Drama | Italien/Großbritannien 2023 | 362 (6 Folgen) Minuten

Regie: Julian Jarrold

Eine Dramaserie um das Schicksal dreier unterschiedlicher Frauen, die familiär in den süditalienischen Mafia-Clan ’Ndrangheta verstrickt sind, und um ihre Versuche, sich dem Zugriff der „Famiglia“ zu entziehen und Widerstand zu leisten. Dabei spielt auch eine engagierte Staatsanwältin eine Rolle, die sich den Kampf gegen die Mafia auf die Fahnen geschrieben hat. Durch ihren Fokus auf die sonst zu Nebenrollen degradierten Frauen setzt sich die Serie bewusst von den Konventionen des Mafia- und Gangsterfilmgenres ab und verzichtet auf die üblichen Gewaltexzesse. Spannend wird sie durch die suggestive Weise, wie sie den auf den Frauen lastenden familiären Druck fühlbar macht und vom langwierigen und doch erfolgversprechenden juristisch-politischen Kampf gegen das organisierte Verbrechen erzählt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE GOOD MOTHERS
Produktionsland
Italien/Großbritannien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
House Prod./Wildside
Regie
Julian Jarrold · Elisa Amoruso
Buch
Stephen Butchard
Kamera
Martina Cocco · Ferran Paredes · Vittorio Omodei Zorini
Musik
Giorgio Giampà
Schnitt
Simona Paggi · Chiara Griziotti · Irene Vecchio
Darsteller
Gaia Girace (Denise Cosco) · Valentina Bellè (Giuseppina Pesce) · Barbara Chichiarelli (Anna Colace) · Simona Distefano (Concetta Cacciola) · Francesco Colella (Carlo Cosco)
Länge
362 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Krimi | Serie

Eine Dramaserie über den Kampf dreier Frauen, die sich gegen ihre Verstrickung mit der Mafia-Familie ´Nrangheta wehren, und eine engagierte Staatsanwältin, die den Kampf mit dem Verbrecherclan aufnimmt.

Diskussion

Ein Satz, der im Gespräch zwischen Staatsanwältin und Ermittler fällt, hallt unerbittlich durch die sechs Folgen von „The Good Mothers“: „Sie wollte eine gute Zeugin sein.“ Die italienisch-britische Serienproduktion, die auf der Berlinale 2023 ihr Debüt feierte und dort mit dem ersten Serienpreis des Festivals ausgezeichnet wurde, widmet sich dem Kampf dreier Frauen, die sich aus den Fängen des kalabrischen Mafia-Clans ’Ndrangheta zu befreien versuchen. Die Produktion des Drehbuchautors und TV-Produzenten Stephen Butchard und der beiden Regiseur:innen Julian Jarrold und Elisa Amoruso, die auf dem Roman des Autors Alex Perry und dessen Recherchen über die Strukturen der kalabrischen Verbrechensfamilien beruht, geht dabei für eine Mafiaserie ungewöhnliche erzählerische Wege.

Zu sehen sind in „The Good Mothers“ nicht die einschlägigen Gewaltakte krimineller Banden, kein breitbeiniges Macho-Gebaren der männlichen Protagonisten und keine verquere Idealisierung von Rebellenpose und Gangsterehre, die Kino und Serien, wenn es ums Thema Mafia geht, bei aller Kritik seit „Der Pate“ immer wieder gepflegt haben. Das langsam, doch mit ausgeprägter Spannung erzählte Drama setzt ganz auf diejenigen, die in der Historie der Mafia-Verfilmungen stets zu Nebenrollen und -figuren degradiert waren, nämlich die Frauen.

Unter der Fuchtel von „La Famiglia“

Alles beginnt mit der jungen Denise Cosco (Gaia Girace). Ihre Mutter Lea (Micaela Ramazzotti) war einst Kronzeugin in einem langwierigen Prozess gegen ihren Ehemann Carlo Cosco (Francesco Colella). Unter dem Druck und Psychoterror des Clans brach die Mutter schließlich ein. Nun kommt es erstmals wieder zum Kontakt zwischen dem Vater und seiner Tochter Denise. „Sie wollte eine gute Zeugin sein“, heißt es, als die Mutter kurz nach der Begegnung zwischen ihr, Denise und Carlo spurlos verschwindet. Carlo spielt die Unschuld in Person. Inszeniert halbherzig die Suche nach Denises Erziehungsberechtigter. Natürlich taucht sie nicht mehr auf. Denise wird auf väterliches Geheiß hin aus der Metropole Mailand in den Süden, ins ländliche Kalabrien gebracht, wo sie sich in das typische Schicksal einer weiblichen Familienangehörigen fügen soll: früh heiraten, für Nachwuchs sorgen, sich dem Ehemann fügen und der Familie gegenüber loyal sein, egal bei welcher Machenschaft. Durchgesetzt wird das familiäre Diktat immer wieder mit Brutalität.

Obwohl sich die Serie – ganz anders als die Konventionen des Genres es vorsehen – mit drastischen Gewaltdarstellungen deutlich zurückhält, ist die Bedrohung doch allgegenwärtig. Sie zeigt sich in den blauen Augen und blutig geschlagenen Gesichtern der Frauen, die es gewagt haben, gegen das männlich dominierte Zwangssystem aufzubegehren, und sei es in Form der kleinsten Widerstandsgeste.

Eine Staatsanwältin wird zur treibenden Kraft des Widerstands

Zwei Frauen, die sich das alles nicht mehr gefallen lassen wollen, sind Guiseppina (Valentina Bellè) und Cancetta (Simona Distefano). Guiseppina, kurz Guisy, die mit dem Motorroller unterwegs ist und Schutzgeld für den familiären Clan eintreibt, hat heimlich einen Geliebten, der sie anders als ihr Ehemann, der im Knast sitzt, nicht wie den letzten Dreck behandelt. Cancetta will stets alles über die Affäre ihrer besten Freundin wissen und gibt sich in sozialen Netzwerken ihren eigenen Fantasien und dem Eskapismus hin. Als Guisy eines Tages festgenommen wird, beschließt sie auszupacken. Gegen die Familie, die Heimat, den Clan. Treibende Kraft hinter dem Entschluss der Frau ist die entschiedene Staatsanwältin Anna Colace (Barbara Chichiarelli). Sie hat sich vorgenommen, dem Treiben der ’Ndrangheta in der Region ein Ende zu bereiten. Die ständigen Bedrohungen gegen sich – in verbaler und handfester Form – nimmt sie für das höhere Ziel in Kauf. Giusy wird zu ihrer Kronzeugin.

Beileibe nicht alle Frauen in Julian Jarrolds und Elisa Amorusas vielschichtiger und spannungsreicher Inszenierung sind Engel. Wir Zuschauer:innen erleben in „The Good Mothers“ die ganze Spannbreite menschlichen Verhaltens unter den Bedingungen des organisierten Verbrechens. Manche der Frauen sind stille Kollaborateurinnen, manche zeigen sich hochgradig manipulativ. Dem Machtstreben und -erhalt ihrer Männer stehen sie in nichts nach.

Wie aus Opfern (Mit-)Täterinnen werden

Zur analytischen Schärfe schwingt sich das eindringliche Drama dann auf, wenn es sich den psychologischen Voraussetzungen der Unterwerfung und des Täterinnendaseins gleichermaßen widmet. „The Good Mothers“ zeigt, wie unter dem Einfluss der „Famiglia“ und des Zuhauses sämtliche sozialen Kontakte nach Draußen gekappt werden, die Frauen ihrer Einsamkeit anheimgegeben werden. Wer nicht spurt, erfährt Schläge und Demütigung; entsprechend schwierig ist der Widerstand und entsprechend naheliegend ist es, sich einfach zu fügen und die vorgesehene Rolle im kriminellen Familiengefüge zu spielen. Aus Opfern werden so (Mit-)Täterinnen.

Guisy will aus diesem Teufelskreis endgültig ausbrechen und inspiriert ihre beste Freundin Cancetta, es ihr gleichzutun. Sie lässt ihren Ehemann und die Kinder zurück. Währenddessen ist Denise dem patriarchalen Druck ausgesetzt: Ihr Vater trachtet danach, das außerhalb der Familienzwänge aufgewachsene Mädchen zu brechen, und stellt ihr einen Aufpasser an ihre Seite – doch der eigentlich liebenswerte Carmine (Andrea Dodero) verliebt sich in Denise. Und sie auch ein bisschen in ihn. Ein einfühlsames Wesen ist für die Männer des Clans allerdings nicht vorgesehen. Beim traditionellen Tantarella-Tanz, der in der Region gepflegt wird, demütigt der Mafia-Chef Carlo seinen Handlanger mit Überlegenheitsgesten. Gerade als Carmine beginnt, das Vertrauen von Denise zu erlangen, kommt eine ungeheure Wahrheit ans Licht.

Dekonstruktion der Mafia und ihrer popkulturellen Verklärung

Die Wahrheit ans Licht zu bringen: Darum geht es den kreativen Köpfen hinter „The Good Mothers“. Ihre Romanverfilmung zeigt sich als geschickte Dekonstruktion der Mafia und ihrer popkulturellen Idolatrie. Das Drama kontert dabei die Männlichkeits-Mythen des Gangstergenres aber nicht mit simplen Heldinnen-Stilisierungen. Es zeigt vielmehr den langwierigen, immer wieder von Rückschlägen geprägten juristisch-politischen Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Die Räume, in denen Frauen wie Denise, Guisy und Cancetta ihr Dasein fristen, wirken eng, dunkel, ausweglos. Andere, die sie auf ihrer Flucht vor dem Clan durchschritten und in ihnen gelebt haben, zeigt „The Good Mothers“ zum Schluss ohne ihre Bewohnerinnen, leer. Beinahe so, als wären darin auch Gespenster der realen Frauen präsent, denen die Serie gewidmet ist. „The Good Mothers“ erzählt auch von der Möglichkeit einer besseren Zukunft, in der ein Satz wie „Sie wollte eine gute Zeugin sein“ endgültig der Vergangenheit angehört.

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