Vater unser (2022)
Dokumentarfilm | Deutschland/Ungarn 2022 | 80 Minuten
Regie: Julianna Ugrin
Filmdaten
- Originaltitel
- HOLY DILEMMA
- Produktionsland
- Deutschland/Ungarn
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Corso Film- und Fernsehproduktion/Éclipse Film
- Regie
- Julianna Ugrin · Marton Vizkelety
- Buch
- Julianna Ugrin · Marton Vizkelety
- Kamera
- Marton Vizkelety
- Musik
- Csaba Kalotás
- Schnitt
- Judit Czakó
- Länge
- 80 Minuten
- Kinostart
- 23.06.2022
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarfilm über einen ungarischen katholischen Priester, der mit seiner Geliebten drei Kinder gezeugt hat und in wachsende Gewissensnöte gerät, ob er sein Amt nicht niederlegen soll.
Der junge römisch-katholische Priester Robert Polgar, den alle nur Robi nennen, ist in seiner Pfarrei in einem ungarischen Dorf an der Grenze zu Kroatien sehr beliebt. Robi, der vor neun Jahren zum Priester geweiht wurde, liebt seinen Beruf über alles, er hat neuen Schwung in die Gemeinde gebracht und spielt gerne mit jungen Männern in der Fußballmannschaft des Dorfes. Doch er hat ein Geheimnis, das eigentlich keines ist. Er ist Vater von drei Kindern und besucht diese und die Kindsmutter Anett regelmäßig. Fast alle Gemeindemitglieder und auch die Amtskirche wissen das, dulden es jedoch stillschweigend. Sozusagen nach dem Motto: Besser ein sündiger Pfarrer, der das Gebot des Zölibats missachtet, als gar keiner. Auch der zuständige Bischof belässt es bisher bei Mahnungen und Bußauflagen, hält ansonsten aber die Füße still. Kein Wunder, stellt sich doch in Robis Gesprächen mit Kirchenvertretern heraus, dass Robi in der Region nicht der einzige Fall von Priester mit Konkubine und Nachwuchs ist.
Vor zehn Jahren hatte sich Robi unsterblich in Anett verliebt. Nach dem Studium in Kirchenrecht und Wirtschaftswissenschaften hatte er eigentlich einen schnellen Aufstieg in der Kirche im Blick und rechnete sich dafür auch gute Chancen aus. Doch die Geburt der Kinder ließ ihm keine Wahl: Wenn er die Sprößlinge zumindest gelegentlich sehen wollte, konnte er nicht zu weit wegziehen und auch nicht zu lange webbleiben. So änderte er einstweilen den Lebensplan, verzichtete auf die angepeilte Karriere im Vatikan und übernahm die Priesterstelle in einem Provinzdorf.
Mehr Zeit für Kinder und Partnerin
Doch je älter die Kinder werden, umso schmerzlicher wird Robi bewusst, dass er sich mehr um sie kümmern und vor allem mehr Zeit mit ihnen verbringen muss – von seiner duldsamen Partnerin ganz zu schweigen. So treibt den Geistlichen immer öfter die Frage um, ob er das Priesteramt niederlegen soll. Doch können die Dorfbewohner ihm das verzeihen? Und werden der Bischof und der Kirchenvorstand Sanktionen gegen den „verlorenen Sohn“ ergreifen?
Die ungarische Regisseurin Julianna Ugrin und ihr Kollege Marton Vizkelety begleiteten den Priester über einige Monate bei seiner Arbeit und im Privatleben und protokollierten dabei die wachsenden Probleme, die das Zölibatsversprechen bei ihm hervorruft. Für beide ist es die erste lange Regiearbeit. Ugrin hat zuvor mehr als 20 dokumentarische Filme produziert, ihr bekanntestes Werk dürfte „A Woman Captured – Eine gefangene Frau“ (2017) über moderne Sklavenarbeit mitten in Europa sein. Vizkelety, der auch hier für die Bildgestaltung verantwortlich zeichnet, hat bereits bei mehr als 30 kurzen und langen Filmen die Kamera geführt.
Das Regieduo nimmt sich hinreichend Zeit, um zu zeigen, wie wichtig Robi Frau und Kinder sind, etwa wenn er mit dem jüngsten Kind hingebungsvoll spielt oder wenn er Anett im intimen Zwiegespräch am Küchentisch seine Zweifel und Bedenken anvertraut. Anschaulich beschrieben wird aber auch, wie konzentriert er sich auf den Gottesdienst vorbereitet und wie sorgfältig er seine seelsorgerischen Aufgaben erfüllt, etwa wenn er den Anliegen der Gemeindemitglieder zuhört. So wird nach und nach die nervöse Unruhe des Priesters spürbar, die seelische Zerrissenheit zwischen Berufung und Neigung, Profession und Privatleben, zölibatärem Single-Dasein und erfülltem Familienleben.
Kaum Kritik am moralischen Verhalten des Priesters
Leider mangelt es dem Porträt jedoch an Analyse und Vertiefung. So kommt die Position der Kindsmutter, die sich in einer schwierigen gesellschaftlichen Lage durchlavieren muss, zu kurz. Erstaunlich ist auch, dass so wenig Kritik am zweifelhaften moralischen Verhalten des Priesters laut wird – weder von Seiten der Amtskirche noch aus dem persönlichen Umfeld. Nur in einer feuchtfröhlichen abendlichen Runde wird ein Mann nach Robis Ankündigung des Amtsverzichts deutlicher: „Viele sind nicht böse auf dich, sondern auf deine Frau.“ Eine Frau wirft Anett sogar vor: „Sie hat das geplant.“ Dazu kommt, dass Robi nicht mit einem Abrutschen ins soziale Abseits rechnen muss: Im Kirchenvorstand legt man ihm wegen seiner Popularität nahe, bei der anstehenden Bürgermeisterwahl anzutreten.
Auch in ästhetischer Hinsicht zeigen die Filmemacher Unsicherheiten: Statt sich auf die zentralen Konfliktlinien und existenziellen Fragen zu konzentrieren, begleitet die Kamera den Protagonisten häufig bei langweiligen Autofahrten. Gerade dialogfreie Passagen werden zudem oft mit elegischen oder meditativen Musikflächen aus dem Off unterlegt, die aber im jeweiligen Kontext meist eher wie ein Fremdkörper wirken.
Ein drängendes Problem für die Kirche
Auch wenn das Regieduo die anderen angesprochenen Fälle von Priestern mit eigenen Kindern nicht vertieft, sondern sich auf die Einzelfallbeschreibung konzentriert, macht ein Insert im Abspann deutlich, dass der Film auf ein drängendes Problem aufmerksam machen will, das die katholische Kirche auch international in naher Zukunft weiter in Bedrängnis bringen dürfte: „In Europa verlassen jedes Jahr mehr als 100 Priester ihr Amt. Die Zahl wächst.“