Oper ist Weltflucht für Erwachsene und gänzlich aus der Zeit gefallen. Zumindest, wenn man dem Klischee glaubt. Musik und Gesang mit Harmonien und Rhythmen aus alter Zeit, kombiniert mit Geschichten, die so steif und schlicht sind wie Mummenschanz aus dem Mittelalter. Dennoch ist diese alte Kulturdisziplin unabhängig von aktuellen Trends immer noch präsent. Es muss etwas mit Magie zu tun haben, zumindest wenn man „The Magic Flute – Das Vermächtnis der Zauberflöte“ glaubt.
Aus dunklem Holz
„Harry Potter“ lässt grüßen, wenn man Tim Walker (Jack Wolfe) auf dem Weg in die Berge bei Salzburg begleitet. Ein Zug windet sich durch eine wunderbare Natur, und in der altehrwürdigen „Mozart International School“ scheint die Zeit stehen geblieben. Das kunstvolle Monogramm auf den Schuluniformen, das sichere Gemäuer, opulent aus dunklem Holz ziselierte Interieur und eine Bibliothek, in dem auch der junge Mozart schon vom strengen Lehrpersonal zur Raison gebracht worden sein könnte. Doch Doktor Longbow (F. Murray Abraham) ist nicht Albus Dumbledore, der Klassenlehrer Baumgartner (Tedros Teclebrhan) ist nicht Severus Snape, und schon gar nicht werden hier geheime Künste gelehrt. Vielmehr befindet man sich in der Gegenwart, und auf dem Stundenplan stehen Gesang und Komposition.
Und dennoch: Die Zeichen deuten auf etwas Geheimnisvolles hin. Tim musste seinem jung verstorbenen Vater am Sterbebett versprechen, dass er jenes Particell von Mozarts „Zauberflöte“, das er selbst einst als junger Schüler am Internat mitgehen hat lassen, wieder dorthin zurückbringen muss. Doch das Diebesgut übt eine eigenartige Anziehung auf den Schüler aus. Geheimnisvolle Kugelblitze weisen ihm den Weg zu einer alten Standuhr in der Bibliothek, die pünktlich um drei Uhr einen Geheimgang freigibt, der in eine Welt geleitet, in der Opern wahr werden.
Hier, dort, nirgends
Also doch „Harry Potter“ oder zumindest „Die Chroniken von Narnia“, in denen der Protagonist durch einen Wandschrank ins Zauberreich gelangt. Regisseur Florian Sigl kennt die Vorbilder, und doch traut er ihnen nicht. Denn die wunderbare Idee, dass es vielleicht irgendwo eine Märchenwelt gäbe, aus der Komponisten und Librettisten ihre Ideen empfangen, reicht nicht aus. Denn so interessant die Fantasy auch ist, in der Prinz Tamino mit der Riesenschlange ringt und mithilfe des Vogelhändlers Papageno jene Zauberflöte findet, mit der er die Prinzessin Pamina vielleicht aus den Fängen von Fürst Sarastro befreien kann, sie reicht nicht für „The Magic Flute – Das Vermächtnis der Zauberflöte“!
Hier muss der Schüler Tim neben dem Abenteuerland auch noch die Internatszeit überstehen; mit allen gemeinen Mitschülern, nerdigen Zimmergenossen und dem Love-Interest vom Mädchenflügel, die – natürlich und ausgerechnet – die rebellische Tochter des Schulleiters ist.
„The Magic Flute“ ist also eine Coming-of-Age-Geschichte mit Zauberflöte. Dumm nur, dass sich beide Intentionen gegenseitig nicht vertragen. Nicht nur dass Tim diesseits der Standuhr Sophiie (Niamh McCormack) liebt, während er als Prinz Tamino doch eigentlich der Prinzessin Pamina (Asha Banks) sein Herz schenkt. Auch der Umstand, dass er um drei Uhr für ein paar Erzählminuten kurz ins Opernland huscht, um dann (aus unerfindlichen Gründen) wieder ins Hier und Jetzt zu switchen, reißt die beiden Erzählstränge auseinander. Nach dem Motto „Ach-ich-muss-mal-kurz-ich-komme-aber-gleich-morgen-wieder“ wird der filmische Spannungsbogen nachhaltig beschädigt.
Der Hölle Rache kocht in meinen Herzen
Und was ist mit der Oper? Die Produzenten wollten durchaus auch ein jüngeres Publikum für die „Weltflucht für Erwachsene“ begeistern. Dafür ist Mozarts „Zauberflöte“ sicherlich ähnlich gut geeignet wie „Ein Sommernachtstraum“ für die Einführung in Shakespeares Theaterwelt. Das Libretto von Emanuel Schikaneder ist vollgestopft mit fantastischen Prüfungen, und Mozarts Musik eingängig und zeitlos.
Doch von der Magie der Oper ist in „The Magic Flute“ erstaunlich wenig zu spüren. Das liegt weniger an der fantastischen, mit eindrücklichen Special Effects angefüllten Opernwelt als an der holprig-steifen Gegenwart mit ihren überflüssigen Problemen, Konflikten und Liebeleien. Erschwerend kommt hinzu, dass der Gesang in beiden Welten betont unopernhaft ist und mehr an ungelenken Sprechgesang als an ein Singspiel erinnert. Einzig die Königin der Nacht darf in ihrer berühmten Arie „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ über zwei Oktaven tirilieren. Der Rest ist befremdlicher Badezimmergesang, der alles, nur keine Werbung für das Opernfach ist.
Bezeichnend ist, dass für das gesanglich sehr gelungene Liebesbekenntnis zwischen Tim und Sophiie ausgerechnet ein Duett am Klavier mit „I’ll be there“ von den Jackson 5 erklingt. Zwei Studenten an der Mozart International School finden kein Liebeduett aus der an wunderbaren Arien überquellenden Opernliteratur? Was für eine verpasste Chance, um jüngeren Menschen die magische Kraft der Oper vor Ohren zu führen.
Sehnsucht nach Zauber & Magie
Wenn am Ende beide Erzählstränge im Happy End verpuffen, sucht man vergeblich nach dem Zauber des Ganzen und sehnt sich insgeheim doch eher nach „Harry Potter – Das Musical“.