Kleine schmutzige Briefe

Romain Antony | 14.09.2024

Gerade die fromme, ehrenwerte Kirchgängerin Edith (Olivia Colman, großartig wie so oft, z.b. auch stark in "The Favourite" von Yorgos Lanthimas; der Film, der kürzlich im BIS in MG zu sehen war, dem Zentrum für offene Kulturarbeit e.V., das vierzehntägig mittwochs oft ausgesuchte, interessante Filme präsentiert), Edith also, die unter den drakonischen Anweisungen, Ge- und Verboten des patriarchalischen Vaters (Timothy Spall) kuscht, erhält massenweise beleidigende, obszöne Briefe mit sexuellen Beschimpfungen. Die Perversionszuschreibungen in Briefform weiten sich auf andere Bewohner aus und schaffen in der englischen Kleinstadt ein Klima des Misstrauens und des Denunziantentums, das sich besonders auf die exzentrische, sinnes- und feierfrohe Rose (Sängerin Jessie Buckley) richtet. Als Zuschauende hatten wir schnell den Verdacht, dass Edith die Urheberin der Fick-dich-Tiraden ist. Auch hier kann ich wiederum auf Sigmund Freud verweisen, der in der psychopathologischen Verbalisierungslust schändlicher Vorstellungsinhalte einen nicht kontrollierbaren, überschwappenden, explodierenden Dampfkessel unterdrückter, nach außen hin exportierter Wut und Triebhaftigkeit diagnostizieren würde. Der Film zeichnet akkurat das schnuckelige Leben einer Gemeinschaft ab, die durch Tratsch, Klatsch, Missgunst und paranoide Verdächtigungen aus den Fugen gerät. Doch die Thematik und deren Bebilderung werden schnell redundant...noch 'n Brief, und noch 'n Brief, die Geschichte trägt den Film nicht über seine hundert Minutenlänge. cf. auch den Blog: www.filmekommentieren.wordpress.com klicken.lesen.folgen.