Wärme und kühle Genauigkeit – zwischen diesen Polen bewegen sich die Bilder des Kameramanns Dick Pope in „Supernova“. Während Popes Kamera das alternde Paar Sam (Colin Firth) und Tusker (Stanley Tucci) voller Empathie begleitet, haben die herbstlichen Landschaften bei aller Schönheit etwas unangenehm Rasiermesserscharfes.
Die Welt ist voller visueller Reize, aber die Protagonisten sind dem Irdischen schon ein Stück weit abhandengekommen: Der Schriftsteller Tusker, die große Liebe des Pianisten Sam, ist an Demenz erkrankt. Während der Autor bereits mit ersten Ausfallserscheinungen zu kämpfen hat, durchquert das Paar im Wohnmobil Großbritannien, um Freunde und Familie zu besuchen und an Orte zurückzukehren, an denen es einst unbeschwerte Tage verbrachte. Auch ein letztes Konzert von Sam steht auf der Agenda, im kleinen Rahmen, irgendwo in Schottland. Ansonsten hat er seine Karriere als Pianist aufgegeben, um sich ganz der Pflege seines Lebensgefährten zu widmen.
Es gibt keinen Königsweg
Irritierend ist zunächst die technoide Präzision, mit der die Kamera im Drohnenflug am Van des Paars klebt. Bis man begreift, dass „Supernova“ auf subtile Weise Gegensätze etabliert: Einerseits die peinlich genaue Wegführung oder die ausdruckslose Stimme des Navigationsgeräts, dem Sam am Steuer folgt und das er und Tusker frotzelnd „Maggie Thatcher“ nennen; andererseits die Improvisation, die Selbstbestimmung, sogar das Sich-Verirren des Demenzkranken. Letzteres steht für die menschliche Dimension, von der der verhalten-gefühlvolle Film handelt. Perfektion ist der Tod. Gerade dann, wenn das Ende naht, sollte man die Restzeit mit Leben füllen. „Supernova“ zeigt, dass es in dieser Hinsicht keinen Königsweg gibt.
Harry Macqueen führt nicht nur Regie, er schrieb auch das Drehbuch – eine reife Gesamtleistung, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Filmemacher noch keine 40 ist. Im Pressematerial zum Film merkt Macqueen aber an, dass persönliche Erfahrungen im Bekanntenkreis in „Supernova“ miteingeflossen seien. Außerdem skizziert er eine umfangreiche Recherche über drei Jahre hinweg, während der er viele Gespräche mit Fachleuten und Betroffenen geführt habe. Umso mehr erstaunt es, dass dem Film nichts Besserwisserisches anhaftet, dass die Vorarbeit unsichtbar bleibt und die Inszenierung den Figuren den Raum gibt, sich in ihren Eigenarten zu entfalten.
Zu verschmerzen sind einige Untiefen, wozu auch der Nebenstrang um Tuskers Interesse an Astrologie zählt, ein Aspekt, dem der Film auch seinen Titel „Supernova“ verdankt (der Gegensatz zwischen unaufgeregtem Erzählen und explosiver Metapher ist im Übrigen sehr poetisch). Der Film beginnt mit einem Blick in den Sternenhimmel und Tuskers Erklärungen, wie man die Milchstraße finden kann, während das Paar vertraut nebeneinander im Bett liegt, am Morgen des Aufbruchs zum Roadtrip Richtung Norden. Am Ende kristallisiert sich das Himmelszelt-Bild zum Versprechen auf eine Weiterexistenz nach dem Tod – „Wir sind Sternenstaub“ –, was dann doch arg konventionell wirkt. Noch verzichtbarer wirken Dialogzeilen wie „Ich möchte als der in Erinnerung bleiben, der ich war, und nicht als der, der ich bald sein werde“. Dem Publikum wäre durchaus zuzutrauen, solche Gedanken aus Stanley Tuccis Gesicht herauszulesen.
Im Kernland der Exzentrik
Tucci und Colin Firth sind ein Geschenk für den Film. Ihre Sticheleien im Auto – „Wie wäre es, wenn du die extremeren Möglichkeiten des fünften Ganges erkunden würdest?“ – bieten kleine Humorinseln in einem durchaus bedrückenden Umfeld, zu denen auch Sams Sturz aus dem viel zu kleinen Bett in seinem alten Zimmer im Elternhaus zählt, in dem die beiden gemeinsam übernachten. Das unangestrengte Spiel der beiden Darsteller lässt vollkommen vergessen, dass ein schwules Paar dieser Generation selbst im Kernland der Exzentrik keine Selbstverständlichkeit ist.
Trotz einer nicht alltäglichen Konstellation – auch weil ein Schriftsteller und ein Klaviervirtuose im Fokus stehen – vermittelt „Supernova“ den Eindruck von „normalen“ Lebensverhältnissen, die von einer schlimmen Diagnose erschüttert sind – und erzeugt eine Empathie, die sich in vergleichbaren Filmen oft nicht einstellt. So bremsen in dem Road Movie „Das Leuchten der Erinnerung“ mit Helen Mirren und ihrem an Alzheimer erkrankten Ehemann Donald Sutherland die vielen originellen Episoden das Mitgefühl aus. Auch die deutsche Tragikomödie „Honig im Kopf“ mit Dieter Hallervorden nahm den Plot wichtiger als die Figuren.
Überhaupt stellt sich bei „Supernova“ die Frage, ob es im Kern um Demenz geht – oder nicht vielmehr um Partnerschaft und die Frage, welche Optionen die (auf längere Sicht) Überlebenden haben. Insofern könnte man Sam zur Hauptfigur des Films erklären, die sich sogar fragen muss, ob die vermeintliche Aufopferung nicht auch egoistische Züge trägt. Tusker, obwohl demenzkrank, wirkt abgeklärter als Sam, dem das Drehbuch mehr Konflikte aufbürdet. Die Art, wie Colin Firth kleine, aber nachhaltige Einblicke in Sams zerrissene Seelenlandschaft gewährt, ist wirklich große Schauspielkunst.