Dokumentarfilm | Philippinen/Taiwan 2021 | 72 Minuten

Regie: Venice Atienza

Der zwölfjährige Reyboy verbringt seinen letzten Sommer auf seiner Heimatinsel im Süden der Philippinen, da er wegen des steigenden Meeresspiegels demnächst in eine Stadt ziehen und eine Schule besuchen wird. Mit poetischer Sensibilität porträtiert der stille Film die Welt und die Gedanken des Jungen, der allmählich Abschied nimmt und sich mit gemischten Gefühlen auf eine fremde Zukunft ausrichtet. Unterschwellig spielen die klimatischen Veränderungen und die Umbrüche in den Traditionen seiner Heimat ebenfalls mit herein. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
LAST DAYS AT SEA
Produktionsland
Philippinen/Taiwan
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Svermirko Film Prod.
Regie
Venice Atienza
Buch
Fanni Wu
Kamera
Venice Atienza · Moshe Ladanga
Schnitt
Anna Silva · Katrin Escay
Länge
72 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarischer Film über einen zwölfjährigen Jungen, der auf einer südphilippinischen Insel aufwächst, aber wegen der Klimakatastrophe seine Heimat bald verlassen muss.

Diskussion

Wenn Bilder die Worte des Films sind, dann ist „Letzte Tage am Meer“ ein Gedicht. Ein Gedicht über die Sonne, die Lichtflecken auf Steine am Meeresboden kleckst. Über Wind, Wellen und die Weite des Meeres, die sich im Himmel fortsetzt. Über das Gefühl der Schwerelosigkeit beim Tauchen und darüber, was es heißt, Kind zu sein. Dieser kurze Moment Kindheit, der plötzlich nur noch eine Erinnerung ist.

An diesem Punkt befindet sich Reyboy. Er ist zwölf Jahre alt und mit dem Meer aufgewachsen, in Karihatag, einem Dorf auf den Südphilippinen. Früh am Morgen, fast noch in der Nacht, bricht sein Vater wie die anderen Männer in einem schmalen Boot auf. Die Menschen auf der Insel leben von dem, was der Pazifik hergibt: Kalmare oder Thunfisch. Doch die Herbststürme kommen inzwischen immer früher und wüten heftiger. Der Wasserspiegel ist gestiegen. Die großen Trawler weit draußen auf der offenen See nehmen mit, was in ihren Schleppnetzen hängenbleibt. Das Leben als Fischer war noch nie einfach, doch jetzt ist es schwer, und die jungen Leute gehen fort, in die großen Städte.

Ein Lichtermeer – am Himmel und in der Stadt

Aus so einer Stadt kommt die Filmemacherin Venice Atienza. Auf ihrem Handy hat sie nur ein einziges Bild von Manila, aus dem Flugzeug aufgenommen, ein Lichtermeer bei Nacht. Reyboy hat so etwas noch nie gesehen. Dafür kennt er den Sternenhimmel. Das Rauschen des Meeres. Die Kiesel unter seinen Füßen. Atienza scheut sich nicht, in „Letzte Tage am Meer“ kindliche Unbeschwertheit, Naturverbundenheit und ein Leben, von dem wahrscheinlich viele Großstädter heimlich träumen, ein wenig zu überhöhen. Doch das ist ein Geschenk. Denn man kann sich diesen Bildern hingeben, man kann den ruhigen Gedanken der Regisseurin aus dem Off und ihren Gesprächen mit Reyboy über das Schwimmenlernen, das Universum, Wolken am Himmel oder den früh verstorbenen Bruder lauschen und sich davontragen lassen. Denn all das führt hinein in die Lebensrealität eines Kindes, das sich seiner Welt eigentlich nicht mehr sicher sein kann. Wobei der Film das nur unterschwellig erzählt. Man muss genau hinsehen und den Plastikmüll am Strand wahrnehmen, der einen weiten Weg über das Meer hinter sich hat.

Kennengelernt hat die Regisseurin den Jungen schon im Jahr 2014, als Reyboy neun Jahre alt war. Damals fuhr sie im Auftrag einer NGO nach Karihatag, um zu dokumentieren, wie die Menschen dort mit den Folgen des Klimawandels umgehen. Reyboy, Sohn des Dorfvorstehers, hat sie mit seiner offenen und zugewandten Art fasziniert. Sie versprach, wiederzukommen und mit ihm einen Film über seine Geschichten und die Fische im Meer zu drehen. Es ist ein Film über Reyboys letzte Tage am Meer geworden. Denn nach dem Sommer wird er in eine Stadt ziehen und dort zur Schule gehen. Sein Leben in Karihatag wird dann nur noch eine Erinnerung sein.

Im doppelten Sinne persönlich

„Letzte Tage am Meer“ ist damit ein Film über Abschied und über das Großwerden. Wie die kleine Einsiedlerkrabbe, die Reyboy einmal in der Hand hält, wächst der Junge aus seiner Muschel heraus und muss sich eine neue suchen. „Das ist hart“, findet Reyboy und lacht.

„Letzte Tage am Meer“ ist im doppelten Sinne ein sehr persönlicher Film. Es geht um Reyboy, aber immer auch um die Filmemacherin selbst, die sich in der Begegnung mit dem Jungen an die eigene Kindheit erinnert, ohne dass sie ihre Sichtweise der Dinge aufdrängen würde. Sie will Reyboys Welt und Weltsicht zeigen und vielleicht sogar festhalten, damit er nie vergisst, wo er herkommt und was er mit zwölf Jahren gedacht, gesehen und gelebt hat. „Es gibt viele Menschen, die nicht wissen, dass man so leben kann wie du“, erklärt sie einmal, weil er nicht versteht, was an seinem Leben so erzählenswert ist. Auch gibt es nicht überall eine Gemeinschaft wie in Karihatag, wo die Dorfbewohner in Küstennähe eine Schutzzone für die Meerestiere eingerichtet haben und die Fischer ihren Fang unter allen aufteilen. In Manila sei das Leben hart, erzählt sie dem Jungen. Es gehe immer darum, zu überleben. „Die Menschen werden wie Steine“. Man kann nur hoffen, dass Reyboy nicht eines Tages auch so wird.

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