Ein „weiterer Waldbrand“; eine „weitere Stadt verschwindet“: Die ersten Bilder von „Die wandernde Erde“ sind so pessimistisch wie die Gespräche der Menschen. Die Science-Fiction-Fortsetzung von Frant Gwo spielt in der nahen Zukunft des Jahres 2044; der Klimawandel ist weit fortgeschritten und die Erde heizt sich noch viel schneller auf, als es die pessimistischsten Prognosen vorhergesagt hatten. Viel schlimmer aber noch ist ein ganz anderes Problem der Menschheit: die Sonne beginnt zu verglühen und droht als „Roter Riese“ die Welt zu verschlingen. „Die Erde wird in 100 Jahren verschluckt. In 300 Jahren wird das ganze Sonnensystem nicht mehr existieren“, konstatiert eine Figur gleich zu Beginn und stellt die naheliegende Frage: „Was sollen wir machen?“
Aber auch die technischen Fähigkeiten der Menschheit haben sich quantensprungartig verbessert. Es gibt eine Weltraumstation, in der die Menschheit an Lösungsszenarien arbeitet und die von fern an jene aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ erinnert. Doch statt einer Sternenreise steht den Protagonisten eher ein trojanischer Krieg bevor, der mit härtesten Bandagen und statt göttlicher Hilfe mit Super-High-Tech ausgefochten wird. Die Gefühle der Menschen sind hingegen immer noch dieselben. Man flirtet auch im Weltraum mit Rosensträußen, und ein totes Kind ist ein unersetzlicher Verlust, selbst wenn sich dessen Bewusstsein und Sprache digital reproduzieren lassen.
Der Glaube versetzt Berge
Alle Menschen lassen sich aber auch mit den hochfliegendsten Plänen nicht retten, weshalb es auch hier eine Super-High-Vision gibt. Die lautet „Projekt Wandernde Erde“ und will mittels eines „Erd-Triebwerks“ den kompletten Planeten in ein neues Sonnensystem verschieben. Über diesen Plot-Point sollte man nicht mehr sinnieren als über Marsmenschen oder die Aliens aus einem x-beliebigen Hollywoodfilm. Es genügt, zu akzeptieren: Glaube kann Berge versetzen, und Wissenschaft in diesem Film die ganze Erde.
„Die wandernde Erde II“ ist auch ein Meilenstein einer filmökonomischen Erdplattenverschiebung und einer neuen „geopolitischen Ästhetik“ (Frederic Jameson): Der globale Süden meldet sich zu Wort und lässt sich seine Geschichten nicht länger von Hollywood diktieren. Zugleich ahmt der Film die den Weltmarkt bisher dominierende US-Dramaturgie in vielem einfach platt nach. Die Helden sind in der Regel männlich und reüssieren eher durch Tat- und Muskelkraft als durch intellektuelle Leistungen; sie sind allesamt optimistische oder von persönlichen Traumata motivierte Individualisten, die bereit sind, sich gegen „die Gruppe“ zu stellen. Dem Klischee „asiatischer Werte“, nach denen dem Kollektiv oder der Nation der Vorrang vor dem Einzelnen gebühre, entspricht dieser Film an keiner Stelle. Selbst wenn die positiv konnotierten Figuren willens sind, sich im Notfall für ein „höheres Ziel“ zu opfern.
Zwei bedeutende Frauencharaktere gibt es immerhin doch, und die stehen mit beiden Beinen fest im Berufs- und Actionheldinnenleben. Den Männern sind sie mindestens ebenbürtig und im entscheidenden Moment sogar überlegen. Sie dürfen nämlich Intellekt zeigen und um die Ecke denken, wo die Männer allzu schnell geradeaus gegen die Wand rennen. Alle Hauptfiguren werden von chinesischen Stars verkörpert, darunter Zhu Yanmanzi, Xuejian Li, Andy Lau und Zhi Wang.
Es fehlt ein echter Antagonist
Dramaturgisch schwieriger ist der Umstand, dass es keinen wirklichen Antagonisten gibt, keinen Feind. Zwar verübt eine Terrorgruppe im Namen des „digitalen Lebens“ Anschläge und bringt sogar eine Weltraumstation zum Absturz. Aber ihre Fürsprecher bleiben so diffus wie ihre Ziele und haben auch keinen größeren Effekt als ein gelegentlicher Meteoritenschauer. Der eigentliche Antagonist ist die Natur und die drohende Auslöschung der Menschheit. Die Figuren unterscheiden sich vor allem dadurch, wie sie sich auf der Skala zwischen Mut und Feigheit, Tatkraft und Lähmung verhalten. Die Handlung ist mitunter melodramatisch und verbindet durch eine komplizierte Verschachtelung drei Hauptstränge mit unterschiedlichen Schauplätzen und Figuren; die Geschichte schreitet im Verlauf des Films auch um 15 Jahre voran. Das ist anspruchsvoll; dem Publikum wird hier einiges zugemutet und auch zugetraut.
In Stil und Machart ist „Die wandernde Erde II“ Spektakelkino auf hohem Niveau, dessen überwältigende, noch nie gesehenen Bilder von einer erstaunlich guten Computertechnik erzeugt werden. Ästhetische Höhepunkte sind Martial-Arts-Kämpfe in der Schwerelosigkeit und ein „Drohnen-Hagel“ nach der elektronischen Notabschaltung hunderter Drohnen. Ein paar Luftkämpfe im Weltraum erinnern tatsächlich ein wenig an „Star Wars“; die Katastrophenbilder und die grundsätzliche Chuzpe an Roland Emmerich.
„Die wandernde Erde II“ ist ein ideologischer und, wenn man so will, auch kulturimperialistischer Film, aber nicht mehr, als es fast jedes Produkt aus Hollywood ist. Nur sind es hier die Chinesen, die an die Zukunft wie an menschliche Handlungsfähigkeit glauben, die optimistisch sind und in vieler Hinsicht als Erben des „amerikanischen Traums“ auftreten.
Ein panasiatischer Universalismus
Aber es gibt auch markante Unterschiede, gerade in den politischen Zukunftsbildern. In der Originalversion – im vielsprachigen China werden auch einheimische Filme in der Regel im Original mit Untertiteln gezeigt – sind viele Sprachen zu hören, die den Figuren per Übersetzungsprogramm digital direkt ins Ohr gesprochen werden. Das ist ein schlüssiges Zukunftsbild für eine Welt, die nicht unilateral ist und in der es tatsächlich nicht mehr primär um den Westen und schon gar nicht mehr um die US-Amerikaner oder die englische Sprache allein geht. Man spricht hier naturgemäß Chinesisch, aber auch Russisch, Französisch und Englisch, aber auch Japanisch und Koreanisch. Keine Sprache ist privilegiert. Die Vielfalt wird unter einem neuen, panasiatisch grundierten Universalismus vereint.
Einer der drei Hauptstränge spielt am UNO-Hauptquartier in New York rund um einen chinesischen Diplomaten, der das Projekt „Wandernde Erde“ stark vorantreibt. Dabei arbeitet er selbstverständlich auch mit den US-Amerikanern zusammen. Diese werden hier nicht etwa „böse“ oder als geopolitische Rivalen, sondern allenfalls als ein bisschen naiv und grobschlächtig gezeichnet. Sie sind vor allem aber nur noch eine von vielen Mächten in einer UNO, in der China die erste Geige spielt und auch andere asiatische Mächte wie Japan, Korea, Russland vorne mitspielen, während aus dem alten Europa nur noch Frankreich von Bedeutung zu sein scheint. Lediglich Indien, jener asiatische Rivale, den China am meisten fürchtet, kommt in dieser Welt bezeichnenderweise überhaupt nicht erst vor.
Es sind solche beiläufigen Beobachtungen und sorgfältig platzierte Details, die „Die wandernde Erde II“ über das übliche Spektakelkino hinausheben und ungeachtet allen Lärms aus Raketen, Explosionen und Sonnenstürme für stille Augenblicke sorgen.
Natürlich ist dieser Film ein chinesischer Blockbuster für die heimischen Kinos, der an den Riesenerfolg des Vorläufers „Die wandernde Erde“ anknüpfen soll, der allein in der Volksrepublik China über 700 Millionen Dollar einspielte und in Deutschland etwas respektlos übersehen und als teuer gemachter B-Movie verkannt wurde. Aber er ist auch eine spannende Melange aus überbordender Wissenschafts-Fantasy und klassischer Science-Fiction, die durchaus die Gefahren von Technikfeindschaft thematisiert und Sozialstrukturen der Gegenwart in die Zukunft fortschreibt, wenn die Arbeiter hier Angst haben, dass ihnen Quantencomputer den Job wegnehmen könnten. Das Schöne ist aber nicht zuletzt, dass der Film sich nicht in Selbstmitleid, Zukunftsskepsis oder Dystopien ergeht, sondern an die Zukunftsgewissheit und den Wissenschaftsoptimismus der Goldenen Ära der klassischen Science-Fiction in den 1950er-Jahren und an Autoren wie Arthur C. Clark, Isaac Asimov, Ray Bradbury anknüpft.
Homo Faber im Weltall
Man kann der „Wandernden Erde II“ also durchaus einiges abgewinnen, nicht zuletzt einen optimistischen Humanismus, der vielleicht das ethische Fundament für eine Zukunft legt, in der die Menschheit die Handlungshemmungen der Gegenwart überwindet. Dieser Humanismus ist hier allerdings mit dem politischen Plädoyer für eine wohlmeinende Autokratie verbunden, wobei die Themen politische Repräsentation und Herrschaftstechniken weitgehend ausgeblendet bleiben. Aber auch das ist nicht grundsätzlich anders als in Hollywood, wo in zahlreichen Beispielen vorexerziert wurde, dass Not kein Gebot kennt und ein Actionheld sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er im richtigen Moment alle Regeln ignoriert.
Insbesondere ist „Die wandernde Erde II“ aber eine Lektion in Techniken des Überlebens und den dafür notwendigen Einstellungen. Man braucht Lebenswillen, muss harte Entscheidungen fällen, Prioritäten setzen und das tun, worauf es ankommt. Der Homo Faber im Weltall.