Der Schein trügt (2020)
Drama | Bosnien-Herzegowina/Deutschland/Kroatien/Montenegro/Nordmazedonien/Serbien/Slowenien 2020 | 128 Minuten
Regie: Srdjan Dragojevic
Filmdaten
- Originaltitel
- NEBESA
- Produktionsland
- Bosnien-Herzegowina/Deutschland/Kroatien/Montenegro/Nordmazedonien/Serbien/Slowenien
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- Ma.ja.de. Fiction/Delirium Films/Sektor Film/Forum Ljubljana/Studio dim/Montenegro Max Film/Novi Film
- Regie
- Srdjan Dragojevic
- Buch
- Srdjan Dragojevic
- Kamera
- Dusan Joksimovic
- Musik
- Aleksandar Buzadzic · Igor Perovic
- Schnitt
- Petar Markovic
- Darsteller
- Goran Navojec (Stojan) · Ksenija Marinkovic (Nada) · Natasa Markovic (Julija) · Bojan Navojec (Gojko) · Danijela Mihajovic (Borka)
- Länge
- 128 Minuten
- Kinostart
- 16.12.2021
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Episodenfilm | Fantasy | Komödie
- Externe Links
- TMDB
Heimkino
Satirische Turboklamotte auf drei Zeitebenen über neokapitalistische Zustände in Serbien.
Es war ein Paukenschlag, als der serbische Filmemacher Srdjan Dragojević 1996 mit „Dörfer in Flammen“ auf sich aufmerksam machte. In den USA feierte man seinen ebenso wuchtigen wie kontroversen Film über den Krieg in Post-Jugoslawien und verglich ihn mit Kubricks „Full Metal Jacket“. Schon damals erwies sich Srdjan Dragojević als wirkungsvoller Provokateur, der Satire, Tragödie, Pathos, schwarzen Humor und ein ausgeprägtes Machogehabe miteinander verband.
Es ist deshalb kein Zufall, dass auch sein Episodenfilm „Der Schein trügt“ mit diesen Stilelementen aufwartet und zudem im Jahr 1993 beginnt, als in großen Teilen Jugoslawiens noch Krieg herrschte.
Puppen und Plüschtiere brennen
Stojan, der gutmütige Antiheld und überzeugte Kommunist des ersten Kapitels „Sünde“, ist mit Frau und Kind auf der Flucht in einer Kleinstadt gelandet, in der er nicht geachtet wird. Er kann seiner Tochter nicht die schicken Sportschuhe kaufen, die man nur für D-Mark bekommt, und seine dominante Frau ist mit ihm und allem schon lang mehr als unzufrieden. In einer Welt ohne Solidarität, in der kleine Kinder schon in der Anfangssequenz Puppen und Plüschtiere verbrennen, muss jeder seine eigene Glühbirne mit sich führen, wenn er in öffentlichen Räumen, etwa dem Gemeinschaftsbad, Licht haben will.
Just beim Eindrehen der Glühbirne geschieht das erste von drei Wundern. Nach einem Kurzschluss strahlt über dem sanftmütigen Stojan ein Heiligenschein. Seine Frau versucht mit aller Kraft und mit allen Mitteln, diesen Makel ihres Ehemannes wieder loszuwerden. Doch vergeblich. Bis ein korrupter Priester auf die Idee verfällt, dass der Gatte es ja mit Völlerei, Faulheit und Ehebruch versuchen könnte. Bei so vielen Sünden verschwände der Heiligenschein ganz von selbst.
Mit viel Lust an Überzeichnung und Groteske wird man Zeuge, wie sich der „gute Mensch vom Balkan“ plötzlich in einen machtgeilen Despoten verwandelt, der mit Freude seine Frau schlägt, brutalen Sex hat und die kleine Tochter zur Hure machen möchte. Nur den Heiligenschein wird er nicht los, egal wie viel er auch sündigt.
Es mangelt an Subtilität
Der überlange erste Teil ermüdet allerdings zusehends, weil die Parabel auf Turbokapitalismus, die Verlogenheit der Kirchenvertreter und das „Böse“ im Menschen schnell verstanden ist. Da es der Inszenierung erzählerisch und stilistisch an Subtilität und komplexen Figuren mangelt, bleibt nur eine klamottig-derbe Satire mit einem mehr als fragwürdigen Frauenbild und jeder Menge unsympathischer Machos.
Natürlich will Srdjan Dragojević verstören, provozieren und kritisieren. Da fast alle Figuren überzeichnet sind und sich selbst demontierten, löst „Der Schein trügt“ aber zunehmend Irritation aus. Auch die beiden folgenden Kapitel „Gnade“ und „Das Goldene Kalb“ unterscheiden sich darin kaum. „Gnade“ spielt im Jahr 2001 und erzählt von einem zweiten Wunder. Ein zum Tode verurteilter und geistesgestörter Mann verwandelt sich in einen Säugling. Der Gefängnisdirektor, den man als Stojan aus dem ersten Kapitel wiedererkennt, will auch das Baby hinrichten.
Eine Frage des (Film-)Geschmacks?
Fast wie ein Epilog wirkt das letzte Kapitel, dass im Jahr 2026 spielt und in dem aus dem Baby ein schizophrener Maler in ärmlichen Verhältnissen geworden ist, der „nahrhafte“ Kunst herstellen kann. Ein autoritärer Staatschef, wieder Stojan mit dem Heiligenschein, will das Wunder verstaatlichen. Doch auch in den sehr viel kürzeren und absurderen Kapiteln vermag es Dragojević nicht, aus den interessanten Prämissen überzeugende Geschichten zu machen.
Am Ende ist das vielleicht aber auch eine Frage des (Film-)Geschmacks. Auch Dragojevićs bekanntester Film „Parada“, eine Satire um ein schwules Pärchen, das von einem homophoben Macho beschützt werden soll, polarisierte. Der sehr speziell männliche Testosteron-Humor vieler satirischer Tragikomödien aus den jugoslawischen Nachfolgestaaten lässt sich nicht so einfach exportieren. Vielleicht fehlen Zuschauern, die keine Anhänger dieses überdreht-klamottigen Filmstils sind, schlicht die Voraussetzungen, um Filme wie „Der Schein trügt“ goutieren zu können.