Tanz der Unschuldigen
Drama | Spanien/Frankreich/Argentinien 2020 | 90 Minuten
Regie: Pablo Agüero
Filmdaten
- Originaltitel
- AKELARRE
- Produktionsland
- Spanien/Frankreich/Argentinien
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- Sorgin Films Kowalski/Films Lamia Producciones/Tita Productions/La Fidèle Production/El Campo Cine
- Regie
- Pablo Agüero
- Buch
- Pablo Agüero · Katell Guillou
- Kamera
- Javier Agirre
- Musik
- Maite Arrotajauregi · Aránzazu Calleja
- Schnitt
- Teresa Font
- Darsteller
- Alex Brendemühl (Rostegui) · Amaia Aberasturi (Ana) · Daniel Fanego (Consejero) · Garazi Urkola (Katalin) · Yune Nogueiras (María)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama | Historienfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Historiendrama aus der Zeit der Hexenverfolgung, in dem fünf junge Frauen aus einem baskischen Küstenort in die Mühlen der Inquisition geraten.
Hexen treffen sich nachts an abgelegenen Orten wie dem Blocksberg. Dorthin fliegen sie auf Besen oder sie reisen auf dem Rücken von Tieren, die auch verzauberte Menschen sein können. Am Ziel angekommen, zelebrieren sie blasphemische Rituale, huldigen dem Teufel, nehmen neue Hexen in ihre Reihen auf und ergehen sich in Festmählern, Tänzen und sexuellen Ausschweifungen. So ungefähr sieht das aus, was man sich in Europa unter dem Begriff „Hexensabbat“ vorstellt, auch „Striaz“, „Barlott“ oder „Akelarre“ genannt - letzteres ist auch der Originaltitel des Films von Pablo Aguero, der sich mit diesem Phänomen beschäftigt.
Die Genese eines Phantasmas
Agueros Historiendrama spielt im Jahr 1609 und damit in jener Epoche, in der sich das Bild vom Hexensabbat verfestigte. Grund dafür waren die bis ins ausgehende 17. Jahrhundert quer durch Europa sich zur Massenverfolgung steigernden Hexenprozesse, in denen die von Seuchen wie den Pestepidemien, der Kleinen Eiszeit und kriegerischen und religiösen Unruhen befeuerten kollektiven Ängste ein Ventil fanden. Die Geständnisse, die im Rahmen dieser Prozesse notiert wurden, waren von erstaunlicher Einheitlichkeit, was die Zeitgenossen an eine weit verbreitete Sekte von Hexen glauben ließ und den Furor der Verfolgung weiter anheizte. Nach Ansicht von Kulturhistorikern wie dem Italiener Carlo Ginzburg, dessen „Hexensabbat – Eine nächtliche Geschichte“ zum Standardwerk wurde, hat diese Einheitlichkeit nicht nur damit zu tun, dass die oft genug unter Folter oder drastischem psychologischem Druck erpressten Geständnisse das bestätigten, was die Befrager hören wollten, sondern auch mit tatsächlich in der ländlichen Bevölkerung Europas verbreiteten „heidnischen“ Resten an Glaubensvorstellungen und Bräuchen.
„Tanz der Unschuldigen“ taucht auf sehr interessante Weise in einen solchen Hexenprozess ein, der zugleich ein von Richtern und Angeklagten wechselseitig betriebener Prozess der „Bildgebung“ des Hexensabbats ist.
Fünf Frauen kämpfen um ihr Leben
Im Jahr 1609 ist ein Richter (Alex Brendemühl) im Auftrag der spanischen Krone mit einem Trupp Soldaten im Baskenland unterwegs, um das Hexenwesen auszurotten. Über 70 Opfer, meist Frauen, hat er schon auf den Scheiterhaufen gebracht. In einem kleinen Ort an der Küste, in dem die Männer derzeit zur See sind, dauert es ebenfalls nicht lange, bis mehrere junge Frauen verhaftet werden. Diese Mädchen, deren Perspektive der Film fortan ins Zentrum stellt, wissen zunächst kaum, wie ihnen geschieht. Sie reagieren panisch und wenden sich gegeneinander, weil eine die andere verdächtigt, falsche Beschuldigungen zu Protokoll gegeben zu haben.
Es ist nicht zuletzt der Umsicht von Ana (Amaia Aberasturi) zu verdanken, die bald zur Wortführerin der Gruppe wird, dass sie diese Konflikte beilegen und einsehen, dass es keinerlei Sinn macht, untereinander nach einer Schuldigen zu suchen oder auf die Fairness des Richters zu hoffen. Sie sind, das machen die brutalen Verhöre und grausigen „Hexentests“ klar, einer Willkür ausgeliefert, für die ihre Schuld schon feststeht. Ana schlägt als einzige Hoffnung eine Art Scheherazade-Strategie vor: Die Frauen sollen sich die perverse Neugier ihrer Befrager zunutze machen, die nach Details über den Hexensabbat gieren, und sie mit erdachten Informations-Brocken so lange füttern und weiter anstacheln, bis der nächste Vollmond vorbei ist; denn um diese Zeit kommen erfahrungsgemäß die Männer des Ortes vom Meer nach Hause zurück und werden hoffentlich zur Rettung ihrer Töchter/Freundinnen eilen.
Hexerei als Performance
Der Film hält sich mit voyeuristischem „Hexen, bis aufs Blut gequält“-Sadismus sehr zurück und konzentriert sich auf die Dialoge, bei denen die Frauen, allen voran Ana, aus dem, was sie sich aus den Suggestivfragen über die Erwartungen des Richters erschließen, ihrer eigenen (erotischen) Fantasie und aus Elementen lokaler Bräuche ein Phantasma erschaffen, das der Inquisitor und seine Helfer, die mitschreiben und die Inhalte auch illustrieren, eifrig aufgreifen und ausschmücken. Das gipfelt schließlich in einer regelrechten nächtlichen Performance, weil der Richter nichts sehnlicher wünscht, als einen „echten“ Hexensabbat zu erleben.
Interessant ist dabei nicht nur die Dynamik zwischen Angeklagten und Befrager, sondern auch diejenige zwischen den Frauen, für die ihre Hexen-Show schließlich nicht nur als Strategie, sondern auch als eine Art „Female empowerment“-Ritus – hier schlägt eine feministische Lesart des Hexenwesens durch – eine ermutigende Wirkung entfaltet.
Die Magie des Anderen
Eine wichtige Rolle spielt der baskische Dialekt der Frauen, den Netflix auch in der deutschen Fassung nicht synchronisiert, sondern nur untertitelt, sowie die volkstümlichen Lieder, mit denen sie sich im Kerker trösten. Für den spanischen Richter ist beides in seiner Fremdheit teuflisch und ein Indiz für die Schuld der Frauen; in den harmlosen Gesängen hört er okkulte Beschwörungen. Der junge Priester des Ortes, der sich für die vermeintliche Verderbtheit der Angeklagten rechtfertigen zu müssen glaubt, verweist auf die „dämonischen“ Einflüsse, die übers Meer und vom einst muslimisch-jüdischen Teil Spaniens ins Land kämen. Alles, was anders ist als das Maß aller Dinge – der christliche Mann –, ist ein potenzielles Einfallstor des Satans. Wobei zumindest beim Richter die Ablehnung und die Angst vor diesem Anderen von seiner Neugier und Lust unterspült werden.
Doch „Tanz der Unschuldigen“ ist kein Fantasy-Film. Die „Magie“, die die Frauen irgendwann tatsächlich ausüben, weil die Fantasie des Richters sie unbedingt in ihnen sehen will, bleibt eine sehr fragile Macht. Am Ende hängt alles davon ab, ob sie reicht, die Zeit bis zum nächsten Vollmond zu überwinden.