Biopic | USA 2022 | 400 (8 Folgen) Minuten

Regie: Antonio Campos

Biografische Krimi-Miniserie nach realen Ereignissen um den Gerichtsfall des Kriminalautors Michael Peterson, der wegen eines als Treppensturz getarnten Mordes an seiner zweiten Ehefrau Kathleen 2003 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und seinen Fall für eine True-Crime-Dokuserie zur Verfügung stellte. Die Serie entwirft, festgemacht an einem mit vielen starken Schauspielleistungen aufwartenden Ensemble, eine vielstimmige Aufarbeitung der Ereignisse und macht aus dem undurchsichtigen Fall und der medialen Verarbeitung einen schlauen Kommentar über Manipulation von Wahrheit, die Schaulust des Publikums und das breit gefächerte Familiendrama, das alldem zugrunde liegt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE STAIRCASE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Annapurna Television/HBO Max
Regie
Antonio Campos · Leigh Janiak
Buch
Antonio Campos · Craig Shilowich · Emily Kaczmarek · Maggie Cohn
Kamera
Lyle Vincent · Michael Svitak
Musik
Danny Bensi · Saunder Jurriaans
Schnitt
Christopher Rand
Darsteller
Toni Collette (Kathleen Peterson) · Colin Firth (Michael Peterson) · Sophie Turner (Margaret Ratliff) · Michael Stuhlbarg (David Rudolf) · Dane DeHaan (Clayton Peterson)
Länge
400 (8 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Biopic | Drama | Krimi | Serie

Biografische Krimi-Miniserie um den langwierigen Gerichtsfall des Kriminalautors Michael Peterson, der wegen eines als Treppensturz getarnten Mordes an seiner zweiten Ehefrau Kathleen Atwater angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Diskussion

Als ob ein gewaltsamer Tod nicht ausreichen würde: Das Opfer Kathleen Peterson (Toni Collette) muss gleich mehrmals sterben in Antonio Campos Miniserie „The Staircase“. Denn es gibt verschiedene Theorien dazu, wie die Ehefrau des Schriftstellers und angehenden Politikers Michael Peterson (Colin Firth) am 9. Dezember 2001 ums Leben kam. Klar ist nur, dass die Polizei sie spätabends blutüberströmt auf dem Treppenabsatz des Familienhauses in Durham, North Carolina fand, nachdem Michael den Notruf benachrichtigt hatte. Michaels Version: ein Unfall, den er selbst nicht mitbekommen habe. Nur wenig später kamen anhand der enormen Blutmenge und einiger in der Autopsie gefundener Verletzungen Zweifel an Petersons Geschichte auf. 2003 wurde er des Mordes schuldig gesprochen und inhaftiert.

Eine aufsehenerregende True-Crime-Story

In den USA ist der Fall allgemein bekannt, vor allem wegen einer achtteiligen Dokuserie, die der französische Filmemacher Jean-Xavier de Lastrade 2004 über den Prozess veröffentlichte. Später folgten weitere Episoden und Filme, denn der Fall wurde wegen diverser Ermittlungsfehler immer wieder aufgerollt. Letztlich bekannte Peterson sich 2017 formal schuldig, um frühzeitig entlassen zu werden, eine Option, die in den USA als „Alford Plea“ bekannt ist. „The Staircase“ war damals eine der aufsehenerregendsten True-Crime-Serien und ist sozusagen ein Klassiker des Genres, in dem reale Kriminalfälle dokumentarisch beleuchtet werden.

Der amerikanische Filmemacher Antonio Campos liefert mit seiner Miniserie nun eine fiktionalisierte Adaption der Dokuserie, weitet jedoch den Fokus auf alle Beteiligten aus. Während de Lastrade sich auf den Prozess und dessen Nachwehen konzentrierte, holt Campos viel weiter aus und verquickt drei Hauptstränge miteinander: Er begleitet die gesamte Familie sowie das Team um Petersons Anwalt David Rudolf in der Zeit von Kathleen Petersons Tod bis hin zu Michaels Schuldspruch und seiner Inhaftierung, erzählt in Rückblicken von den Monaten vor Kathleens Tod und webt in einem dritten Erzählstrang de Lastrades Arbeit an der Dokuserie mit ein. Michaels spätere Liebesbeziehung mit der Editorin der Dokuserie spielt ebenfalls eine Rolle.

Eine Gesamtschau der zwischenmenschlichen Beziehungen

Dabei springt Campos sehr frei zwischen den verschiedenen Handlungssträngen und Zeitebenen hin- und her: Beinahe impressionistisch setzt er eine Gesamtschau der zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Peterson-Familie zusammen – „The Staircase“ ist ein großartiges Ensemblestück, angeführt von Colin Firth als Michael und Toni Collette als Kathleen. Jedes einzelne Mitglied der Patchwork-Familie bekommt Raum. Das wirkt sich auf die Erzählgeschwindigkeit der Serie aus, denn die eigentliche Kriminalhandlung geht behäbig voran, macht jedoch so die Monate des Bangens und Wartens auf das Gerichtsurteil spürbar. Vor allem das Opfer dieses Falles bekommt hier ausreichend Aufmerksamkeit: Kathleen ist nicht nur eine Leiche, ein Indiz oder Beweismittel. Sie wird zu einer realen Person, die vor ihrem gewaltsamen Tod Zentrum der Familienstruktur war.

Brüche in der Familiendynamik werden sichtbar, etwa das angespannte Verhältnis zu Michaels Sohn Clayton (Dane DeHaan), der mit Alkoholproblemen kämpft und einige Jahre zuvor einen Skandal während des Spring Breaks verursacht hat, über den nicht gesprochen werden darf. Auch geht Campos dem latenten Gefühl nach, nicht ganz zur Familie zu gehören, das Kathleens Tochter aus erster Ehe, Caitlin (Olivia DeJonge), schon immer plagt, und verknüpft es mit deren Zweifeln an Michaels Geschichte vom Tod der Mutter. Kathleens Dauererschöpfung angesichts ihres Managerjobs, des Familienlebens und ihrem Versuch, Michael bei seinem ersten Wahlkampf zu unterstützen – sie könnte Auslöser für einen Bruch in der Beziehung sein, oder nur Symptom einer angespannten Ehe.

Lebendig und tot zugleich

Kathleen ist in „The Staircase“ lebendig und tot zugleich, und dieses Paradoxon spiegelt sowohl das Dilemma eines True-Crime-Formats wie der originalen Doku-Serie als auch das des Filmemachers Campos selbst: Sie behaupten, mit objektiven Fakten zu arbeiten und so der Wahrheit Stück für Stück näherkommen zu können, wenn sie diese Puzzleteile nur richtig zusammenfügen. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Petersons Angehörige entwickeln Theorien dazu, wie Kathleens Verletzungen entstanden sein können, und Campos re-inszeniert sie allesamt: Unfall, Mord und selbst die abstruse Theorie eines Nachbarn – sie alle stehen gleichberechtigt nebeneinander. Das Publikum sieht Kathleen mehrfach blutrünstig sterben, und es stellt sich ein merkwürdiger Abnutzungseffekt ein: Ist das viele Blut beim ersten Mal noch schockierend, bleibt dieser Effekt später aus.

Michaels Beziehung zu de Lastrades Editorin Sophie ist letztlich der Schlüssel zu Campos’ Konstrukt. Sie steht für das Unmögliche zwischen Künstler und Subjekt und wirft die Frage auf, ob Filmemacher, egal ob sie fiktional oder dokumentarisch arbeiten, objektiv sein können oder gar müssen. Wahrheit, so stellt es sich in „The Staircase“ dar, ist immer nur ein Konstrukt, egal ob es sich um kriminalistische Beweisführung handelt, um ein True-Crime-Format oder um Campos’ Serie selbst. Sie ist immer manipuliert: von Medien, persönlichen Interessen, ästhetischen Anliegen oder purer Schaulust.

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