White Angel - Das Ende von Marinka

Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 103 Minuten

Regie: Arndt Ginzel

Beklemmender Dokumentarfilm über die Evakuierung der Kleinstadt Marinka in Donezk im Osten der Ukraine, die von russischen Soldaten 2022 vollständig zerstört wurde. Im Mittelpunkt steht ein ehemaliger Polizist, der mit einer Helm-Kamera aufnimmt, wie er anhand von Namenslisten in Kellern hausende Bewohner ausfindig macht, verarztet und überredet, den Ort zu verlassen. Die Unmittelbarkeit der Bilder zieht den Zuschauer in das Geschehen hinein und lässt ihn teilhaben. Dazwischen geschnitten sind Interviews mit Überlebenden und Rettern, die ein halbes Jahr nach dem letzten Einsatz entstanden und das grausame Geschehen in der Rückschau noch einmal bewerten und einordnen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
GKD-Journalisten/ZDF
Regie
Arndt Ginzel
Buch
Arndt Ginzel
Kamera
Gerald Gerber
Musik
Hans Henning Ginzel
Schnitt
Stefan Eggers · Guntram Schuschke · Annina Wolf
Länge
103 Minuten
Kinostart
19.10.2023
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Beklemmender Dokumentarfilm über die Evakuierung der 2022 vollständig zerstörten Kleinstadt Marinka im Osten der Ukraine.

Diskussion

Marinka ist eine Kleinstadt in Donezk im Osten der Ukraine. Seit 2014 kämpften hier Regierungssoldaten gegen die Rebellen der selbstproklamierten Volksrepublik Donezk. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges begann der Horror. Die Stadt geriet unter schweren Artilleriebeschuss und wurde im Laufe des letzten Jahres vollständig zerstört. Fast 10.000 Menschen lebten einmal hier, jetzt sind sie alle weg.

Der Leipziger Autor und Investigativjournalist Arndt Ginzel ist mit seinem Team 2022 bis kurz vor die Front gefahren, um die Evakuierung Marinkas zu dokumentieren und – ein halbes Jahr nach dem letzten Einsatz – Interviews mit Opfern, Überlebenden und Rettern zu führen. Entstanden ist so mit „White Angel - Das Ende von Marinka“ ein beklemmender Dokumentarfilm, der – unabhängig von politischen Diskussionen über die militärische Unterstützung der Ukraine – unmittelbar die grausamen Folgen des Krieges für die Ukrainer und Ukrainerinnen beschreibt: Dies ist ein Krieg, der vor allem die Zivilbevölkerung trifft.

Eine Stadt, in der niemand mehr leben kann

Eine Schrifttafel warnt den Zuschauer: Die Bilder sind mit einer Weitwinkel-Kamera aufgenommen, die am Helm der Retter befestigt ist und darum verstörend, möglicherweise sogar traumatisierend sein könnten. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Unmittelbarkeit der unruhigen, verwackelten Bilder zieht den Zuschauer in das Geschehen hinein und lässt ihn teilhaben. Es beginnt mit einer langen Fahrt in den Ort hinein. Die Sonne scheint, doch niemand ist unterwegs. Keine Autos, keine Menschen, keine Tiere. Noch hat der Beifahrer, Vasyl Pipa, der so etwas wie die Hauptfigur dieses Films ist, gute Laune. Er stellt seine Kollegen, auch den Fahrer, vor und singt zu einem Popsong aus dem Autoradio. Früher einmal arbeitete er als Kriminalbeamter. Jetzt evakuiert er eine Stadt, in der man nicht mehr leben kann. „Marinka scheint in der Erde zu versinken“, sagt er einmal.

Vasyl Pipa hat eine GoPro-Kamera dabei, um Kriegsverbrechen zu dokumentieren. „White Angel“ nennen die Menschen den weißen Transporter, mit dem sie aus der Gefahrenzone gebracht werden. Doch nicht jeder will mit. Einige alte Männer weigern sich, ihren Heimatort zu verlassen. Dies ist ihr Lebensmittelpunkt, außerdem wollen sie nicht von den Russen ausgeraubt werden. Wenigstens lassen sie die Frauen gehen. „Beeilt euch!“, ruft Vasyl Pipa immer wieder, die Bewohner müssen überzeugt werden, endlich ihre Keller zu verlassen. Und: „Sie brauchen nicht abzuschließen!“ Denn das Hab und Gut ist im Krieg ohne Bedeutung, hier geht es ums nackte Überleben. Doch eine alte Frau packt stur eine Tüte nach der anderen mit ihren persönlichen Habseligkeiten – um dann doch nicht mitzukommen. Zwischendurch müssen die Retter Wunden verbinden, Leichen bergen und Platz für sie im Laster finden.

Abschied für immer

Dazwischen geschnitten sind die Interviews mit den Betroffenen. Besonders beeindrucken Natalia Trifonova und ihre Tochter Olena, die ein halbes Jahr nach ihrer Rettung sichtlich erleichtert sind, aber auch von den Zweifeln erzählen. Immerhin haben sie nicht nur ihre Heimat, sondern auch Verwandte und Freunde verlassen. Das ist es, worum es hier geht: um den Verlust von Heimat, um Abschied für immer, um Schmerz und Trauer, um die Angst vor dem Neubeginn. Doch die beiden Frauen haben die richtige Entscheidung getroffen.

Denn immer wieder nimmt die nervöse Helmkamera bei der Fahrt durch die Stadt erschreckende Bilder auf: Da ist kein Leben auf der Straße, die Gebäude sind zerstört, die Bäume sind kahl, aus dem Off sind ständig Kanonenschläge zu hören. Am Schluss zeigt eine Drohne in einem langen Schwenk Marinka von oben: eine zerbombte Stadt im Schnee, Häuserskelette, so weit das Auge reicht. Marinka gibt es nicht mehr. Doch da ist auch die Hoffnung, so die junge Olena Trifonova, die Stadt eines Tages wieder aufzubauen. Die Sehnsucht nach Frieden ist groß.

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