Es ist nicht ganz unüblich, dass Schriftsteller, die über Spionage schreiben, selbst einmal Geheimdienstleute waren. Sie eignen sich dafür, weil sich nicht nur Personal und Mechanismen der Dienste kennen, sondern auch die Kunst der Täuschung beherrschen. So mag es kaum verwundern, dass so renommierte britische Autoren wie John Le Carré oder Graham Greene einst beim MI5 und MI6 arbeiteten. Doch wer wusste schon, dass auch Ian Fleming, der Schöpfer des Superagenten James Bond, im Zweiten Weltkrieg an einer geheimen Operation beteiligt war, die den Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland entscheidend beeinflusste? Der Vorgang zwischen Januar und Juli 1943 hieß „Operation Mincemeat“ und war so geheim, dass nur ein Dutzend Menschen davon wussten.
„In jeder Geschichte, wenn es sich um eine gute Geschichte handelt, gibt das Sichtbare und das Verborgene“, schickt dann auch die zum Erzähler erhobene Filmfigur Ian Fleming (Johnny Flynn) als Motto voraus. Denn in diesem Film geht es um Akteure, die in dunklen Kellern minutiös an erfundenen Geschichten tüfteln, die Lorbeeren für ihre Taten aber nicht öffentlich ernten können. Treiber der Handlung ist Ewen Montagu (Colin Firth), ein jüdischer Anwalt und Marineoffizier, der zu Beginn des Jahres 1943 aus Angst vor einer deutschen Invasion Großbritanniens seine Frau und Kinder in die sicheren USA schickt. Da Winston Churchill den USA versprochen hat, bis zum Juli 1943 eine alliierte Landung auf Sizilien zu ermöglichen, lässt er das sogenannte Twenty Committee tagen, in das auch Montagu berufen wird. Es soll ein Täuschungsmanöver für die Deutschen aushecken und sie glauben lassen, dass die Alliierten keine Invasion Siziliens planen, sondern über den Peloponnes den europäischen Kontinent erobern wollen.
Geheime Pläne in der Aktentasche
Zusammen mit dem Lieutenant Charles Cholmondeley (Matthew Macfadyen) entwirft Montagu ein Szenario, bei dem ein durch einen angeblichen Flugzeugabsturz zu Tode gekommener britischer Major bei Cádiz an die spanische Küste angeschwemmt wird, der die geheimen Pläne der griechischen Invasion in einer an sein Handgelenk geketteten Aktentasche bei sich führt.
Der Geheimdienstdirektor Admiral John Godfrey (Jason Isaacs) steht dem Vorhaben zwar skeptisch gegenüber, doch mit Unterstützung von Winston Churchill machen sich Montagu und Cholmondeley an die Arbeit. Im Leichenschauhaus finden sie einen jungen Mann, der an einer Lungenentzündung gestorben ist und deshalb als Wasserleiche herhalten kann. Sie denken sich einen unverfänglichen Namen für den vermeintlichen Major aus und basteln an seiner Legende. Die Sekretärin Jean (Kelly MacDonald) wird Teil des Teams und steuert ein Privatfoto bei, das sie als angebliche Verlobte des Toten zeigt. Während Cholmondeley sofort ein Auge auf die attraktive Witwe geworfen hat, entwickelt diese jedoch tiefere Gefühle für den verheirateten Montagu. So entsteht eine Rivalität zwischen den beiden Männern, die fast ihre Zusammenarbeit ruiniert. Dennoch geht im Juli 1943 die Operation über die Bühne.
„Die Täuschung“ verhandelt einen spektakulären Vorgang auf sehr dezente Weise. Es geht um den Dienst am Vaterland und um Patriotismus, was von den Figuren gleichermaßen mit Zurückhaltung verkörpert wird. Oft spielt der Film in schlecht beleuchteten Räumen, was die Geheimhaltung des Teams symbolisieren soll, aber auch London während des Zweiten Weltkriegs widerspiegelt; wegen der ständigen Gefahr deutscher Luftangriffe war die Stadt abends nur spärlich beleuchtet. Wenn draußen zu später Stunde Menschen unterwegs sind, bahnen sie sich mit rasch ausblendbaren Taschenlampen den Weg durch die düstere Stadt.
Das Publikum wird bei Laune gehalten
Unerwiderte Liebe und Eifersucht erdulden die Figuren zwar leidend, aber mit Contenance. Montagu und Cholmondeley tragen ihre Rivalität als Gentlemen aus. Denn Figuren wie Film arbeiten hartnäckig an ihrer Aufgabe, die Mission gelingen zu lassen, beziehungsweise das Publikum bestmöglich bei Laune und Spannung zu halten. Der Film verkommt nie zu einer trockenen Schilderung der geheimen Arbeit, sondern variiert die Schauplätze von London über Schottland bis hin nach Spanien oder blickt in britische und deutsche Amtsstuben. Durch eine geschickte Verzahnung von beruflicher und privater Ebene steigert Regisseur John Madden, der sich hier erneut als souveräner Meister der Inszenierung erweist, die Spannung zusätzlich.
Auch unverhoffte humorvolle Szenen lockern die Atmosphäre auf. Als Running Gag tauchen immer wieder Militärs auf, die – sehr zum Unwillen von Cholmondeley – nebenbei Romane schreiben und damit als Vorbilder der späteren Thriller-Koryphäe Fleming fungieren. Den sieht man gelegentlich mit lässig im Mundwinkel hängender Zigarette auf seine Schreibmaschine einhämmern und auf die Frage, was er da schreibe, „Spionagegeschichten“ antworten. Regelmäßig erfolgen amüsante Anspielungen auf James Bond, deren authentische Vorlagen Madden in einem Interview bestätigt hat. So verpasste Fleming seinem autoritären Vorgesetzten Godfrey tatsächlich den Spitznamen „M“, denn er ist genauso furchteinflößend wie Flemings Mutter. In der „Q-Branch“ wiederum werden Gadgets entworfen, zum Beispiel eine Armbanduhr, die auch als Kreissäge fungiert.
Erfolg durch glaubhafte Geschichten
Doch nicht nur Fleming agiert hier als Schöpfer von (künftiger) Fiktion. Die ganze Operation kann nur gelingen, weil sich das Team glaubhafte, aber fiktive Geschichten ausdenkt, die Menschenleben retten sollen. „Die Täuschung“ beleuchtet das Wechselspiel zwischen Wahrheit und Fiktion, Krieg und angestrebtem Frieden, zwischen der Fassade der Figuren und ihren privaten Geheimnissen. So deutet der Film, dessen hervorragendes Ensemble von einem subtil agierenden und doch eindringlichen Colin Firth angeführt wird, auch schon auf die bevorstehende Historie hin. Denn durch Godfreys Auftrag an Cholmondeley, Montagus Bruder Ivor auszuspionieren, der verdächtigt wird, für die Sowjets zu arbeiten, kündigt sich bereits der Kalte Krieg an. Der bot Ian Fleming nach 1945 bekanntlich den besten Stoff für seine Spionagegeschichten und seinen berühmten Agenten James Bond.