Tokyo Vice
Drama | USA 2022 | 467 (8 Folgen) Minuten
Regie: Michael Mann
Filmdaten
- Originaltitel
- TOKYO VICE
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Boku Films/Endeavor Content/WOWOW
- Regie
- Michael Mann · Josef Kubota Wladyka · Hikari · Alan Poul
- Buch
- J.T. Rogers · Jessica Brickman · Karl Taro Greenfeld · Naomi Iizuka · Arthur Phillips
- Kamera
- Diego García · Daniel Satinoff · John Grillo · Katsumi Yanagijima
- Musik
- Danny Bensi · Saunder Jurriaans
- Schnitt
- Aaron Kuhn · Michael Berenbaum · Benjamin Rodriguez Jr. · Tad Dennis · Mako Kamitsuna
- Darsteller
- Ansel Elgort (Jake Adelstein) · Ken Watanabe (Hiroto Katagiri) · Rachel Keller (Samantha) · Shô Kasamatsu (Sato) · Ella Rumpf (Polina)
- Länge
- 467 (8 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12 (Ep.2-3,5) & ab 16 (Ep.1,4-6,8)
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Serie | Thriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Krimi-Serie um einen US-Nachwuchsreporter, der sich in Tokio während der späten 1990er-Jahre mit einem erfahrenen Ermittler zusammentut, um Einblicke in die Arbeit der dortigen Stadtpolizei zu bekommen. Dabei taucht er tief in die Welt der Yakuza ein.
Bevor man sich „Tokyo Vice“ inhaltlich nähern kann, muss man eine Marketingstrategie aus dem Weg räumen, die den unvoreingenommenen Blick auf diese grandiose Serie verstellt. Es handelt sich nämlich nicht um ein Michael-Mann-Projekt, auch wenn der Titel an dessen Serie "Miami Vice" angelehnt ist. Zwar dreht der Regisseur eine umwerfende Pilotfolge, tritt sonst aber lediglich als „Executive Producer“ auf, was im US-Kontext alles und nichts bedeuten kann. „Tokyo Vice“ ist vor allem eine Serie über Fremdheit und Einsamkeit innerhalb einer kaum zu begreifenden Welt aus Yakuza-Ehre und Verbrechen.
Jake (Ansel Elgort) ist nach Japan gekommen, um das eigentlich Unmögliche zu schaffen: Er wird der erste ausländische Reporter für eine japanische Zeitung in Tokio. Wie allen Anfängern weißt man auch ihm den sogenannten „Police Beat“ zu; er soll über Verbrechen, Diebstähle und andere Delikte berichten. Allerdings unterscheidet sich Jakes Ansatz stark von den Vorstellungen seiner japanischen Kollegen, dass es sich nämlich nicht schickt, eigene Nachforschungen anzustellen. Oftmals muss sogar die Perspektive der Polizei übernommen werden. Hier spielen der gesellschaftliche Frieden und die kulturellen Gepflogenheiten eine Rolle – Dinge, die aus einer westlichen Perspektive schwer verständlich erscheinen.
Als sich jedoch rätselhafte Selbstmorde häufen, folgt Jake einer Spur zu einem Kreditinstitut und findet sich mitten in der undurchsichtigen Welt der Yakuza wider. Denn eine der Verbrecherorganisationen hat einen Weg gefunden, mit den Selbstmorden hilfloser Schuldner das große Geld zu verdienen.
Welten innerhalb von Welten
Damit wäre man bei einem der spannendsten Themen der Serie "Tokyo Vice", die lose auf der Biografie des echten Jake Adelstein basiert, sich aber große fiktionale Freiheiten nimmt. Durch diesen dramaturgischen Überschuss taucht man tief in die Welt der Yakuza ein. Diese lässt sich nur in Bezug auf ihre Tätigkeitsfelder mit dem vergleichen, was bei uns unter dem Begriff der Mafia zusammengefasst wird: Schutzgelder, Schwarzmarkt und Drogenhandel. Gesellschaftlich sind die streng hierarchisch geführten Yakuza-Gruppen hingegen weitgehend akzeptiert; sie werden als Teil der japanischen Kultur betrachtet, mit der man sich zu arrangieren hat.
Möglicherweise ändert sich das gerade, wie ein lesenswerter Artikel aus der „Süddeutschen Zeitung“ diskutiert. „Tokyo Vice“ spielt allerdings nicht in der Gegenwart, sondern Ende der 1990er-Jahre, als es darum ging, einen blutigen Krieg im Untergrund zu verhindern. Zwischen den Yakuza-Gruppierungen, die sich in ihrem Ethos sehr deutlich unterscheiden, gibt es große Konkurrenz, die jederzeit in gewalttätige Auseinandersetzungen umschlagen kann. Genau das will der Polizist Hiroto Katagiri (Ken Watanabe) unter allen Umständen verhindern; für ihn ist deutlich zu spüren, dass sich in Tokyo etwas zusammenbraut.
Zwischen dem knurrigen Polizisten und dem Reporter Jake entsteht im Verlauf der Serie eine interessante und niemals in den Kitsch driftende Vater-Sohn-Beziehung, die in einem Tauschhandel an Informationen ihren Ausgang zu nehmen scheint; im Grunde aber sind es vor allem persönliche Sympathien. In seiner Strenge erinnert der Polizist bisweilen an die Unterweltbosse, was die komplizierten Verhältnisse innerhalb der japanischen Gesellschaft verdeutlicht.
Jake hingegen freundet sich mit dem Nachwuchs-Yakuza Sato (Shô Kasamatsu) an, der, wie Jake, Gefühle für eine junge US-Amerikanerin entwickelt, die als Hostess in einem exklusiven Nachtklub arbeitet. Diese Samantha, von Rachel Keller herrlich zwischen Verletzlichkeit und kämpferischer Wut gespielt, ist ohnehin eine dramaturgische Spiegelfigur für die mitunter naiven Männerfiguren Jake und Sato; im sich gegenseitigen Umspielen werden die Grenzen zwischen unbedingter Zuneigung und Ökonomie ständig aufgelöst und ohne aufdringliche Psychologisierung der Preis der unterschiedlichen Assimilationen verhandelt. Was muss man bezahlen, wenn man ein neues Leben beginnen will – sei es nun in der Yakuza oder als Reporter in der Fremde? Selbstverständlich hat auch Samantha einen Abgrund, an dem sie entlangbalanciert.
Der Zauber der Form
Damit ist das narrative Gerüst von „Tokyo Vice“ skizziert. Die Serie ist aber auch formal-ästhetisch ein großer Wurf innerhalb des oftmals bloß auf die Geschichten konzentrierten Serienenerleis. Ohne Umschweife wird man hier in eine Welt geworfen, in der unzählige Parallelwelten, Unterwelten und soziale Transiträume zu existieren scheinen. Wie Jake in Japan, so sind die Zuschauer Fremde innerhalb dieses Serienlands. Es ist beeindruckend, wie sehr die Serie den in Japan vorhandenen Rassismus, das Einfordern kulturell-nationaler Entsprechung und der Zwang zur Assimilation unaufdringlich und oftmals en passant miterzählt, ohne dass dies zum dominanten Thema würde. Japan ist sich seiner nationalen Identität sehr bewusst. Immer wieder werden starre Grenzen errichtet.
Dabei geht nicht nur um offensichtliche Differenzen, wenn Jake beispielsweise herablassend als „Gaijin“, als Fremder oder Außenseiter bezeichnet wird. Eimi (Rinko Kikuchi), die direkte Vorgesetzte im Newsroom der Zeitung, hat auch einen südkoreanischen Familienhintergrund, was im Fall einer Zeugenbefragung zu einem empathischen Schlüssel wird: Diese Menschen werden als „Hafu“ bezeichnet, was Halb-Japaner bedeutet und mitunter massive soziale Ausgrenzung nach sich zieht.
Für diese Fremdheitsgefühle, die Verlorenheit und die existenzielle Anspannung findet "Tokyo Vice" beeindruckend subtile Formen. Die Serie beginnt nicht mit der konventionellen Etablierung von Orten; sie verschafft kaum Orientierung. Vielmehr wird eine investigative Logik etabliert, in die man unmittelbar hineingeworfen wird. Nur stückweise wagt sich die Erzählung nach vorne, versucht behutsam, die komplexeren Ebenen wie die Schale einer Zwiebel zu lösen, um dann erneut auf weitere komplexe Zusammenhänge zu stoßen.
Voller ästhetischer Finessen
Am Anfang sieht man die noch unbekannten Figuren Jake und Katagiri, wie sie akribische Vorsichtsmaßnahmen durchsprechen. Sie wollen sich mit Personen aus dem organisierten Verbrechen treffen. Mehr wird nicht erklärt. Ein Tisch in der Öffentlichkeit, ein verdeckter Ermittler als zugewiesener Kellner – nichts wird dem Zufall überlassen, um das Risiko einer Falle zu minimieren. Offenbar hat man es mit einem gefährlichen Gegner zu tun, der dann kurzerhand die Spielregeln der Situation verändert: Das Treffen wurde spontan in eine private Ebene des Restaurants verlegt, was die Situation unkontrollierbar werden lässt.
Synchron zum Geräusch der sich schließenden Fahrstuhltüren fährt die Kamera ein kleines Stück in den Raum hinein. Es mag nur eine kleine Bewegung sein, eine unscheinbare Verengung des Ortes, die jedoch von ungemeiner Wirkung ist: So zieht sich eine Schlinge zu. Insbesondere die Pilotfolge von „Tokyo Vice“ ist voll von solch kleinen formal-ästhetischen Finessen.
Gedreht hat diese erste Episode Michael Mann, dessen Handschrift deutlich zu erkennen sind. Selbst in scheinbar ruhigen Szenen gibt es diese minimalen, sehr kontrollierten Bewegungen der Bilder, die ein Gefühl der Suche aufsteigen lassen, das vor sich selbst auf der Hut ist: lauernd, abwartend. Hier ist jemand, Jake, beständig unter Strom, aber auch gewillt, schneller und besser als die anderen zu sein. Diese visuellen Eigenständigkeiten finden sich auch in den anderen Folgen, wobei auch die Eigenheiten der weiteren Regisseure (Josef Kubota Wladyka, Hikari, Alan Poul) zugelassen werden, die in ihren feinen Unterschieden zur großen Qualität dieser packend-düsteren und komplexen Serie beitragen.