Die rasante Exposition in „Jagdsaison“ ist schon mal ein Versprechen. Desinteressiert, aber souverän erledigt Eva (Rosalie Thomass) ihren Job im Finanzamt Süd, der daraus zu bestehen scheint, absurde Anfragen von Bürgern abzuschmettern, die ihre Geburtstagsfeiern von der Steuer absetzen wollen. Gleichzeitig guckt Eva im Netz lustige Hunde-Videos, was ihren Chef weniger zu stören scheint als ihre neue Frisur. Denn Eva hat sich die Haarspitzen rötlich gefärbt. Für den Chef ist das ganz klar eine „Signalfarbe“, die er in einer Inversion von #metoo direkt auf sich bezieht. Er verstehe ja, dass "50 Grades of Shade" bei Eva bestimmte Fantasien getriggert habe, aber dafür stehe er leider nicht zur Verfügung. Obwohl er ihre Situation schon verstehen könne: „Single, geschieden, Ende 30.“ Aber der Arbeitsplatz sei nun mal nicht Tinder.
Dass der Vorgesetzte mit seiner Beschreibung von Evas Situation womöglich so falsch nicht liegt, unterstreicht der Soundtrack der folgenden Szene, in der Eva zu einer Verabredung mit ihrer besten Freundin Marlene (Marie Burchard) radelt. Die Sängerin Fontella Bass singt in ihrem Soul-Hit „Rescue Me“ davon, dass sie „lonely and blue“ sei und sich nach etwas „tenderness“ sehne. Überdies wird jetzt deutlich, dass Eva einen etwas extravaganten Kleidungsstil präferiert, der später mal als „clownesk“ bunt charakterisiert wird. Von einem Clown!
Einfach kacke mit dem Hund
Was der Chef im Büro allerdings nicht erwähnte, war Evas Status als Mutter einer zehnjährigen Tochter namens Olivia, deren Geburtstag naht. Der Vater, also Evas Ex, hatte sich nach elf Ehejahren eine „spirituelle Pause“ gegönnt, diese dann aber mit der 25-jährigen Influencerin Bella (Almila Bagriacik) schnell wieder beendet. Auch wenn das schon etwas länger her ist, schmerzt Evas Wunde noch immer, zumal Bella als neue Stiefmutter sich mit Olivia blendend zu verstehen scheint. Deshalb muss ein Geschenk her, das „die Schlampe“ in den Schatten stellt. Darauf bezieht sich auch der Satz, mit dem Eva ihre beste Freundin Marlene begrüßt: „Es ist einfach kacke mit dem Hund!“ Denn Olivia wünscht sich nichts so sehr wie einen Hund. Aber dort, wo Eva wohnt, sind Haustiere nicht erlaubt.
Und so reiht sich für Eva an diesem Tag eine Irritation ans nächste Missgeschick an die nächste Niederlage. Der Chef, die beste Freundin und die eigene Tochter reagieren unabhängig voneinander irritiert auf die neue Frisur, die beste Freundin hat überdies beim Yoga „die Schlampe“ kennengelernt, die eigentlich „eine ganz Nette“ sei, im Briefkasten liegt eine Einladung zu Olivias Geburtstagsfeier, die ab sofort nur noch einmal stattfindet – und zwar beim Ex-Mann, weil Bella auch „das“ besser kann – und am Ende des Tages steht Eva frustriert, aber ohne Geschenk da.
Temporeich und voller Witz etabliert Regisseur und Co-Autor Aron Lehmann unter Drehbuchmitarbeit von Lea Schmidbauer und Rosalie Thomass eine Konstellation, die komplexe Themen wie Midlife Crisis, Rivalität, Eifersucht, Freundschaft, Wettbewerb, Feminismus und Post-Feminismus leichthin verhandelbar macht. „Jagdsaison“ lebt nicht zuletzt von einem mutigen Drehbuch, das der femininen Buddy-Komödie erlaubt, auch dorthin zu gehen, wo der Humor dunkel und schmerzhaft wird und dessen Dialoge in der Manier einer Screwball Comedy Funken schlagen.
Um die Handlung in Gang zu setzen, braucht es eine konfliktreiche Situation. Marlene, die kein weiteres Kind möchte, hat sich verliebt und möchte sich diese Verliebtheit „aus dem Kopf ficken“, also gewissermaßen eine Probefahrt mit der Hoffnung auf Macken. Die pragmatische Bella („enjoy!“) hat sogleich dort einen Wellness-Aufenthalt gebucht, wo sich das Objekt der Begierde aufhält, und auch Eva bleibt nicht viel anderes, als bei der Treibjagd mitzumachen.
Gourmet-Aufguss in der Sauna
Damit sind die turbulenten Stationen von „Jagdsaison“ fixiert: Wellness-Aufenthalt, Jagdausflug und Kindergeburtstag führen zu Begegnungen mit Kite-Trainern, Gourmet-Aufguss-Experten in der Sauna, am Strand spielenden Kleinkindern, einem kinderlosen Clown, einem Jägermeister mit Nazi-Allüren, einem bösen Hund und einem niedlichen Kaninchen – und noch einem Hund.
Konflikte gelten den Fragen, inwieweit Ehebruch moralisch zu werten ist, wie Intimrasur und Anus-Bleaching post-feministisch tolerabel begründbar sind, was davon zu halten ist, wenn Dienstleisterinnen ihre Kinder mit zur Arbeit bringen, wie und wo Menstruationstassen zu reinigen sind, wodurch sich Hunde und Hasen unterscheiden oder was es bedeutet, wenn böse Hunde böse Herrchen haben.
Mit Verve changiert der Film zwischen Rivalität („Designer-Muschi“) und potenzieller Solidarität („Sisters before misters“) und probiert ein paar Versöhnungsperspektiven („alle eine große Familie“) aus, um sie sogleich wieder zu verwerfen. Dabei stimmen die Chemie zwischen den drei Protagonistinnen und auch das Timing zwischen Eskalation und einem Netzwerk von Running Gags, während für die männlichen Nebendarsteller nun Verachtung, Spott oder ein Gähnen bleibt, sieht man vielleicht einmal von dem kecken Clown Kiki ab.
Famos getroffen sind Bellas mit Anglizismen durchsetzter Influencerinnen-Habitus („have fun“), Evas unbedarfte Wurstigkeit und Trotteligkeit und Marlenes mühsam unterdrückte Abenteuerlust.
Mit Mut zu derben Pointen
Wenn dazu der Roxette-Song „Spending my time watching the days go by“ ertönt, wird der tiefergehende Konflikt hinter dem komödiantischen Treiben sichtbar, der davon handelt, wie ermüdend und widersprüchlich der Kampf der Frauen gegen ihre Selbstverobjektivierung für andere, männliche Blicke ist. Hier wird ständig eingeordnet, verglichen und bewertet – und die Männer beziehen alle Signale mit größter Selbstverständlichkeit natürlich auf sich selbst. Dazu passt dann wiederum der sorgfältig ausgesuchte Retro-Soundtrack mit Songs von The Cardigans, Urban Cookie Collective, Roxette, Sir Mix-a-Lot und TicTacToe. „Jagdsaison“ ist eine runde, höchst unterhaltsame Sache mit Mut zur derben Pointe und offenem Schluss.