Wer sieben Jahre lang unbeirrt auf ein Ziel zusteuert, darf einiges erwarten. Bereits der biblische Jakob rackerte sich der Liebe willen so lange ab, und für den Märchenhelden aus „Hans im Glück“ stand diese Dienstzeit am Beginn eines munteren Tauschhandels. Auch der junge Willy Wonka fühlt sich nach sieben Lehrjahren bereit für den nächsten Schritt. Leichtfüßig und hoffnungsfroh gleitet er vom Schiff in die große Stadt hinein, wo er sein Glück machen und nicht weniger als die beste Schokolade der Welt herstellen und verkaufen will.
Die gute Laune lässt er sich auch nicht verderben, als sein Startkapital durch Unerfahrenheit, Missgeschicke, Bußgelder, Almosen und löchrige Taschen schon am ersten Abend auf null gesunken ist. Unverändert optimistisch tritt er am nächsten Tag mit Kostproben seiner Schokoladenkunst an, und die Kunden sind hin und weg. Doch der geniale Chocolatier muss auch die erste bittere Pille der Marktwirtschaft schlucken: Die etablierten Schokoladenhersteller der Stadt sind alles andere als begeistert von dem Neuling und scheuen keine unfairen Mittel, um den unerwünschten Konkurrenten auszuschalten.
Ohne Gespür fürs Alltagspraktische
Roald Dahl sind in seinem Kinderbuch „Charlie und die Schokoladenfabrik“ die Schoko-Fabrikanten Slugworth, Prodnose und Fickelgruber nur wenige Sätze wert, obwohl ihre Betriebsspionage ernste Folgen hat, da sie den nunmehr weltbekannten Unternehmer Willy Wonka zur Restrukturierung seiner Schokoladenfabrik und zum Rückzug aus der Öffentlichkeit treibt. Von solchen Akten der Resignation ist der erfinderische Jüngling, den Regisseur Paul King und sein Co-Drehbuchautor Simon Farnaby in „Wonka“, der filmischen Vorgeschichte von Dahls Roman, vorstellen, noch weit entfernt. Der junge Wonka ist vielmehr gutherzig, leichtgläubig und gerät durch sein fehlendes Gespür fürs Alltagspraktische in eine arge Bredouille. Denn das Angebot einer billigen Unterkunft mit Anfangskredit stellt sich als heimtückische Falle der Wäschereibesitzerin Scrubbit und ihres tumben Handlangers Bleacher heraus, die Willy Wonka durch seine unbedachte Unterschrift auf Jahre zum Frondienst in ihrem Betrieb zwingen wollen.
Glücklicherweise aber steht ihm das Waisenmädchen Noodle bei; einmal in Berührung mit Wonkas Schokolade gekommen, geht sie mit Feuereifer daran, seinen Traum doch noch wahr werden zu lassen. Dafür muss aber das tyrannische Duo Scrubbit & Bleacher überlistet und die Schokoladenhersteller ausgestochen werden, deren Konkurrenz untereinander nur Tarnung ist. Denn in Wirklichkeit beherrschen die drei den Markt, und der Polizeichef frisst ihnen als unverbesserliche Naschkatze buchstäblich aus der Hand.
King und Farnaby konzentrieren sich in „Wonka“ auf die gewitzten Mittel und Wege, mit denen es dem genialen Erfinder gelingt, als Geschäftsmann Fuß zu fassen. Die Umstände mögen zwar erschwert sein, doch unterstützt von Noodle und den vier Leidensgenossen aus der Wäscherei bringt Willy Wonka seine Produkte erfolgreich an die Leute und schlägt der Polizei ein ums andere Mal ein Schnippchen. In seinem Metier ist er bereits in dieser jungen Version unschlagbar, was zwar nahtlos an Dahls Kreation anschließt, allerdings die Frage nach Wonkas Werdegang ausklammert, deren Antwort an sich am interessantesten wäre: Wie hat Wonka seine brillanten Fertigkeiten eigentlich ursprünglich erlangt?
Unerschöpfliche Quelle des Süßen
Die ziemlich dünne Kindheitsgeschichte, die der Film anbietet, hilft jedenfalls nicht viel weiter, und auch die Selbstverortung als „eine Art Zauberer, Erfinder und Schokoladenmacher“ beschreibt zwar Wonka hinlänglich, bleibt aber auch etwas beliebig. Immerhin verleihen Wonkas markanter Zylinder als schier unerschöpfliche (süße) Quelle und seine verspielten Erfindungen dem Film viele Gelegenheiten für hübsche visuelle Gags, die einen Höhepunkt erreichen, wenn Wonka der Schritt vom illegalen Chocolatier zum Geschäftsinhaber gelingt. Die Pracht von Zuckerwegen, -flüssen, -blumen und Co. ist eine wahre Augenweide, die verständlicherweise auch die Besucher des Ladens begeistert. Doch noch einmal bremsen Wonkas Gegner ihn mit hinterhältigen Mitteln aus.
Die aufwändigen Süßigkeitskreationen sind eine treffliche Gelegenheit für das Team um den Szenenbildner Nathan Crowley, sein Können vorzuführen, wobei der Film sein Vorbild nicht leugnet. Die Ausstattung von Wonkas Geschäft erinnert in vielem detailgenau an seine spätere Fabrik, wie sie sich 1971 in der ersten „Charlie und die Schokoladenfabrik“-Verfilmung präsentierte. Der Anschluss an die Adaption von Mel Stuart ist auch in Choreografie und Musik offensichtlich. Denn „Wonka“ wartet zwar mit sechs eigens komponierten Songs auf, die von King solide inszeniert und von den Darstellern um Timothée Chalamet lebhaft interpretiert werden, als Musicalsequenzen aber wenig inspiriert sind. Die beiden Reprisen aus dem alten Film hingegen gehören zu den eindrücklichsten Momenten in „Wonka“: Chalamet gibt „Pure Imagination“ zwar nicht so nachdenklich-versunken wie einst Gene Wilder, legt aber eine Extraportion jugendlicher Hoffnung in seinen Gesang. Und auch der Umpa-Lumpa-Gesang ist prominent vertreten; die Szenen des jungen Wonka mit Hugh Grant als eloquent-snobistischem Vertreter dieser 20-Zentimeter-Schoko-Liebhaber sind die köstlichsten des Films.
Ein Hoch auf die Fantasie
Ohnehin hätte „Wonka“ davon profitiert, wenn King und Farnaby ihrer Fantasie im Stil ihrer beiden wunderbaren „Paddington“-Filme noch mehr freien Lauf gelassen hätten. So wie etwa beim grotesken Paar Mrs. Scrubbit und Bleacher – für ganz junge Zuschauer sicherlich eine Herausforderung –, das als originelle Hommage an Roald Dahls Welt fungiert, so als hätten die furchterregende Rektorin aus „Matilda“ und einer der Menschenfresser aus „Sophiechen und der Riese“ auf unergründlichen Wegen zusammengefunden. Auch Einfälle von der Art, wie die finale Erstürmung des schurkischen Hauptquartiers mittels eines abwegigen tierischen Helfers gelingt, hätte „Wonka“ gerne mehr haben dürfen. Denn wo der Film zwischenzeitlich etwas aus dem Tritt kommt und konventionell gefühlig wird, weicht er doch deutlich vom Vorbild seiner Hauptfigur ab. Schließlich mischt ein Willy Wonka ja auch keine x-beliebigen Zutaten in seine raffinierten Kreationen.