In seiner Küche entgeht Stéphane nichts; doch überall sonst zieht vieles an ihm vorbei. Der Besitzer und Koch eines traditionsreichen Restaurants in den Bergen des französischen Baskenlands weiß nicht wirklich etwas zu sagen, als bei der Hochzeit seines Sohnes Ludo ein Gast dessen neue Stelle als Arzt anpreist; auch sonst hat er wenig Ahnung von Ludos Leben oder von den Vorstellungen seines anderen Sohnes David, auch nicht von denen seiner Ex-Frau. „Warum sagt mir niemand was?“, fragt Stéphane sich und seine Umgebung in einem Moment der Erkenntnis. Über die Antwort lässt der Film „Bon Voyage – Ein Franzose in Korea“ keinen Zweifel: Die Hälfte der Zeit hört Stéphane nicht zu; überdies kann er mit anderen nicht über seine Gefühle reden. Seit rund 60 Jahren hat er alles immer so gemacht wie sein Großvater und Vater vor ihm; erst jetzt, kurz vor dem Ruhestand, beginnt er langsam, über seine eigenen Bedürfnisse zu reflektieren.
Die ausgestopften Tierköpfe müssen weg
Eine Adressatin für den Austausch findet er dabei nicht in seiner Umgebung, sondern im Internet, bei Instagram. Wie der technisch unbeholfene Stéphane dort ausgerechnet auf die deutlich jüngere Koreanerin Soo stößt und wieso sich zwischen zwei kulturell so offensichtlich inkompatiblen Menschen überhaupt ein längerer Chat-Dialog entwickelt, sind Fragen, mit denen sich Regisseur Éric Lartigau nicht aufhält. Jedenfalls hängt der Restaurantchef bald so regelmäßig am Handy, dass Verwandte und Mitarbeiter ihn endgültig als geistesabwesend abschreiben. Der Kontakt mit Soo zeitigt konkrete Folgen. Als er erfährt, dass die Koreanerin malt, bestellt Stéphane prompt ein Bild bei ihr, das er im Restaurant aufhängt. Die ausgestopften Tierköpfe müssen deshalb ebenso von der Wand wie ein Gemälde in düsteren Farben, das ihn schon immer gestört hat. Es bringt beim Verkauf jedoch unerwartet 15 000 Euro ein – mehr als genug, um den nächsten Schritt zu wagen: eine Reise nach Seoul, um seine vermeintliche Seelenpartnerin persönlich kennenzulernen.
Mit „Verstehen Sie die Béliers?“ erzielten Eric Lartigau und sein Co-Autor Thomas Bidegain im Jahr 2014 einen großen Kassenerfolg. Ihr Nachfolger präsentiert sich nun allerdings in einem deutlich anderen Tonfall als die temporeiche, mitunter überdrehte Komödie über den Zusammenhalt einer Familie von Taubstummen. Die Bilder einer abgeschiedenen französischen Gegend zeigen in „Bon Voyage“ zwar auch deren Schönheit, doch scheint in ihnen immer etwas zu fehlen; das zögerliche Vorgehen Stéphanes und seine Aura des im Leben zu kurz Gekommenen beherrschen auch die Bildsprache. Zu sich selbst findet der Film erst, wenn die Exposition vorüber und Stéphane am Flughafen in Seoul gelandet ist. Soo, die er kurz vor dem Start noch verständigt hat, taucht dort nicht auf; alle Anruf- und Chatversuche gehen ins Leere.
Das ist eine Situation, mit der Stéphane nicht umgehen kann; in der Annahme, Soo habe sich nur verspätet, treibt er sich auf dem üppig ausgestatteten Flughafen herum, verbringt die Zeit in Bars, Restaurants und Kinos, schläft auf freien Sitzen und spricht immer wieder mit anderen Menschen, die ihn manchmal verstehen, größtenteils aber nicht. Aus Stunden werden Tage. Doch während Stéphane weiter ziellos durch die Areale irrt, hat er nichtsahnend eine Bewegung losgetreten: Auf Instagram, wo er seine Erlebnisse fleißig postet, nehmen Tausende von Menschen an seiner verzweifelten Suche teil. Erst als Wildfremde ihn plötzlich verfolgen und für Selfies in Beschlag nehmen, merkt Stéphane, was er ausgelöst hat.
Zwischen Traum und Verlorenheit
Lartigau entwickelt in diesem Mittelteil eine Atmosphäre zwischen Traum und Verlorenheit, die an die Qualitäten von Filmen wie „Terminal“, „Kirschblüten – Hanami“ und „Lost in Translation“ erinnert. Dabei helfen die Kameraarbeit von Laurent Tangy, der dem vielfältigen Design des Flughafens von Seoul eine verheißungsvolle Stimmung abgewinnt, sowie insbesondere sein Hauptdarsteller Alain Chabat. Dessen Persona des introvertierten, versponnenen Zeitgenossen passt perfekt für Stéphane, wie er auch dessen Wechsel zwischen Sprachlosigkeit und plötzlichem Rededrang sehr glaubhaft macht. In ihm besitzt der Film gerade dort, wo die Handlung über längere Zeit fast zum Stillstand kommt, ein spannendes Zentrum und eine Quelle sehr sanften Humors. Die auch Klamauk nicht scheuende Ausrichtung von „Verstehen Sie die Béliers?“ könnte kaum ferner liegen.
Diese Konzentration hält „Bon Voyage“ dann aber nicht bis zum Ende durch. Der Fortgang der Suche nach Soo führt zu einem Ergebnis, das nach der sorgfältigen Gestaltung des Flughafen-Teils ziemlich unausgegoren wirkt; im letzten Drittel offenbaren sich auch noch andere Schwächen des Films, speziell in der Zeichnung der Nebenfiguren. Und so ausgedehnt, wie der Film in den landschaftlichen und architektonischen Schönheiten Südkoreas schwelgt, erinnert das stellenweise stark an einen Reiseprospekt.
Stéphanes uneingeschränkte Begeisterung über das Land ist angesichts dieser Bilder immerhin hochverständlich und sympathisch: Statt der Leere in seiner Heimat herrscht hier eine faszinierende Fülle vor. Verloren wirkt er jedenfalls nun nicht mehr.