Enola Holmes
Krimi | Großbritannien 2020 | 124 Minuten
Regie: Harry Bradbeer
Filmdaten
- Originaltitel
- ENOLA HOLMES
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- EH Prod./Legendary Ent./PCMA Prod./Warner Bros.
- Regie
- Harry Bradbeer
- Buch
- Jack Thorne
- Musik
- Daniel Pemberton
- Schnitt
- Adam Bosman
- Darsteller
- Millie Bobby Brown (Enola Holmes) · Henry Cavill (Sherlock Holmes) · Sam Claflin (Mycroft Holmes) · Helena Bonham Carter (Eudoria Holmes) · Louis Partridge (Tewkesbury)
- Länge
- 124 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Krimi | Literaturverfilmung
- Externe Links
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Ein temperamentvolles Unterhaltungsdrama über die jüngere Schwester von Sherlock Holmes, die sich auf der Suche nach ihrer verschwundenen Mutter mit Nachdruck feministisch platziert.
Das Konzept von „Enola Holmes“ klingt so, als käme es aus der Marketinghölle eines Studios, das statt neuer Ideen alte Filmreihen und Serien ausschlachtet, bis von deren ursprünglichen Esprit nicht mehr übrig ist. Obendrein wird versucht, sich einen betonten Feminismus auf die Fahne zu schreiben. Der britische Meisterdetektiv Sherlock Holmes und sein hochnäsiger Bruder Mycroft haben eine jüngere Schwester, die auf den – Obacht Wortwitz – Spuren ihres Bruders wandelt und ebenfalls im Begriff ist, Detektivin zu werden. Wortwitze sind Enolas Ding, denn die junge Frau heißt Enola; liest man den Namen rückwärts, lautet er: „alone“, allein. So scheint die 16-jährige Jugendliche auch aufgewachsen zu sein, unter der Obhut ihrer Mutter, irgendwo auf dem englischen Land.
Echte feministische Unterhaltung
„Enola Holmes“ heißt auch der Film, der auf der gleichnamigen Jugendbuchreihe von Nancy Springer basiert und dem ersten Band, „Der Fall des verschwundenen Lords“, folgt. Dass sich die Tore zur Marketinghölle bei dieser Verfilmung nicht auftun, ist der Zusammenarbeit zwischen Regisseur Harry Bradbeer und seiner Hauptdarstellerin Millie Bobby Brown zu verdanken, die schon in der Mystery-Serie „Stranger Things“ glänzte und nun beweist, dass sie keine Eintagsfliege ist. Vor allem ihre vergnügte Show als vor Temperament übersprudelnder Enola macht aus dem schlichten Sherlock-Holmes-Pastiche echte feministische Unterhaltung.
Der Kniff, den Brown und Bradbeer hier einsetzen, konnte Bradbeer bereits als Regisseur der Serie „Fleabag“ erproben: Enola Holmes ist nicht nur die Erzählerin, sondern sie durchbricht regelmäßig die vierte Wand und wendet sich vertrauensvoll plappernd, kommentierend und augenzwinkernd ans Publikum. Ästhetisch ist ihr Bericht wie ein aufwändig gestaltetes Familienalbum aufbereitet, mit animierten Familienfotos, handgeschriebenen Zwischentiteln und ausgeschnittenen Zeitungsartikeln, die zu realen Bildern werden. Das außerhalb von London gelegene Familienanwesen Fernell Hall entpuppt sich als eine lebensweltliche Verlängerung dieses Albums und zugleich als Schlüssel für die brillanten Köpfe, die hier aufgewachsen sind.
Für Enola scheint dieser Ort zudem eine Art emanzipatorisches Trainingscamp gewesen zu sein, wo die Mutter ihrer Tochter viel Kampfsport, Wortspiele und Denkübungen angedeihen ließ. Dass es ein wirkliches Training war, wird Enola erst bewusst, als die Mutter an ihrem 16. Geburtstag scheinbar spurlos verschwindet. Doch Enola ist eben eine Holmes und findet genau das: nämlich Spuren. Das ruft die beiden älteren Brüder aufs Tapet, die entnervt aus der Stadt auf den Familiensitz zurückkehren. Während Sherlock ebenfalls eine neue Schnitzeljagd wittert und Enola wohlwollend entgegentritt, ist Mycroft entsetzt über ihre „Verwahrlosung“. In der Tat ist Enola alles andere als ladylike, denn ihre Mutter hat sie zu einer selbstbewussten und unabhängig denkenden jungen Frau erzogen; was für den einen an Verwahrlosung grenzt, ist für die andere Emanzipation. Daran können auch Mycrofts Versuche, sie in ein Mädcheninternat zu stecken, nicht viel ändern.
Kein Interesse, die Welt zu verändern
Die Hierarchien sind sowohl in der Familie als auch gesellschaftlich noch recht angestaubt, wie in einer Nebenhandlung deutlich wird, in der die „Representation of the People Act“ diskutiert wird, der 1884 auf den Weg gebracht wurde und den Grundstein für die Suffragetten-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts legte. Feministische Strömungen blubbern bereits im viktorianischen England an die Oberfläche, und in genau diesem Klima hat Eudoria Holmes ihre Tochter erzogen. Enolas direkte Kontaktaufnahme mit dem Publikum impliziert zudem recht deutlich, dass es hier um zeitgenössische Fragen der Gleichberechtigung geht. Ihre ehemalige Jiu-Jitsu-Trainerin Edith reibt es Sherlock Holmes einmal recht direkt unter die Nase: „Sie wissen nicht, wie es ist, machtlos zu sein. Politik interessiert sie nicht, und warum? Weil sie gar kein Interesse daran haben, eine Welt zu verändern, die für sie so angenehm ist.“ Sherlock Holmes als Prototyp der „white male fragility“: das ist durchaus eine Ansage.
Möglicherweise ist dieser Vorwurf auch ein sarkastischer Hieb in Richtung Conan Doyle Estate, das den Nachlass des Holmes-Erfinders verwaltet und minutiös überwacht. Die Gesellschaft verklagte die Filmproduktion zunächst, denn, so die Argumentation, die Holmes-Figur basiere im Skript auf Erzählungen, die zwischen 1923 und 1927 veröffentlicht wurden, denn nur darin zeige Holmes auch Emotionen. Und weil diese Erzählungen noch keine 100 Jahre alt seien, fielen sie unter das Urheberrecht. Wer hier also darauf aus ist, Machtstrukturen zu erhalten und ökonomisch auszuschlachten, bleibt angenehm zweideutig.
Die weibliche Version eines Erfolgskonzeptes
Ein Glück, dass Enola Holmes auf ganzer Linie die Erzählerin ihrer eigenen Geschichte ist, sowohl vom narrativen Gestus als auch von ihrer gesellschaftlichen Positionierung. Obwohl der Film im Gewand leichter Unterhaltung daherkommt, ist er doch eine ernsthaft feministische Unternehmung, denn Enola Holmes ist hier ganz und gar nicht die weibliche Version eines Erfolgskonzeptes, sondern fordert dieses frech heraus und lässt tatsächlich auch auf die Verfilmung der fünf weiteren „Enola Holmes“-Romane hoffen.