Vincents Welt

Drama | Italien 2019 | 94 Minuten

Regie: Gabriele Salvatores

Als ein italienischer Sänger wieder bei einer früheren Freundin auftaucht, die er während ihrer Schwangerschaft verließ, weist ihn die wieder Verheiratete zurück. Bei der Weiterfahrt zu einer Tour durch Slowenien und Kroatien entdeckt der Sänger jedoch, dass sein 16-jähriger autistischer Sohn sich ins Auto geschlichen hat. Er beschließt, ihn mitzunehmen, um ihn endlich kennenzulernen. Tragikomisches Drama mit sympathischen, frei von Klischees gezeichneten Figuren, inszeniert mit leichter, nicht allzu beschönigender Hand. Der charmante, mit märchenhaften Elementen versetzte Film ist von leisem Humor geprägt und profitiert von hervorragenden Darstellern. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TUTTO IL MIO FOLLE AMORE
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Indiana Prod./Rai Cinema/EDI
Regie
Gabriele Salvatores
Buch
Umberto Contarello · Sara Mosetti · Gabriele Salvatores
Kamera
Italo Petriccione
Musik
Mauro Pagani
Schnitt
Massimo Fiocchi
Darsteller
Valeria Golino (Elena) · Giulio Pranno (Vincent) · Diego Abatantuono (Mario) · Claudio Santamaria (Willi) · Daniel Vivian (Dragan)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung | Road Movie
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IMDb | TMDB

Tragikomisches Road Movie um einen Sänger, der seinen autistischen Sohn, den er gerade erst kennengelernt hat, auf eine Tournee durch Slowenien und Kroatien mitnimmt.

Diskussion

Ein rohes Ei soll Vincent transportieren, auf dem Rücken eines Pferdes sitzend: So soll der autistische Junge lernen, sich zu fokussieren, auf sich zu achten. Als die Reitlehrerin die Longierleine an Vincents Mama weitergibt, eskaliert die Situation, das Pferd scheut – und das Ei zerbricht.

Mit Vincents Leben verhält es sich ein bisschen wie mit dem rohen Ei: Wie ein solches behandelt wird der womöglich allzu behütet aufwachsende 16-Jährige, der mit fürsorglicher Mutter und liebevollem Adoptivvater in einem luxuriösen Anwesen am Meer lebt und eine hochklassige inklusive Schule besucht. Im Laufe der in „Vincents Welt“ erzählten Story wird der Jugendliche zwar keineswegs „zerbrechen“ – aber doch ordentlich durchgeschüttelt werden. Anders aber als für das Ei erweist sich der Ausbruch aus den geordneten Bahnen für Vincent als wohltuend.

Der Vater weckt Vincents Interesse

Alles beginnt damit, dass der leibliche Vater des Jungen, ein etwas abgehalfterter Sänger, einen Auftritt in der Stadt hat. Einst ließ er Vincents Mama Elena schwanger sitzen und ließ sich auch die folgenden 16 Jahre nicht blicken. Nun steht Willi, wie so oft betrunken, vor Elena und begehrt, seinen Sohn kennenzulernen. Sie und ihr Mann Mario werfen ihn wütend hinaus, doch Vincents Interesse ist geweckt. Am nächsten Tag ist der Junge verschwunden. Und hüpft, Willi ist da längst auf dem Weg gen Slowenien zu seinem nächsten Auftritt, plötzlich aus seinem Versteck auf der Pick-up-Ladefläche seines Erzeugers.

Ein Road Movie beginnt, das, ganz nach den Regeln dieses klassischen Filmgenres, vom Zusammenwachsen der kleinen Reisegesellschaft erzählt. Über die Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen, Herausforderungen, Landschaften und Abenteuern lernen sich Willi und Vincent gegenseitig kennen.

So unterschiedlich Vater und Sohn sind, so neugierig sind sie aufeinander: Willi, der sich „Modugno von Dalmatien“ nennt, nach dem Sänger Domenico Modugno (dessen Hit „Volare“ Willi natürlich auch im Repertoire hat), und von slowenischem Tanztee zu kroatischer Hochzeit tingelt. Mit seinem leicht verblühten guten Aussehen, seinem etwas windigen Charme und dem Schmelz in der Stimme ist er die perfekte Projektionsfläche für seine weiblichen Fans im gehobenen Alter. Und Vincent, der, abgesehen von auswendig gelernten Sätzen wie seiner fast militärisch vorgetragenen Standard-Vorstellung „Vincent Manzato, geboren in Triest am 13. Juli 2003, als Sohn von Elena Manzato und adoptiert von Mario Topoi!“ nur bruchstückhaft spricht, seine Arme oft spastisch verrenkt, seine Emotionen sehr körperlich ausdrückt, sich zwischen Euphorie, Wut und Niedergeschlagenheit nicht gut regulieren kann und meist in seiner ganz eigenen Welt zu leben scheint.

Codes der Verständigung werden gefunden

Das ungleiche Paar wächst zusammen, findet Codes, um sich zu verständigen. Der ans einsame Touren gewöhnte Willi beginnt, die Gesellschaft seines ungewöhnlichen Sohnes zu schätzen. Und Vincent mag das abenteuerliche und aufregende Leben an der Seite seines stets abgebrannten, aber findigen leiblichen Vaters. Elena und Mario sind den beiden – auch die Verfolger gehören schließlich zu einem veritablen Road Movie dazu – auf der Spur und justieren bei der Gelegenheit auch die eigenen Lebensentwürfe und die Beziehung zueinander nach.

Tolle Figuren haben die Drehbuchautoren Umberto Contarello, Sara Mosetti und Gabriele Salvatores, der auch Regie führte, da geschrieben: Lose inspiriert von der als Buch aufgezeichneten wahren Geschichte von Franco und Andrea Antonello, werden hier sympathische, interessante, echte Protagonisten fernab von Klischees gezeichnet. Und die durchwegs hervorragenden Darsteller hauchen ihnen überzeugend Leben ein, allen voran der Debütant Giulio Pranno als Vincent. Mit seiner bezaubernden Unverfälschtheit und enormen Energie reißt Pranno alle Bedenken dieser herausfordernden Figur gegenüber weg, begibt sich mit Haut und Haar in die Rolle. Daneben gibt es die wie immer grandiose Valeria Golino als Elena, Claudio Santamaria als sympathischen Hallodri Willi und Diego Abatantuono als zugewandten, in sich ruhenden Mario, der nicht nur äußerlich ein Fels in der Brandung dieser impulsiven Familie ist.

Versetzt mit märchenhaften und grotesken Elementen

Gabriele Salvatores, der 1992 für Mediterraneo den „Oscar“ für den besten fremdsprachigen Film erhielt, inszeniert die tragikomische Story mit eher leichter, nicht allzu beschönigender Hand. Versetzt mit märchenhaften und grotesken Elementen, ist „Vincents Welt“ von einem absurden, leisen Humor geprägt und gerät nur gelegentlich in die Nähe kitschiger Gefilde. Eine äußerst charmante, atmosphärisch starke Mischung, zu der auch der von Mauro Pagani sorgfältig ausgewählte Soundtrack beiträgt: Auf diesem finden sich Songs wie „Vincent“ von Don McLean, nach dem Elena einst ihren Sohn benannte, aber auch „Diamonds on the Inside“ von Ben Harper, „Cornerstone“ von Benjamin Clementine, ein Violinkonzert von Johann Sebastian Bach oder die „Atomos“-Stücke von A Winged Victory for the Sullen.

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