Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 2022 | 105 (TV: 135) Minuten

Regie: Sandra Gold

Vier Menschen aus dem süddeutschen Sprachraum erzählen von ihren religiösen Erfahrungen und lassen an ihren innersten Gedanken und Gefühlen teilhaben. Mit großer Ruhe und Konzentration begegnet der Film einer Buddhistin, einem tanzenden Sufi-Scheich, einer katholischen Nonne und einem frommen Juden und versucht zu verstehen, was sie bewegt und warum sie ein religiöses Leben gewählt haben. Dabei geht es primär um den Kern ihres jeweiligen Selbst- und Weltverständnisses und nicht um Religionen oder deren Folgen für das Zusammenleben. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
WO IST GOTT?
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Sandra Gold Prod./DOMAR Film
Regie
Sandra Gold
Buch
Sandra Gold
Kamera
Franz Kastner · Tobias Tempel · Carla Muresan · Sorin Dragoi · Pius Neumaier
Musik
Henrik Ajax
Schnitt
Wolfgang Grimmeisen · Sandra Gold
Länge
105 (TV: 135) Minuten
Kinostart
15.12.2022
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Vier Menschen aus dem süddeutschen Sprachraum erzählen von ihren religiösen Erfahrungen und lassen an ihren innersten Gedanken und Gefühlen teilhaben.

Diskussion

Die Frage „Wo ist Gott?“ beschäftigt heute nur noch wenige Menschen. Wer sich nicht gerade mit theologischen Themen auseinandersetzt, empfindet sie vielleicht sogar als kindlich. Auch für die vier Protagonisten in dem Dokumentarfilm von Sandra Gold spielt der Gedanke, wo oder wer Gott eigentlich ist, keine Rolle. Denn im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen haben sie auf ihre Weise ein intensives Verhältnis zu „Gott“, auch wenn sie darüber höchst unterschiedlich sprechen. Für die Karmeliter-Nonne Veronika Elisabeth Schmitt ist Gott ein Mysterium, das sie wachsen und reifen lässt. Für den Sufi-Mönch Süleyman Wolf Bahn ist er „La ilaha illa Allah“, der Einzige, neben dem es keinen anderen gibt. Der in Jerusalem lebende Psychotherapeut Gabriel Strenger nennt das Wort Gottes „die Luft, die ich atme, meine Freude, mein Glück, mein Zuhause“. Nur die Zen-Meisterin Doris Zölls passt zunächst nicht ganz ins Bild, wenn sie über den Sinn des Lebens spricht, der darin bestehe, „das, was gerade ist, lieben zu können“.

Um diese vier Menschen und ihre religiösen Erfahrungen kreist der stille, unaufdringliche Film mit einer bemerkenswerten Ruhe und Konzentration. Alle vier sind sprachmächtig, intellektuell reflektiert, teilweise als Autor:innen recht produktiv oder in ihren Gemeinschaften in leitender Funktion tätig. Doch das sind Informationen, die man sich im Internet beschaffen muss, da sie das Grundanliegen des Films verwässern würden. Es geht der Regisseurin offensichtlich um eine Begegnung, die vorsichtig und zurückhaltend etwas über Daseinsweisen in Erfahrung bringen will, die man gemeinhin als „religiös“ bezeichnen würde. Theologisch-philosophische Etikettierungen, schickes Infotainment oder abgegriffene Allerweltswörter wären hier fehl am Platz.

Ein tiefes Vertrauen

Dieses Konzept greift schon bei der katholischen Ikonenmalerin aus dem Dachauer Karmel, die scheinbar für sich ins Nachdenken kommt, wenn sie den Firnis auf ein Jesus-Bild pinselt und sich fast beiläufig an eine Meditationserfahrung erinnert, die sie so sehr veränderte, dass sie schließlich im Kloster landete. Als ihre Zwillingsschwester bei einem Besuch darauf insistiert, ob es sich dabei um eine christliche Gotteserfahrung gehandelt habe, verteidigt die Nonne sanft den vorsprachlichen Moment, wie sie auch an anderer Stelle allzu Sicheres zurechtrückt: „Ob ich Gott liebe, weiß ich nicht; bei den anderen (Menschen) merkt man das eher.“

Inmitten der kargen Klostermauern mit ihren ritualisierten Abläufen und strengen Verhaltensformen nimmt sich das nochmal anders aus als in der Meditationshalle des Benediktushofs in Holzminden, in dem Doris Zölls als strenge Zen-Lehrerin amtiert. Auch für sie stand eine „tiefe Einheitserfahrung“ am Anfang, ein Moment, in dem ihr aufging, dass es zwischen ihrem „minderwertigen Ich“ und ihrem „starken Ich“ keinen Zwiespalt gibt, sondern „ich alles in einem bin“. Von Zölls' hagerer, groß gewachsener Gestalt geht eine Mischung aus Klarheit und Disziplin aus, die wohl den wie im Karmel ähnlich streng getakteten Mediationszeiten entspringt; doch auch hier gibt es keine verbalen Exkursionen zur „Wolke des Nichtwissens“, sondern nur sparsame Sätze wie „Die Angst steckt in unserem Körper. Da auszubrechen, ist sehr, sehr schwer. Es braucht ein tiefes Vertrauen, dass mir nichts passiert, auch wenn wir verletzt werden oder sogar sterben.“

An einer inneren Achse ausgerichtet

Da die Filmemacherin nicht als Interviewerin in Erscheinung tritt, unterbleibt die vielleiht naheliegende Frage nach Zölls' Vergangenheit als evangelische Theologin oder nach der „Gottesfrage“ im Buddhismus. Für Süleyman Wolf Bahn hingegen, der bei den Mevlana-Derwischen den Rang eines Scheichs innehat und damit andere auf dem Weg des Sufismus begleitet, ist die Rede von Allah so selbstverständlich wie die unentwegten Anrufungen Adonais in den Gebeten und Segenssprüchen des frommen Juden Strenger. Bahn ist ein sanfter, gütiger Mann mit fränkischem Akzent, der für den mythischen Sema-Tanz wie geschaffen erscheint, bei dem sich die drehenden Derwische an einer inneren Achse nach oben ausrichten und in der meditativen Bewegung ihre „harten Schalen“ abwerfen. Was wie eine einstudierte Choreografie erscheint und leicht mit einer touristischen Show verwechselt werden könnte, wird durch die filmische Gestaltung als spirituelle Übung erkenn- und erlebbar, deren traumnahe Eleganz verblüfft und berührt.

Bahn ist der ruhigste der vier Protagonisten, ein in sich ruhender, selbstgenügsamer Mensch, der Allah in allem findet: „Alles was ich wahrnehme, das ist Gott“ – und darauf so ehrlich wie glaubwürdig antwortet: „Ich liebe alle Menschen!“. Gabriel Strenger hingegen sticht als offenherziger Charmeur und beschwingter Plauderer aus den wortkargen Protagonisten heraus, weil er über seine tiefste Überzeugung, dass alles von Gott ist, nicht schweigen will, sondern in großer Freigiebigkeit an seinen Gebeten, Gedanken und überströmenden Gefühlen teilhaben lässt. Gott zu lieben und das Leben anzunehmen, sich mit allem verbunden zu fühlen und eine grundlose Freude über die Schöpfung zu empfinden: das alles fällt für Gabriel Strenger mit der Verehrung Adonais zusammen, den er vom ersten Kaffee des Tages bis zu den letzten Gedanken im Bett unzählige Male preist und lobt.

Stärken & Grenzen

Strenger ist allerdings kein naiv-trunkener Frömmler, sondern ein intellektuell zurechnungsfähiger Akademiker, weshalb auch die Shoa anklingt und die Frage, wo Gott damals war. Das Ringen mit dem Theodizee-Thema hielt Strenger wohl lange in Atem und mündete schließlich in der Antwort, dass Gott mitleide, woraus bei ihm in der therapeutischen Umformung die Überzeugung entstand, „den inneren Sumpf“ umzuarbeiten und Traumata mit Liebe zu begegnen. Doch gerade bei solchen naheliegenden Themen erweist sich die Tragfähigkeit des filmischen Konzepts, das bei den Protagonisten und dem innersten Kern ihres Gottesglaubens bleibt und etwa den Umstand, dass der Heilig-Blut-Karmel in Dachau am Rande des KZs steht, mit keiner Silbe erwähnt.

Die dokumentarische Kraft von „Wo ist Gott?“ resultiert nicht nur aus den sorgfältig gewählten Protagonisten und ihrer beeindruckenden Authentizität, sondern auch aus inszenatorischen Entscheidungen, die Figuren nicht wie in einem Verhör zu befragen, sondern in ihrer Welt mit Geduld und Aufmerksamkeit zu begleiten. Dass die Kunst des Zuhörens manchmal an Grenzen stößt, wie auch der Film als solcher nur in einem bestimmten Radius seine Tiefenschärfe wahrt, spürt man an etwas bemühten Szenen, in denen Konflikte mit anderen zur Sprache kommen, die auch mit religiös-spirituellen Überzeugungen zusammenhängen. So ringt Zölls' Lebenspartner einmal mit der Nüchternheit seiner Gefährtin, weil er sich manchmal nach weniger Klarheit und mehr Nähe sehnt, während Strenger und seine Mutter über die Bedeutung strenger Regeln streiten; in beiden Fällen wirkt das Setting künstlich und bemüht, auch wenn darin das allzu verständliche Interesse anklingt, was aus den religiösen Grundüberzeugungen für das konkrete Leben folgt.

Doch das wäre ein anderer Film. „Wo ist Gott?“ bleibt mit bewundernswerter Konsequenz bei seinem Impuls, das Selbst- und Weltverständnis frommer Menschen exemplarisch sichtbar zu machen. Was daraus folgen kann, im Guten wie im Fürchterlichen, ist in der Menschheits- und Religionsgeschichte erschlagend dokumentiert. Zunehmend unsichtbarer wird in unserer Zeit hingegen der Ursprung religiöser Grundüberzeugungen, der Funke, der Menschen erfassen und verwandeln kann. Wo dies in solcher Form wie bei den vier in „Wo ist Gott?“ porträtierten Menschen geschieht, schmelzen vielleicht sogar Ressentiments und Vorurteile dahin; eher fühlt man sich eingeladen oder animiert, mehr darüber zu erfahren, was die vier bei aller Unterschiedlichkeit zu so in sich ruhenden, bei sich seienden Menschen gemacht hat.

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