Wo Roland Joffé als Regisseur am Werk ist, handelt es sich meist um ziemlich harte (gesellschafts-)politische Kost, egal ob in „The Killing Fields – Schreiendes Land“ (1984) über die Zeit der Roten Khmer in Kambodscha, „Mission“ (1986) über jesuitische Missionare in Brasilien, „Die Schattenmacher“ (1989) über die Entwicklung der ersten US-amerikanischen Atombomben oder „Der scharlachrote Buchstabe“ (1995) über Bigotterie und Ausgrenzung in einer puritanischen Gemeinde.
Seine jüngeren Filme „Vatel“ (2000) oder der Horrorschocker „Captivity“ (2007) fielen diesbezüglich allerdings eher aus der Reihe. Die bereits 2017 entstandene Theateradaption „The Forgiven“ passt allerdings wieder sehr viel besser ins Bild. Der Film handelt von der Zeit nach der Apartheid und erzählt von der Arbeit der Versöhnungskommission, der „Truth and Reconciliation Commission“ (TRC) unter Führung des Erzbischofs Desmond Tutu im Jahr 1996. Es geht um die Konfrontation der realen (schwarzhäutigen) Figur Tutu mit der fiktiven Figur des (weißhäutigen) Piet Blomfeld, einem im berüchtigten Gefängnis Pollsmoor einsitzenden Mörder und Rassisten. Dieser Blomfeld lässt Tutu zu sich rufen, der nach kurzem Zögern auch kommt.
Psycho-Duell von Bischof und Mörder
Der mittlerweile 89-jährige Friedensnobelpreisträger Tutu (Forest Whitaker), wird in „The Forgiven“ als ein Mensch gezeichnet, der nicht nur im Sinne der „Restorative justice“, einer Art Konfliktbewältigung durch Wiedergutmachung, sondern aus einem tiefen inneren Bedürfnis heraus für jeden ein offenes Ohr hat. Und zwar auch dann noch, wenn er respektlos behandelt oder gar beleidigt wird. Es sind die schmerzhaftesten Szenen in diesem an schmerzhaften Momenten reichen politischen Drama, wenn Blomfeld Tutu wiederholt als „Kaffer“ beschimpft und verbal demütigt, was der Geistliche bis auf sanfte Gegenwehr einfach geschehen lässt. Tutu kommt ihn trotzdem weiter besuchen. Denn es treibt ihn die Hoffnung, Blomfeld doch noch retten zu können. „Komm raus!“, fleht er den von Tod und Gewaltexzessen schwärmenden Sträfling irgendwann geradezu an, wobei er nicht die sichtbaren Mauern der Strafvollzugsanstalt, sondern das unsichtbare Gefängnis des Hasses in Blomfelds Kopf meint.
Eine weitere Motivation kommt hinzu: Tutu will im Auftrag einer verzweifelten Mutter den Verbleib ihrer Tochter aufklären, die in den Wirren des Apartheid-Endes verschwunden ist; Blomfeld scheint darüber etwas zu wissen.
Barmherzigkeit versus Hass & Destruktion
Der Ansatz des Sträflings ist, zumindest vordergründig, durch und durch destruktiv. Blomfeld will den Versöhnungswillen des Erzbischofs als oberflächliche Tünche entlarven. Er will bei Tutu Wut und Rachegefühle provozieren und den Geistlichen von seinem eigenen, darwinistisch geprägten Menschenbild – Motto: „Fressen oder gefressen werden“ – überzeugen.
Am Ende von Tutus erstem Besuch triumphiert der Mehrfachmörder: „Jetzt bin ich in deinem Hirn. Und jedes Mal starre ich dich an, wenn du in einen Spiegel siehst! Hass – immer in dir, von jetzt an!“ Es ist eine geradezu dämonische Figur, die der Autor Michael Ashton zunächst für das Theaterstück „Der Erzbischof und der Antichrist“ entworfen hat, auf dem das zusammen mit Regisseur Roland Joffé geschriebene Filmdrehbuch basiert. Eric Bana spielt diesen Charakter beklemmend gut. Man nimmt Blomfeld seinen scharfen Intellekt ab, mit dessen Hilfe er sich – John Miltons „Lost paradise“, Darwin oder Platon zitierend – sein vermeintlich „rationales“ und gänzlich von Moral befreites Menschenbild zurechtzimmert. Zugleich vibriert der Protagonist nur so vor körperlicher Aggression, weshalb man bei den Treffen im Gefängnis jedes Mal Angst um die Gesundheit des Erzbischofs hat – und das, obwohl Blomfeld angekettet ist. Auch die späte Wandlung des Schwerverbrechers spielt Bana präzise, stimmig und folgerichtig.
Die Schauspieler tragen den Film
Forest Whitaker überzeugt als Desmond Tutu gleichermaßen, wenngleich die Tutu-Nase vor allem angeklebt aussieht. Doch Whitaker macht diese Irritation durch sein souveränes Schauspiel wett, wozu auch seine Interpretation von Tutus leicht meckerndem Lachen gehört. Die schauspielerischen Leistungen sind neben den Themen von Aufarbeitung und Versöhnung denn auch das Bemerkenswerteste an „The Forgiven“. Gerade die Szenen, in denen Tutu und Blomfeld aufeinandertreffen, bersten von packender Intensität, was auch an den ausgefeilten Dialogen liegt.
Stilistisch und dramaturgisch lässt sich an dem politischen Drama zwar manches kritisieren, etwa der raumgreifende Fokus auf die brutalen Rivalitäten innerhalb der Gefängnismauern, die vom Kern ablenken. Auch ist der Film nicht frei von Sentimentalitäten, und mit Blick auf Tutu einigermaßen hagiografisch. Doch es gelingt Joffé, den Zuschauer mitten ins Chaos der Post-Apartheid-Welt zu stürzen, mit all ihrer Wut und Angst und ihren Verletzungen – und der unendlichen Mühsal und Ausdauer, die es braucht, eine solche Gesellschaft halbwegs zu befrieden.
Verzweiflung, Buße, Vergebung und Versöhnung waren auch schon in „Mission“ (1986) die zentralen Themen des Regisseurs. Über 30 Jahre später verfolgt er sie erneut, getragen von einer zutiefst humanen Gesinnung und in bemerkenswerter Auseinandersetzung mit „gut“ und „böse“.
Ein Manko der DVD-Veröffentlichung besteht allerdings darin, dass keine Untertitel angeboten werden; es ist lediglich die Auswahl zwischen englischer Originalfassung und deutscher Synchronisation möglich.