Mit 20 wirst Du sterben

Drama | Ägypten/Deutschland/Frankreich/Katar/Norwegen/Sudan 2019 | 102 Minuten

Regie: Amjad Abu Alala

In einem sudanesischen Dorf wird einem Neugeborenen prophezeit, dass es im Alter von 20 Jahren sterben werde. Kurz vor seinem angeblichen Tod ist der junge Mann hin- und hergerissen zwischen seinem Koran-Studium, der unausgesprochenen Liebe zu einer Freundin und der Bekanntschaft zu einem älteren, ausschweifend lebenden Mann. Die behutsam erzählte Sinnsuche setzt auf expressive Töne und erfährt durch die düstere Prophezeiung eine existenzielle Note. Die Freiheit wird dabei ebenso durch äußere Umstände wie durch die innere Einstellung bestimmt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Ägypten/Deutschland/Frankreich/Katar/Norwegen/Sudan
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Transit Films/Andolfi Films/Die Gesellschaft DGS Michael Henrichs Filmprod./Duo Films/Station Films/Film-Clinic
Regie
Amjad Abu Alala
Buch
Amjad Abu Alala · Yousef Ibrahim
Kamera
Sébastien Goepfert
Musik
Amin Bouhafa
Schnitt
Heba Othman
Darsteller
Mustafa Shehata (Muzamil) · Islam Mubarak (Sakina) · Mahmoud Elsaraj (Sulaiman) · Bunna Khalid (Naima) · Talal Afifi (Alnoor)
Länge
102 Minuten
Kinostart
25.08.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Ein Heranwachsender, dem ein früher Tod prophezeit wurde, sucht nach dem Sinn in seinem angeblich kurzen Leben.

Diskussion

Muzamil (Mustafa Shehata) ist nicht wie seine Altersgenossen. Während die anderen Jungen ausgelassen Fußball spielen, hält seine Mutter Sakina (Islam Mubarak) ihn vor allen potenziellen Gefahren fern. Der Grund dafür liegt in der Vergangenheit: Nach seiner Geburt war Muzamil prophezeit worden, dass sein Leben mit 20 Jahren enden werde. Der Vater (Talal Afifi) verlässt daraufhin die Familie, die Mutter verfällt in eine schicksalsergebene Lethargie, und der Totgeweihte muss sich selbst immer wieder fragen, welchen Sinn ein Leben ohne Zukunft hat.

Unter veränderten Vorzeichen

Das Spielfilmdebüt des sudanesischen Regisseurs Amjad Abu Alala erzählt eine klassische Coming-of-Age-Geschichte: An der Schwelle zum Erwachsenwerden versucht sich der junge Protagonist in einer unübersichtlichen Welt voller widersprüchlicher Werte zu orientieren.

Doch diese Suche findet bei Alala unter veränderten Vorzeichen statt. Während die Jugend sonst von Sorglosigkeit, Experimentierlust und einem Gefühl der Unsterblichkeit geprägt ist, wird der melancholische Muzamil ständig mit seiner Vergänglichkeit konfrontiert. So ist die gleichaltrige Naima (Bunna Khalid) ihm schon seit Kindheitstagen zugetan und träumt von einer gemeinsamen Familie. Doch warum soll man lieben, lernen und arbeiten, wenn ohnehin alles bald vorbei ist?

Das Drama des Films speist sich aus seiner Spannung zwischen Leben und Tod sowie zwischen Frömmigkeit und hedonistischem Exzess. Zunächst überzeugt der Imam des Dorfes die Mutter, dass ihr Sohn zur Koranstunde kommen soll, um sich mit einem sittenstrengen Leben einen Platz im Himmel zu sichern. Später versucht die Mutter das Schicksal abzuwenden, indem sie bei einem Kalifen um Hilfe sucht. Doch auch den Propheten kann man nicht unbedingt trauen. So genießerisch wie der Kalif Muzamils nackte Brust streichelt, deutet es darauf hin, dass dieser nicht unbedingt das praktiziert, was er predigt.

Auf den Spuren eines ekstatischen Lebens

Mit Sulaiman (Mahmoud Maysara Elsaraj), der abseits des Dorfes lebt, lernt Muzamil schließlich eine völlig andere Welt kennen. Der alte Mann, der für den Jungen in mancher Hinsicht zum Ersatzvater wird, raucht, trinkt und empfängt nächtlichen Damenbesuch. Vor allem zeigt er seinem Gast alte Filmrollen, die von einem ekstatischen Leben jenseits von Muzamlis unsichtbarem Gefängnis zeugen.

Einmal sehen sich die beiden Youssef Chahines Melodram „Tatort... Hauptbahnhof Kairo“ (1957) an, in dem die ägyptische Schauspielerin Hind Rostom eine selbstbewusste Prostituierte spielt. „Träumst du von der Tochter des Teufels?“, fragt Sulaiman seinen jungen Besucher provokativ, und Muzamil senkt darauf lächelnd den Blick. Ein anderes Mal flackern Aufnahmen der Hauptstadt Khartoum aus der Zeit vor dem islamischen Regime über die Leinwand. Darauf sind fröhliche Menschen in westlicher Kleidung zu sehen, die in einer Disco tanzen. Es sind Bilder aus einer anderen Zeit und wie von einem anderen Planeten. Muzamlis Dilemma besteht nicht nur darin, dass es die von ihm ersehnte Freiheit nur außerhalb seines Dorfes gibt, sondern auch in dem Umstand, dass er sich diese Freiheit selbst nicht zugestehen kann.

Von der existenziellen Suche des Protagonisten erzählt „Mit 20 wirst Du sterben“ ruhig und mit sanfter Dramatik, so als würde er sich auf den langsamen Rhythmus in der Provinz einlassen. Manchmal drängt sich dabei die Schönheit der malerischen Bilder etwas zu sehr in den Vordergrund. Wenn die Mutter für jeden gelebten Tag ihres Sohnes einen Strich in die Wand ritzt, wirkt das ein wenig zu sehr um den poetischen Effekt bemüht.

Weiß leuchtet inmitten beiger Töne

Oft aber erweist sich das bildhafte Erzählen von Amjad Abu Alala als Stärke. Mit seinem leuchtend weißen Gewand sticht Muzamil zwischen den beigen Farbtönen von Wüstenlandschaft und Lehmhäusern heraus. In der Moschee nimmt Sulaiman einmal ein Blatt Papier und verspritzt Tinte darauf. Für den alten Mann trübt die Farbe das Weiß nicht, sondern lässt es nur umso stärker hervortreten. „Welche Sünden soll ich dir vergeben, wenn du es nie versucht hast?“, will er von dem Jungen wissen.

Mehrmals sieht man Muzamil, wie er sein Ohr auf die Brust eines Schlafenden legt, um dessen Herzschlag zu hören. Der Frage, was es zu leben heißt, widmet sich „Mit 20 wirst Du sterben“ intensiv. Doch sie ist nicht primär allgemeingültig gemeint, sondern individuell und bleibt deshalb offen. Am Schluss steht deshalb die Erkenntnis, dass jeder für sich selbst eine Antwort darauf suchen muss.

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