wenig verändert. Mut aber macht er trotzdem. Oder gerade deswegen.