Drama | Bulgarien/Großbritannien/Frankreich 2019 | 92 Minuten

Regie: Vesela Kazakova

In einem Wohnblock in London-Peckham wird eine Katze, die sich in der Wand einer Wohnung verkriecht, zum Auslöser für Konflikte zwischen akademisch gebildeten Migranten aus Bulgarien, arbeitslosen Sozialleistungsempfängern und gentrifizierten Brexitern. Mit dokumentarischer Genauigkeit erzählt der Spielfilm eine ebenso realitätsnahe wie absurde Geschichte um soziale und kulturelle Ressentiments, in denen sich der Neid auf andere ebenso spiegelt wie die Angst vor ihnen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
CAT IN THE WALL
Produktionsland
Bulgarien/Großbritannien/Frankreich
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Activist38/Ici et Là Prod./Glasshead Prod./Bulgarian National Television
Regie
Vesela Kazakova · Mina Mileva
Buch
Vesela Kazakova · Mina Mileva
Kamera
Dimitar Kostov
Musik
Andy Cowton
Schnitt
Donka Ivanova
Darsteller
Irina Atanasova (Irina) · Angel Genov (Vladimir) · Orlin Asenov (Jojo) · Gilda Waugh (Debby) · Jon-Jo Inkpen (Jack)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama

Einer Zuwandererfamilie in einer Sozialsiedlung im Süden von London läuft eine Katze zu, die einer anderen Familie gehört. Der Streit um das Tier wird zum Auslöser diverser sozialer Konflikte.

Diskussion

Die täglichen, meist wenig erfolgreichen Kämpfe um Arbeitsaufträge und das Geschufte in schlechtbezahlten Jobs fasst Vlado einmal abwertend mit dem Begriff „Zombie-Apokalypse“ zusammen. Auch seine alleinerziehende Schwester Irina, die als Architektin ohne Auftrag spätabends in einem Pub arbeitet, zählt für ihn zu dieser Spezies. Zumal sie sich auch an anderen Widerständen abarbeitet wie etwa dem täglich vollgepinkelten Aufzug in ihrem Wohnblock, den sie mit einer Mischung aus Wut und Resignation selbst putzt.

Die aus Bulgarien zugewanderten Geschwister leben mit Irinas kleinem Sohn Jojo in einer kleinen Eigentumswohnung in London-Peckham. Vlado, ein beschäftigungsloser Historiker, passt auf das Kind auf; gelegentlich installiert er für wenig Geld auch Satellitenschüsseln. Für Irina kommt es nicht in Frage, wie die meisten anderen Bewohner des Blocks von staatlicher Unterstützung zu leben: „Ich bin lieber ein Zombie, als von Sozialleistungen zu leben.“ Ausgerechnet ein rötlicher Kater lässt die Klassenunterschiede zum Konfliktherd werden. Zudem befördert die Ankündigung einer Zwangsrenovierung, die Irina und ihren Bruder 25 000 Pfund kosten soll, auf beiden Seiten tiefsitzende Ressentiments an die Oberfläche.

Jojo und „Goldie“

Die titelgebende Katze schleicht offensichtlich ausgehungert in den Laubengängen des Wohnblocks umher. Irina nimmt „Goldie“ zu Jojos großer Freude bei sich auf. Dabei gehört sie, wie sich herausstellt, einer Familie aus den unteren Stockwerken. Die steht bald laut pöbelnd vor der Tür und verlangt ihr Eigentum zurück. Derweil hat sich der Kater in einem tiefen Loch hinter dem Küchenboiler verkrochen. Er steckt in der Wand fest.

„Goldie“ wird zum Auslöser eines sozialen Konflikts. Die Nachbarn werfen den Geschwistern vor, ihnen die Sozialhilfe zu stehlen. Sie beschimpfen sie als Rassisten, da die Lebensgefährtin des Kampfhundbesitzers schwarz ist, argumentieren aber selbst rassistisch. Irina wiederum verachtet die „Sozialschmarotzer“, denen sie auch noch die neuen Fenster bezahlen soll.

Der Neid auf und die Angst vor den anderen

„Cat in the Wall“ ist die vierte Zusammenarbeit der bulgarischen Dokumentaristinnen Mina Mileva und Vesela Kazakova und ihr erster „Spielfilm“ – wenn auch sichtbar von ihrer dokumentarischen Arbeitsweise geprägt. Die absurde Geschichte mit der Katze ist Mileva und ihrem Sohn selbst passiert; auch der Wohnblock in London-Peckham wurde während der Dreharbeiten tatsächlich renoviert. Das Ergebnis ist ein dokumentarischer Realismus, der hier und da zuspitzt und verdichtet, sich aber stets durchlässig für die Wirklichkeit zeigt.

Im Unterschied zu vielen anderen sozialrealistischen Dramen und Komödien ist das Feld sozialer und kultureller Milieus in „Cat in the Wall“ wesentlich unübersichtlicher sortiert. Zugewanderte und Herkunftsbriten werfen sich gegenseitig vor, auf die Kosten der jeweils anderen zu leben, Bildungsdünkel und Aufstiegsstreben stehen einem „Working class“-Bewusstsein gegenüber, das bei aller Perspektivlosigkeit erstaunlich identitätsstiftend ist; und gentrifizierende Brexiter regen sich über die Gentrifizierung auf.

Wie bei der Katze in der Wand geht es nicht vorwärts und nicht rückwärts und dann doch irgendwie weiter. Am Ende kommen die Fenster.

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