Er lächelt, sie fotografiert: Janis (Penelope Cruz) trifft Arturo (Israel Elejalde) zum ersten Mal bei einem Fototermin in Madrid. Sie ist eine erfolgreiche Fotografin, er ein bekannter Gerichtsmediziner, der als forensischer Archäologe die in Massengräbern verscharrten Opfer des Franco-Regimes identifiziert. Spanien ist im Winter 2016 in Bezug auf die Vergangenheit und die Frage, wie man mit den Verbrechen der Diktatur umgehen soll, politisch polarisiert.
Janis bittet Arturo um Hilfe bei der Exhumierung ihres Urgroßvaters und anderer Opfer im Dorf ihrer Familie in Kastilien. Die beiden verstehen sich, kommen sich näher und werden ein Paar. Als Janis schwanger wird, zögert Arturo jedoch. Sie trennt sich von ihm und entscheidet sich, das Kind allein aufzuziehen. Wie es schon ihre Mutter und ihre Großmutter getan haben.
In der Entbindungsklinik lernt Janis Ana (Milena Smit) kennen. Die ist fast noch ein Kind und wurde nach einer Vergewaltigung durch eine ganze Horde von Männern schwanger; in der älteren Janis findet sie jemand, der ihr Rat und emotionalen Rückhalt gibt. Die beiden werdenden Mütter freunden sich im Krankenhaus an, verlieren sich nach den Geburten ihrer Kinder aber wieder aus den Augen. Als sie sich Monate später zufällig wiedertreffen, ist alles anders.
Facetten des Mutterseins
Pedro Almodóvar ist ein Meister der bewegten Tragödie, bei der sich über melodramatischer Schicksalsverflechtungen immer wieder neue Erzählebenen öffnen. So erzählt „Parallele Mütter“ von ganz unterschiedlichen Facetten des Mutterseins. Da ist zum Beispiel Teresa (Aitana Sanchéz Gijon), die Mutter von Ana, die nach der Scheidung auf ihre Tochter verzichten musste, erst über deren Schwangerschaft wieder Kontakt zu ihr bekam und sich selbst als „unfähig, zur Mutterschaft“ bezeichnet. Oder, nur über Erzählungen im Film präsent, die Mutter von Janis, die ihre Tochter nach ihrem Idol Janis Joplin benannte und dann selbst wie die Sängerin an einer Überdosis Drogen starb. Oder Ana, die ihr Kind in einem entscheidenden Moment als Geisel in einem emotionalen Konflikt einsetzt, der den Film in der zweiten Hälfte prägt. „Parallele Mütter“ erzählt über diese Mutterfiguren und Mütter-Töchter-Beziehungen von biologischer, gesellschaftlicher, familiärer und individuell, aus den persönlichen Erfahrungen geprägter Identität.
Vom ersten Moment des Films an ist der ganz besondere Stil Almodovars zu erkennen: die bis ins kleinste Detail stilisierte Ausstattung, die Palette leuchtender Farben, die José Luís Alcaíne virtuos ins Bild setzt, umspielt von der dynamischen, oft antreibenden bis kontrapunktischen, sinfonischen Musik von Alberto Iglesias. Getragen wird „Parallele Mütter“ aber auch vom Zusammenspiel der Hauptdarstellerinnen Penelopé Cruz und Milena Smit, die zwischen Freundschaft, Liebe, Hass und Eifersucht eine enorme Bandbreite menschlicher Empfindungen durchmessen.
Das Versagen der Väter und Mütter
„Parallele Mütter“ verbindet das Gefühlsdrama auch mit dem Politischen. Das ist ungewöhnlich für Pedro Almodóvar, dessen Wurzeln in der Madrider „Movida“ liegen, die in den 1980er-Jahren einen apolitischen Hedonismus propagierte und die Vergangenheit verdrängte. Das änderte sich erst um das Jahr 2000, als Massengräber der Franco-Diktatur geöffnet wurden und die Generation der Enkel eine neue Massenbewegung der historischen Erinnerung ins Leben rief.
In diesem Zusammenhang handelt „Parallele Mütter“ auch von mangelnder gesellschaftlicher Ehrlichkeit, vom kollektiven Schweigen und von Feigheit und dem Versagen der Väter und Mütter. Anas konservativer Vater ist der Überzeugung, dass man die Toten in den Massengräbern in Ruhe lassen und keine alten Wunden aufreißen sollte. Die Vergewaltiger seiner minderjährigen Tochter will er auch nicht anzeigen, da er den Skandal in der Provinzstadt Granada fürchtet.
Aber auch Arturo, der sich der Suche nach der Wahrheit verschrieben hat und mit Leib und Seele nach den Opfern der Diktatur fahndet, ist nicht imstande, seiner krebskranken Ehefrau von seiner neuen Liebe zu Janis und dem gemeinsamen Kind zu erzählen. Und auch Janis schafft es nicht, mit Ana über das Geheimnis um das Schicksal ihrer beider Kinder zu sprechen.
Almodóvars politischster Film
Am Ende, so die Botschaft von „Parallele Mütter“, kann nur die Ehrlichkeit Frieden bringen und zu einem selbstbestimmten, glücklichen Leben befreien. Almodovar unterstreicht ohne Selbstgerechtigkeit, dass es ohne Frieden mit der Vergangenheit keine Zukunft geben kann. „Parallele Mütter“ ist damit Almodovars bisher politischster Film, ein subtil konstruiertes Drama um Grundfragen der menschlichen Existenz. Es geht um Muttersein, um Tod und Hoffnung, aber auch eine intelligente Radiografie der spanischen Gesellschaft, die immer noch zerrissen ist, weil sie keine Verantwortung für ihre Vergangenheit übernimmt.
„Parallele Mütter“ handelt von schmerzhaften Reifeprozessen, von Versöhnung und Neubeginn. Das rätselhafte, magisch-realistische Schlussbild der Lebenden inmitten einer Grube voller Toten bleibt lange im Gedächtnis.