Mitte der 1990er-Jahre lernt die deutsch-türkische Medizinstudentin Asli in einer deutschen Küstenstadt den libanesischen Kommilitonen Saeed kennen. Asli ist fasziniert von Saeeds Selbstbewusstsein. Die beiden verlieben sich. Obwohl ihre Mutter die Beziehung zu einem Araber ablehnt, heiraten die beiden heimlich. Vor dem Imam versprechen sie einander, für immer zusammenzubleiben und ihre Geheimnisse zu bewahren. Doch das Leben mit dem selbstsicheren jungen Mann gerät in eine Schieflage, als sich Saeed religiös und politisch radikalisiert und mehr und mehr Geheimnisse vor seiner Frau hat. Gleichwohl bestärkt sie ihren Mann, der nur auf Wunsch der Familie Zahnmedizin studiert und eigentlich Pilot werden wollte, in der Entscheidung, in Hamburg Flugzeugbau zu studieren.
Die Erosion einer Ehe angesichts einer tödlichen Mission
Doch dann verschwindet Saeed ohne nähere Erklärungen für längere Zeit in den Jemen, was Asli sehr irritiert. Schließlich bittet er seine Frau, ihn im Libanon zu treffen, wo er sie seiner Familie vorstellen will. Entgegen seiner Ankündigung trifft er dort aber nicht ein, und es bleibt Asli überlassen, sich selbst mit den Angehörigen ihres Mannes bekannt zu machen, einer gutbürgerlichen, liberalen Familie, die ähnlich irritiert und ratlos über Saeeds Untertauchen ist wie die junge Frau. Später, als Asli wieder in der gemeinsamen Wohnung in Hamburg ankommt und dabei ist, sich von ihrem Mann zu lösen, steht dieser eines Tages wieder vor der Tür – ohne Erklärung. Trotz der quälenden Unsicherheit hält Asli an der Liebesbeziehung fest. Sie hofft auch dann noch, diese irgendwie retten zu können, als Saeed in die USA umzieht, um in Florida eine preisgünstige Pilotenausbildung zu absolvieren…
Filmbesprechungen sollten im Grundsatz vermeiden, allzu viel von der Handlung zu enthüllen, um die Zuschauer nicht zu verärgern. In diesem Fall ist es allerdings schwerlich ein Spoiler zu verraten, dass das, was hier als Drama einer Ehe aufgerollt wird, sich als Drama um die Vorgeschichte der Terroranschläge vom 11.9.2001 entpuppt: Saeeds Verhalten mag seiner Frau Rätsel aufgeben; dem Publikum aber springen die Parallelen der geschilderten Geschichte zu denen der 9/11-Attentäter früh ins Auge. Schon der Filmtitel gibt den entscheidenden Hinweis, dass es in dem Film um ein Geschehen mit weitreichenden Konsequenzen geht – sprich: eine Zeitenwende.
Gleich zu Beginn verliest eine männliche Stimme aus dem Off einen Abschiedsbrief. Der Verdacht, der hier schon etabliert wird, verdichtet sich mit jedem Radikalisierungsschritt des muslimischen Protagonisten, bis eine dokumentarische TV-Aufnahme vom brennenden World Trade Center in New York gegen Ende endgültig Klarheit schafft.
Konsequent aus der Perspektive der Frau erzählt
Die Figur des Saeed lehnt sich offenkundig an den Fall des Libanesen Ziad Jarrah (1975-2001) an, der zur radikal-islamischen Hamburger Terrorzelle gehörte, die die Terroranschläge in den USA plante, und der nach Ermittlungen des FBI einer der Flugzeugentführer des 9. September war. Für die politischen Entwicklungen scheint sich die Regisseurin Anne Zohra Berrached, Tochter einer Deutschen und eines Algeriers, allerdings wenig zu interessieren, ihr geht es hier vorrangig um die Tragödie einer Frau, um menschlichen Konflikte, die die schleichende Radikalisierung eines Menschen bis hin zur Selbstaufgabe im Privatleben auslöst.
Schon in ihren ersten beiden Langfilmen, dem lesbischen Beziehungsfilm "Zwei Mütter" und dem Abtreibungsdrama "24 Wochen", erzählte die Regisseurin dramatische Ereignisse aus der Sicht von Frauen. So auch diesmal. Über mehr als fünf Jahre protokolliert Berrached, gegliedert in fünf Kapitel, Aufstieg und Niedergang einer Liebesbeziehung, wobei sie durchweg die Perspektive Aslis einnimmt. So werden wir Zeuge, wie die Liebende die Augen verschließt erst vor einem vagen Verdacht, dann vor immer konkreter werdenden Indizien. Am Ende steht Asli, die in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden will, in einem Hotelaufzug, dessen Spiegel ihr Abbild vierfach reflektieren, und muss sich fragen: Trägt sie Mitschuld, weil sie die Wahrheit nicht wahrhaben wollte?
Die aus Lünen stammende deutsch-türkische Schauspielerin Canan Kir ("Wo willst Du hin, Habibi?") spielt diese ehrgeizige Studentin und spätere Krebsforscherin, die sich von ihrem Partner immer wieder zu einer passiven Figur machen lässt, mit großer Eindringlichkeit. An diese Intensität kann ihr libanesischer Kollege Roger Azar ("The Blackout") trotz respektabler Leistung nicht heranreichen, dafür ist seine Figur zu verschlossen.
Zu viele Fragen bleiben offen
Unübersehbar ist, dass die Regisseurin in diesem ruhig erzählten Psychogramm keine einfachen Erklärungsversuche liefert. Das Presseheft des Verleihs zitiert sie mit der Aussage: "Ich möchte Filme machen, die nicht mit Antworten enden, sondern den Zuschauer mit Fragen entlassen." Das ist ein legitimes künstlerisches Credo. Allerdings stellt sich bei ihrer Inszenierung immer wieder der Eindruck ein, dass zu viele Fragen offenbleiben, und das unnötigerweise. Warum zum Beispiel verschwindet Aslis Mutter, um deren Anerkennung die Protagonistin zu Beginn so hartnäckig kämpft, so früh und dauerhaft aus dem Film, um erst kurz vor Schluss kurz wieder zu erscheinen? Warum erfahren wir so gut wie nichts über die Zukunftspläne des jungen Paares?
Und bei allem Verständnis für die Bemühungen Berracheds, nicht in willkürliche Spekulationen über die Beweggründe des Attentäters zu verfallen: Warum erklärt sie kaum etwas über die Motive des jungen Libanesen aus liberalem, reichem Elternhaus, sich in der Fremde zu radikalisieren und zum islamistischen Massenmörder zu mutieren?