Die Eingangssequenz ist eine ebenso einfache wie grandiose Visualisierung der Redewendung „übers Ziel hinausschießen“. Rosa (Candela Peña) nimmt an einem Marathonlauf teil. Mehrere Menschen, die man im Laufe des Films näher kennenlernt, spornen sie unterwegs auf übergriffige Weise an. Am Ziel läuft Rosa einfach weiter; ihre Anhänger, die jetzt real zu sein scheinen, vorher waren es wohl Rosas Imaginationen, schauen ihr irritiert nach.
Grenzenlose Leistungsfähigkeit
Die folgenden, schnell erzählten Einblicke in ihr Leben führen vor, dass Rosa wirklich über das Ziel hinausschießt; sie tut des Guten zu viel. Im Berufs- wie im Privatleben steht sie immer Gewehr bei Fuß. Als Kostümbildnerin funktioniert sie perfekt; sie behält auch da den Überblick, wo andere im Chaos versinken würden. Zuverlässig kümmert sie sich um die Kinder ihres Bruders und um ihren Großvater. Dieser teilt ihr plötzlich mit, dass er gerne bei ihr einziehen wolle. Da zerreißt etwas in Rosas Gefüge, und sie fasst einen Entschluss. Sie wird die Stadt Valencia verlassen und in ihre Heimat an der Küste zurückkehren, um den alten Schneiderladen ihrer Mutter wiederzueröffnen.
Bis zu diesem einschneidenden Wendepunkt in Rosas Leben ist der Film von Icíar Bollaín mitreißend komisch, auf den Punkt inszeniert und von hohem Tempo, ohne dabei an Tiefe einzubüßen. Denn das Tempo und die Hektik der Abläufe visualisieren die gesellschaftliche Beschleunigung, der Rosa ausgesetzt ist. Man erkennt sehr gut, welche gesellschaftlichen Strukturen und Dynamiken dazu geführt haben, dass Rosa glaubt, grenzenlos leistungsfähig und empathisch handeln zu können. Sie erwartet dies auch von ihrer Tochter Lidia (Paula Usero) und ist ziemlich perplex, als diese ihren Job kündigt. Wie kann sie als junge verheiratete Frau, die mit Zwillingen gesegnet ist, so schnell aufgeben, wo ihre 45-jährige Mutter doch so widerstandsfähig ist?
Eine Entscheidung mit Folgen
Mit Rosas Entscheidung, ihr Leben zu ändern, wandelt sich auch die Dramaturgie des Films. Denn Rosa beschließt, fortan nur noch an sich zu denken und dies gemeinsam mit den ihr nahestehenden Menschen in einem Ritual zu feiern, das eigentlich zwei Menschen in Liebe zusammenführt. Sie beschließt, in ihrem Heimatort am Strand zu heiraten, und zwar nicht ihren Freund Rafa (Xavo Giménez), sondern – sich selbst.
Erzählerisch läuft das auf eine Standardsituation hinaus, die so lange wie möglich hinausgezögert wird, weil sie absehbar den Schlusspunkt der Handlung bildet. Es müssen überdies Mittel und Wege gefunden werden, um den Akt des Sich-selbst-Heiratens für das Kinopublikum nachvollziehbar zu machen. Rosa muss es aber auch gelingen, die ihr nahestehenden Menschen von ihrem Entschluss zu überzeugen.
Zu dieser erforderlichen Glaubwürdigkeit trägt entscheidend die Hauptdarstellerin Candela Peña bei, die Affekte präzise mit ihrem ausdrucksstarken Gesicht darstellen kann. Außerdem spielt sie betont kein Opfer der Verhältnisse. Rosa zieht die Reißleine, bevor ein körperlicher oder seelischer Zusammenbruch droht, der keine Komik mehr zuließe. Auch Peña bewahrt ihre Figur davor, dass Verzweiflung und Verzagtheit die Überhand gewinnen. Ihr Schauspiel hat eine Leichtigkeit, die im gleichen Maße in der Inszenierung, in der Kameraarbeit, der Montage und in der Musik vorherrscht.
Perfekte Mischung aus Komik und Gedankentiefe
Die Inszenierung greift dabei auf einen Trick zurück. Denn Rosa wartet sehr lange, bis sie damit herausrückt, dass sie die Erwartungen an eine heterosexuelle Hochzeit nicht erfüllen wird. Das führt dann aber abermals zu Druck auf Rosa. Denn ihr Bruder Armando (Sergi López) und ihre Schwester Violeta (Nathalie Poza), die davon ausgingen, dass Rosa ihren Freund Rafa zu heiraten gedenkt, gebärden sich als nervtötende Lebensratgeber, die besser wissen, was für Rosa gut ist, und ein opulentes Fest veranstalten. Ganz nach der Ideologie unserer Zeit: Nur grenzenloser Konsum mache Menschen glücklich. „Rosas Hochzeit“ ist eine perfekte Mischung aus Komik und Gedankentiefe, die Geschichte einer Selbstermächtigung im Gewand einer Dramödie. Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín erweist sich damit einmal mehr als Meisterin des berührenden Humors.