Die ersten Bilder zeigen in Großaufnahme die Vorbereitung eine Sitzung. Schreibblöcke, Stifte und Namenskärtchen werden auf einer u-förmigen Tafel verteilt; jedes Utensil bekommt seinen vorher bestimmten Platz. Die Schreibblöcke parallel zur Tischkante; die Karten je nach Bedeutung und Gewichtung der Behörden und Ämter, die von den entsprechenden Personen vertreten werden.
Regisseur Matti Geschonneck und seine beiden Drehbuchautoren Magnus Vattrodt und Paul Mommertz haben diese Motive nicht von ungefähr an den Beginn gestellt. Der Film eröffnet gleichsam mit einer Metapher: Das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, das in der nur knapp neunzigminütigen „Wannseekonferenz“ beschlossen und besiegelt wurde, startete am Morgen des 20. Januar 1942 mit der kalten bürokratischen Routine eines Verwaltungsakts.
Besprechung mit anschließendem Frühstück
Der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, hatte hochrangige Vertreter der NS-Regierung und der SS-Behörden zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ in die ehemalige Fabrikantenvilla am Berliner Wannsee eingeladen. Thema der Runde war die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“: der Ablauf und die Zuständigkeiten bei der Mordaktion an rund elf Millionen jüdischen Männern, Frauen und Kindern. Von dieser Konferenz, die es offiziell nie gegeben hatte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine Protokollabschrift gefunden. Darauf basieren die Dialoge des Films. Hinzu kommen einige Gespräche vorab und in den Pausen, die von den Autoren erfunden wurden.
Das ZDF und die Produktionsfirma Constantin Television GmbH knüpfen mit der „Wannseekonferenz“ an klassische Fernsehformate aus der Frühzeit des Mediums an. Besonders in den späten 1950er- und in den 1960er-Jahren hatte es in West wie Ost eine Reihe von „Dokumentarspielen“ gegeben, in denen politische Kriminalfälle, häufig gespiegelt an Gerichtsprozessen, auf der Basis überlieferter Akten möglichst authentisch nachgestellt wurden. Der Deutsche Fernsehfunk (DFF) in Adlershof präsentierte regelmäßig ein „Weimarer Pitaval“, mit dem der Staranwalt Friedrich Karl Kaul als Co-Drehbuchautor diverse Justizvorgänge rekonstruierte, stets verbunden mit der didaktischen Absicht, die Weimarer Justiz als „Klassenjustiz“ zu entlarven.
Diese Art von „Dokumentarspielen“, sachlich, nüchtern, mit starken Darstellerinnen und Darstellern inszeniert, wurde in den letzten Jahrzehnten fast vollkommen von einem aus dem anglo-amerikanischen Fernsehen entlehnten politischen Entertainment verdrängt, das eine Mischform aus Dokumentarmaterial und nachgestellten Szenen präsentierte; fast durchgängig unterlegt mit einem Musikteppich, der die Emotionen der Zuschauer lenkte und anheizte. Die gespielten Momente, Reenactment genannt, wirkten qualitativ oft wie Laientheater, billig inszeniert und intellektuell anspruchslos.
Mit größtmöglicher Effizienz
In diese Nähe wollte sich Matti Geschonneck unter keinen Umständen begeben. Seine Entscheidung, komplett auf Musik zu verzichten, trägt zur bewussten Strenge des Films bei. Geschonneck war es wichtig, die Figuren nicht zu dämonisieren, keine konventionellen (Film-)Bösewichter vorzuführen, sondern eiskalte strategische Planer, die ohne jeden Skrupel den Willen ihres „Führers“, ein ganzes Volk zu vernichten, mit größtmöglicher Effizienz in die Tat umsetzen – als „angenehm technische, effiziente Vorgänge“, wie der Protokollführer der Wannseekonferenz, Adolf Eichmann, einmal zur geplanten „Vergasung“ in Auschwitz anmerkt.
Die filmische Zeit entspricht hier der Realzeit; nach 104 Minuten sind Konferenz und Film zu Ende; im Abspann ist dann nur noch zu lesen, dass der Besprechung der Tod von rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden folgte.
Philipp Hochmair spielt Reinhard Heydrich: Jovial und fast immer mit einem Lächeln im Gesicht, beschwört er den „Mut zum großen Wurf, zur großen Vision“. Das Wort Tötung kommt ihm dabei nicht über die Lippen; er verwendet stattdessen Begriffe wie „Neuordnung“, „Aufrassung“ und immer wieder „Endlösung“: Die Sprache der Wannseekonferenz bündelt die Sprache des „Dritten Reiches“, die von Victor Klemperer später so penibel beschriebene „Lingua Tertii Imperii“ LTI, auf knappstem Raum, in knappster Zeit.
Das weitere Schicksal der Beteiligten
Geschonneck besetzt die Rollen entsprechend dem Alter ihrer „Vorbilder“: Die Männer, die hier agieren (als einzige Frau ist eine Sekretärin dabei), sind zumeist zwischen dreißig und vierzig. Wie nebenher teilt der Film mit, dass nur neun Jahre zwischen Hitlers Machtübernahme und dem millionenfachen Mordplan vergingen und das Gift der NS-Ideologie seine Wirkung in vergleichsweise kurzer Zeit erfüllt hatte. Was der Film nicht mitteilt, auch nicht mitteilen will, ist das weitere Schicksal der Beteiligten, was aus ihnen im Einzelnen wurde. Dass Reinhard Heydrich schon fünf Monate später in Prag nach einem Attentat starb, ist bekannt; doch was geschah mit den Herren der Partei- und Ministerialbürokratie?
Etwa mit Wilhelm Stuckart (Godehard Giese), jenem Mitarbeiter des Innenministeriums, der sich den von Heydrich vorgeschlagenen Maßnahmen zunächst wegen „Gesetzesbruchs“ an sogenannten „Mischlingen“ zu verweigern scheint, dann aber mit einem eigenen Vorschlag zur Zwangssterilisierung aufwartet? Für einen Moment keimt in „Die Wannseekonferenz“ die Zuversicht auf, dass sich in Stuckarts gedanklichem Universum ein Rest von Humanität erhalten haben könnte. Doch das erweist sich bald als Illusion. Gerade in den Dialogen zwischen ihm, dem Richter Roland Freisler (Arnd Klawitter) und Heydrich wird deutlich, dass bei den Bürokraten der Wannseekonferenz jede Hoffnung auf eine menschliche Regung vergebens ist.
Erich Neumann (Matthias Bundschuh), der auf der Wannseekonferenz gefordert hatte, jüdische Arbeiter aus kriegswichtigen Betrieben erst dann zu deportieren, wenn anderweitig für Ersatz gesorgt würde, lebte bis 1951 in Garmisch-Partenkirchen. Georg Leibbrandt (Rafael Stachowiak) aus der „Zentralbehörde für die besetzten Ostgebiete“ fungierte 1955 als Berater Konrad Adenauers bei der Rückführung deutscher Kriegsgefangener aus der Sowjetunion, leitete danach das Bonner Büro der Salzgitter AG und starb 1982 in Bonn. Otto Hoffmann (Markus Schleinzer), Chef des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS, war nach seiner Begnadigung 1954 kaufmännischer Angestellter in Baden-Württemberg; er starb ebenfalls 1982. Und Gerhard Klopfer (Fabian Busch), Mitarbeiter der Parteikanzlei und zuständig für „Rasse- und Volkstumsfragen“, wurde 1949 als „minderbelastet“ entnazifiziert, wirkte als Anwalt, baute nebenbei Dinkel an und widmete sich weiterhin dem „Kampf gegen den Bolschewismus“. Als letzter Teilnehmer der Wannseekonferenz starb er 1987 in Ulm. In seiner Todesanzeige war die Rede von „einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich waren“.
Ja, es gibt noch immer genügend Stoff für Dokumentarspiele, in denen die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ausgeleuchtet wird. Auch weit über das Ende der Nazidiktatur hinaus.