Ali (Roohollah Zamani) ist ein kleiner Überlebenskünstler. Der Vater und die Schwester sind nicht mehr am Leben, die Mutter wurde in eine Nervenklinik eingewiesen. Im Grunde ist er auf sich allein gestellt. Sein Geld verdient der Zwölfjährige durch harte körperliche Arbeit. Um sich etwas dazuzuverdienen, lassen er und seine kleine Gang sich von Zeit zu Zeit auf kriminelle Dinge ein. Dann aber erhält Ali einen besonderen Auftrag: In einem Tunnel unter dem Friedhof soll ein Schatz versteckt sein. Der Haken daran ist allerdings, dass der Zugang erst freigelegt werden muss – im Keller einer Schule für Straßenkinder.
Mit einigem Nachdruck überreden die Jungs den Rektor, sie in dem bereits begonnenen Schuljahr doch noch aufzunehmen. Dort beginnt für Ali, Mamad, Abolfazl und Reza ein Abenteuer, dass sie sich selbst im Traum nicht ausgemalt hätten, denn die „Sun School“ erweist sich als ein Ort der Gemeinschaft. Während Reza durch seine fußballerischen Fähigkeiten begeistert und Abolfazls Talent für die Mathematik entdeckt wird, hat es sich Ali in den Kopf gesetzt, den ominösen Schatz zu finden. Dabei droht er alles zu verlieren.
Freundschaft und soziale Sackgassen
Regisseur Majid Majidi gelingt ein kleines Wunder. Mit einem sozialrealistischen Blick auf das Leben von Straßenkindern in Teheran lässt er die kindliche Poesie eines Abenteuerfilms einbrechen und ergreifende Funken versprühen. Im Zusammenspiel aus diesen beiden Polen ergibt sich ein berührender Film über Freundschaft, soziale Sackgassen und den Wert von Bildung, in dessen Genuss Ali und seine Freunde nur durch Zufall kommen.
Im Grunde sehen die Jungs ihren Aufenthalt in der Schule zu Beginn lediglich als eine Durchgangsstation. Der Plan ist, den Schatz so schnell wie möglich zu finden und sich dann wieder aus dem Staub zu machen. Doch der Unterricht eröffnet den Jungen eine neue Welt, die Majid Majidi ohne jedes Pathos fast beiläufig zu erstrahlen bringt.
Die rätselhafteste und deshalb faszinierendste Figur in diesem Zusammenhang ist der engagierte Konrektor der Schule. Rafie, der mehr Sozialarbeiter als Pauker ist, setzt sich unermüdlich für seine Schüler ein und verschiebt damit auch die Rangordnung innerhalb der Bande. Vor allem aber blitzt im Blick dieser Figur eine leise, viel größere Geschichte auf, die in „Sun Children“ an vielen Stellen lediglich angedeutet wird: Da ist jemand, der sich selbst in diesen aufmüpfigen Kindern wiedererkennt. War er selbst ein Straßenkind? Hat er den Aufstieg geschafft?
Man denkt bisweilen an aufopferungsvolle Lehrerfiguren aus Filmen wie „Der Club der toten Dichter“ oder „Good Will Hunting“, ohne dass dieser Rafie in die Falle des Sozialkitsches abrutscht. Denn er strahlt immer auch eine zarte Verletzlichkeit aus, die davon kündet, dass der Kampf auf der gesellschaftlichen Leiter niemals ganz vorbei ist.
Den iranischen Staat kümmert es nicht
Rafies selbstloser Einsatz ist allein deshalb dringend nötig, weil dem iranischen Staat die Straßenkinder reichlich egal sind, erst recht, wenn es sich um Kinder aus anderen Ländern handelt. Als Abolfazls Schwester beim Schwarzmarkthandel erwischt wird, rasiert man ihr auf der Polizeistation die Haare ab. Der Rassismus ist in „Sun Children“ genauso allgegenwärtig wie die Klassenunterschiede.
Da es sich bei der Schule um eine gemeinnützige Einrichtung handelt, erhält sie keinerlei finanzielle Unterstützung durch die Behörden. Als dann auch noch private Spenden ausbleiben, steht die Schule kurz vor der Schließung; den Kindern droht der schmerzhafte Verlust ihrer zweiten Familie, bei der es auch um Regelmäßigkeit und gemeinsame Rituale geht, die immer ins Bewusstsein treten, wenn sie nicht mehr da sind. Aus der banalen Tatsache, dass die Schulglocke ständig ausfällt, wird ein tragischer Refrain sich ankündigender Brüche: Das Leben dieser Kinder kennt keine Sicherheiten, und sei es bloß der Pausengong.
„Sun Children“ ist klug genug, die Abenteuergeschichte ebenso ernst zu nehmen wie seine dramatischen Aspekte. Stilistisch wechselt Majidi zwischen einem dokumentarischen Realismus, der ganz nah an seine Protagonisten rückt, und einer poetischen Bildsprache, in der sich die Hoffnungen und Wünsche der Kinder ausbreiten. Einmal fährt die Kamera aus der Tristesse in den Himmel hinauf, der sich durch einen Schnitt in ein Brunnenbecken verwandelt, in dem die Kinder unerlaubterweise baden. Dorthin wollen sie also, hoch hinaus. Doch so einfach ist es nicht in einer Gesellschaft, in der jeder seinen Platz zugewiesen bekommt.