Drama | Belgien/Deutschland/Niederlande 2023 | 376 (8 Folgen) Minuten

Regie: Tim Oliehoek

In einem autoritären Staat werden die Bürger auf Schritt und Tritt anhand eines implantierten Chips überwacht. Fällt der jeweilige Bürgerscore zu tief, wird man in eine unwirtliche Zone deportiert. Eine Familie, die eigentlich zur Elite zählt, gerät dabei selbst in die Mühlen des Regimes. Die dystopische Serie kombiniert die Muster totalitärer Staaten mit der Praktik des „Bürgerscores“ in China und aktuelle Risiken digitaler Überwachung zu einem beklemmenden, retrofuturistischen Drama über totalitäre Kontrolle. Der optisch und darstellerisch gelungenen Serie fehlt es mitunter an politischer Schärfe. Die Auswirkungen diktatorischer Macht auf Einzelne und familiären Beziehungen werden indes anschaulich geschildert. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ARCADIA
Produktionsland
Belgien/Deutschland/Niederlande
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Jonnydepony/Big Blue Prod.
Regie
Tim Oliehoek
Buch
Bas Adriaensen · Philippe De Schepper · Zita Theunynck
Kamera
Martijn Cousijn
Musik
Bart Demey · Tania Gallagher
Darsteller
Monic Hendrickx (Cato Christiaans) · Gene Bervoets (Pieter Hendriks) · Abigail Abraham (Milly Hendriks) · Lynn Van Royen (Luz Hendriks) · Melody Klaver (Alex Jans)
Länge
376 (8 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Science-Fiction | Serie | Thriller

Dystopische Serie um einen totalitären Staat, in dem der Status der Menschen von ihrem „Score“ abhängt, der durch eine vollständige Überwachung ständig aktualisiert wird.

Diskussion

In dem totalitären Staat Arcadia dreht sich alles um den persönlichen „Score“ der Bürger. Der wird mit Hilfe eines in die Hand eingepflanzten Chips ständig aktualisiert. Der Score setzt sich aus mehreren Faktoren wie IQ, Gesundheit, Anpassungsvermögen, sozialem Status und der Verbundenheit mit dem Regime zusammen. Egal was man isst, trinkt oder wie man sich verhält: Alles fließt in die sich ständig verändernde Wertung ein. Wenn der Score unter 8 Punkte sinkt, bekommt man massive Probleme und wird sozial eingeschränkt. Man gehört dann nicht mehr zur bürgerlichen Elite. Sinkt der Score unter 3, wird man zwangsdeportiert, in der Natur ausgesetzt und ist damit eigentlich zum Tode verurteilt. Um eine Überbevölkerung zu vermeiden, werden die Deportationen auch gezielt gegen „Bürger 2. Klasse“ eingesetzt, sozial Schwache und jene, die gesundheitliche oder mentale Probleme haben. „Jeder bekommt, was er verdient“, lautet das gnadenlose Motto.

Die Polizei und die beiden Geheimdienste „Schild“ und „Visier“ überwachen die Bürger Arcadias. Orwells „1984“ lässt hier ebenso grüßen wie die Serie „1983“ von Agnieszka Holland. Zu Beginn der ersten Folge wird während einer Hochzeitsfeier eine ganze Familie verhaftet, weil der Vater Pieter Hendricks den Score seiner autistischen Tochter manipuliert hat. Nachdem Hendricks bestanden hat, wird er zur Strafe in die „Zone“ verwiesen. Der Rest der Familie wird ebenfalls bestraft. Als bisherige Stützen des Regimes, die in einer komfortablen Villa wohnten, müssen sie in ein mehrstöckiges Wohnhaus umziehen. Außerdem senkt man den Score der Familienmitglieder um jeweils zwei Punkte. Der Regulator Simons, der für den Geheimdienst Schild arbeitet, glaubt nicht an die Unschuld der Angehörigen. Mit Hilfe von Wanzen hört er die Familie in der neuen Wohnung ab.

„Big Brother“ lässt grüßen

Den Serienschöpfern gelingt es von Beginn an, eine bedrohliche Atmosphäre zu etablieren. Jeder kann in dem Überwachungsstaat von heute auf morgen verhaftet oder deportiert werden. Keiner ist vor seinen Mitmenschen sicher. Verrat und Denunziation lauern überall. Der Regulator Simons wird dabei auch von inneren Dämonen angetrieben. Als treuer Beamter seines Staates musste er miterleben, wie seine Schwester deportiert wurde; später musste er sich auch entscheiden, ob zusätzlich noch sein Neffe oder sein Vater abgeschoben werden sollten, da beider Score zum Überleben in Arcadia nicht mehr ausreichte. Simons wird vom Hass auf die Elite angetrieben, die sich nicht an die strengen Regeln hält. Soziale Kälte und Abschottungsmechanismen dominieren das Denken der herrschenden Organe. Menschen werden knallhart zu Nummern, ihr Wert für die Gesellschaft misst sich allein an ihrem Score. Propaganda ertönt an jeder Bushaltestelle. Das alles wird nachvollziehbar und optisch ansprechend in Szenen gesetzt.

„Arcadia“ hat pro Folge eine Million Euro gekostet, was sehr viel ist für eine Produktion, die ursprünglich aus Flandern kommt. Dank niederländischer und deutscher Fernsehsender wurde die Co-Produktion realisiert. Das Geld ist gut investiert. Allein der Look hat es in sich. Für die Außenaufnahmen suchte man nach Bauwerken der brutalistischen Architektur in Belgien, Frankreich und Deutschland. In dem 2005 in Wolfsburg eröffneten Sciene-Center „Phaeno“ fand man eine ideale Location für die Geheimdienstzentrale Schild. Einige der bedrohlichen Bauten, die dem Regime von Arcadia sichtbar Gestalt geben, erinnern optisch an „Die Tribute von Panem“.

Mit dem Motiv der Rundum-Überwachung per Chip und den „Scores“ lässt „Arcadia“ zwar an das aktuelle „Data Mining“ der großen Internetkonzerne sowie die „Likes“ und „Dislikes“ der Sozialen Medien denken; optisch spielt die Serie aber in den 1980er-Jahren. Es gibt nur große Computer, noch keine Handys und viele Oldtimer auf den Straßen.

Beziehungen unter dem Druck der Diktatur

„Arcadia“ verströmt einen gewissen Vintage-Charme. Auch für Spannung ist immer gesorgt. Innerfamiliäre Konflikte entstehen schon dadurch, dass eine Patchwork-Familie im Mittelpunkt steht. So lebte der Patriarch Pieter Hendricks mit einer zweiten Ehefrau zusammen, die zwei erwachsene Töchter mit ihn die Beziehung brachte. Sowohl die Stieftochter Alex als auch die Adoptivtochter Milli arbeiten bei der Polizei. Alex ist eher die Karrieristin und schnell bereit, mit dem Regulator Simons zusammen zu arbeiten. Erstaunlicherweise herrschen in Arcadia weder Rassismus noch Homophobie. Alex ist lesbisch; es war ihre Hochzeitszeremonie, die zu Beginn der Serie vom Geheimdienst unterbrochen wird.

Die aus einer Migrantenfamilie stammende Milli dagegen lässt sich in den Außendienst versetzen und sucht in der Zone nach ihrem Vater. Sie stößt dabei auf Überlebende, die sich in einer Art mittelalterlichen Wagenburg organisiert haben. Doch je überzeugender in „Arcadia“ menschliche Konflikte thematisiert werden, umso diffuser wirkt der politische Überbau. Ein geheimnisvoller Anschlag auf das Capitol hat den Staat Arcadia und seine Eliten in ein Trauma versetzt; eine Widerstandsgruppe bedroht die Ordnung. Wann das Attentat zeitlich genau stattfand, ist aber unklar; seine Folgen für alle erschließen sich nur in wenigen Dialogen.

In dieser Hinsicht ist die Serie „The Handmaid‘s Tale“ sehr viel packender und politisch relevanter, weil dort viel genauer beleuchtet wird, wie fließend der Übergang einer Demokratie zur Diktatur sein kann. Dabei klingt die Grundidee von „Arcadia“ sehr ambitioniert, die das in China praktizierte Prinzip des Bürgerscores mit historischen Mustern totalitärer Staaten kombiniert, in denen Geheimdienste alle Bürger:innen überwachen. Es wäre Aufgabe der Autoren, die politischen Zusammenhänge in der 2. Staffel konziser auszuarbeiten. Insgesamt bieten die ersten acht Folgen jedoch genug Stoff für kurzweilig-intelligente Unterhaltung, da der Entwurf eines diktatorischen Regimes mit Querverweisen auf unsere schöne digitale Welt gespickt ist. Auch in westlichen Demokratien ist die Frage, welche unserer Daten von wem gesammelt werden und was damit geschieht, längst ein Politikum. 

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