Wirklich eindrückliche Lieder kommen oft aus dem Abseits. Die Brüder Ron und Russell Mael bilden die Band „Sparks“, und ihre verschrobenen Stücke erzählen oft von Verlierern. Von Zukurzgekommenen, die sich ihre Nasen am Fenster plattdrücken, um von außen das süße Leben zu beobachten. Figuren, die ein wenig wie sie selbst sind. Ihr größter Hit „When Do I Get To Sing 'My Way'“ ist dabei nicht wütend oder anklagend, sondern sehnsüchtig. Auch nicht müde und resigniert, sondern hin- und hergerissen zwischen Tagträumen von der Wärme des Rampenlichts und der nasskalten Realität: „When all you feel is the rain and it’s hard to be vain / When no person looks at you / So just be gracious and wait in the queue.“
Auch die Filme des britischen Regisseurs Edgar Wright erzählen von Gescheiterten, von Menschen, die niemals wirklich ankommen. Bemitleidenswerte Figuren, die sich den Zwängen der Welt nicht fügen können oder wollen. Auch den Maels ist der kalte Regen nicht fremd. Die leicht nerdigen Art-Pop-Brüder aus Kalifornien hätten von Wright sein können. Man wäre nicht wirklich überrascht gewesen, wenn er sie gefunden hätte.
Seit fünf Dekaden im Musikgeschäft
Nach 50 Jahren, 25 Alben und hunderten von Songs sind die Sparks-Brothers in diesem Jahr gleich zweimal auf der Kinoleinwand zu sehen. Praktisch parallel erscheinen das von ihnen erdachte und komponierte Musical „Annette“ und der Dokumentarfilm „The Sparks Brothers“. Beide Filme schreiben als Kulminationspunkte ihre Karriere fort. So ist gerade die Doku ein wichtiger Teil der Geschichte, die sie erzählt.
„The Sparks Brothers“ schildert fünf Dekaden im Musikgeschäft. Hoch- und Tiefpunkte, vor allem aber viel undefinierbares Mittel dazwischen. Ein ordnender Blick zurück. Zackig montierte Interviewfetzen von Musikern (Flea, Weird Al, Beck und anderen), Schauspielern (Jason Schwartzman, Mike Myers), Journalisten und Produzenten präsentieren die Band zunächst als großes Enigma. Als Sammlung von Widersprüchen, gleichzeitig einflussreich und unbekannt, amerikanisch und doch irgendwie britisch. Immer kurz vor dem Durchbruch, der sich aber nie wirklich einstellen will. Sie vereinen „Schönheit und Ekel“, heißt es einmal. Eine Band wie ein doppelt belichtetes Foto.
Natürlich drückt sich diese Dualität schon in den ungleichen Brüdern aus: Auf einer Seite der ältere Bruder Ron, der Keyboarder, der in den Anfangsjahren mit kuriosem Hitlerbärtchen auftrat und immer wirkt, als stamme er aus einem Sketch von Monty Python. Auf der anderen der etwas konventionellere Russell Mael, der sich am Mikrofon verausgabt und bis zum Falsett schraubt. Beide sehen auch mit über 70 noch jugendlich verschmitzt aus. Als könnte die Zeit etwas Verborgenes in ihnen nicht freilegen und nur die Oberfläche abtragen. Noch so ein Widerspruch.
Musiker mit cineastischen Ambitionen
Als Regisseur war Edgar Wright schon immer in die Grundrisse und Blaupausen des Kinos verliebt. Er schreibt Drehbücher, die fast mathematisch anmuten, erstellt dabei Grafiken und kritzelt Flip-Charts voll. Unentwegt referenziert er Kinogeschichte, genau wie es auch seine Helden tun. Natürlich reizt diesen Filmenthusiasten die cinephile Dimension von „Sparks“. So werden zu Beginn des Films ihre musikalischen Einflüsse gleichwertig neben ihren filmischen präsentiert. Elvis, Jerry Lee Lewis, Little Richard; als Kind Kriegs- und Westernfilme in Matinee-Vorstellungen, später „Blackboard Jungle“, Godard und Bergman. Ihre Ambitionen als Filmemacher werden betont, natürlich auch die gescheiterten, unvollendeten Projekte: „Confusion“, die Kollaboration mit Jacques Tati. „Mai, the Psychic Girl“, die Adaption eines Mangas, bei der Tim Burton Regie führen sollte.
Und auch in der Gesamtmontage spielen allerlei Filmausschnitte eine wichtige Rolle. Zusammen mit (mittelmäßig) animierten Sequenzen brechen sie den üblichen dokumentarischen Fluss aus Archivmaterial, Standbildern und Talking Heads auf. Denn genau wie die Spielfilme von Wright ist auch „The Sparks Brothers“ von dem Spannungsverhältnis zwischen recht konventioneller Grundform und verspielten Details geprägt, die sich emanzipieren. Sein Gestaltungswille als Regisseur gilt immer den Fugen und Nähten, den kleinen Stellschrauben in der großen Filmkonstruktion. Man erinnert sich manchmal eher an eine originelle Trickblende als an die Szenen, die sie verbindet. In seiner collagenhaften, wetterwendischen Oberfläche gleicht sich der Film seinem Gegenstand an.
Denn „Sparks“ verändern sich, immerzu. Sie gehen nicht unbedingt mit der Zeit, doch sie folgen der Sehnsucht der Popmusik nach immer neuer Kostümierung. Nur hier und da streifen sie zufällig den Zeitgeist. Pop und Rock werden elektronischer, Gitarren werden Synthesizer, später wird es orchestral. So viel wie um Musik geht es auch um Design, um Outfits und Alben-Cover, natürlich auch um Liebschaften und Eifersüchteleien.
Ein halbes Jahrhundert hinterlässt Spuren
Was dem Dokumentarfilm seine eigentümliche Kraft verleiht, ist die Last der Zeit. Ein halbes Jahrhundert hinterlässt seine Spuren. Mit einer Länge von fast zweieinhalb Stunden wird die Odyssee dieser Karriere greifbar. Die langen Abstände zwischen den Erfolgen, die viele andere Künstler in einen beständigeren Broterwerb gejagt hätten. Die Frustration, das Ausharren, als würde man Warteschleifenmusik für das eigene Leben komponieren. Wright ist gut darin, die Brüder als Underdogs zu verkaufen, denen man jeden kleinen Erfolg gönnt. Auch die Baupläne der Rockumentary hat er eifrig studiert. Und ihm gelingt, was für viele andere Musikfilme wünschenswert wäre: sein Film ist weniger daran interessiert ist, bestehende Fans zu beglücken als vielmehr neue zu gewinnen.
„The Sparks Brothers“ arbeitet den Wesenskern von „Sparks“ gut heraus. Statt „My Way“ zu singen, schreiben sie lieber einen Song über den Wunsch, „My Way“ zu singen. Das ist nicht die biedere Eleganz von Sinatra oder der höhnische Zorn der Sid-Vicious-Version. Sondern eine melancholische Selbstreflexion, ein ewiges Substituieren. Ritual und Wiederholung statt vulkanischer Eruption. Nicht ironische Distanz, sondern aufrichtig empfundene. Der Film versucht keine falsche Nähe zu erzeugen, sondern macht sich diese Lücke zwischen Song und Sänger, Pop-Maske und Gesicht, originärem Gedanken und Zitat zu eigen. „„Edith Piaf said it better than me / ,Je ne regrette rien‘“, singen und zitieren „Sparks“. Man glaubt jedes Wort.