Die Schauspielerin Nina (Wu Ke-xi) sitzt ihrem Agenten gegenüber und weiß nicht so recht, ob sie das verlockende Angebot annehmen soll. Von der taiwanesischen Provinz ist die nicht mehr ganz so junge Frau einst nach Taipei gezogen, um ein Star zu werden. Ihre bisherigen Erfolge beschränken sich allerdings auf einige Werbefilme und eine Karriere als Webcam-Girl. Dass sie nun die innerlich zerrissene Heldin in einem historischen Liebesdrama spielen soll, klingt eigentlich nach der Chance ihres Lebens. Stutzig machen sie nur die vielen Nacktszenen.
Maßgeblich an diesem Moment in „Nina Wu“ des burmesischen Regisseurs Midi Z ist das Verhalten des Agenten, den man überwiegend nur von hinten sieht. Zwar signalisiert er vordergründig, dass er ihre Bedenken versteht, vermittelt mit der trockenen Bemerkung, „Hauptsache, du fühlst dich wohl“, aber auch, für wie albern und undankbar er ihre Zweifel hält.
Unsicherheit und Verzweiflung
Auch nachdem sie die Rolle angenommen hat, sieht sich Nina solchen subtilen Manipulationen ausgesetzt. Ihr Traum vom Ruhm scheint sich nur dann zu erfüllen, wenn sie alles über sich ergehen lässt: endlose Kleiderproben, die kalte Atmosphäre am Set, vor allem aber die Übergriffe des Regisseurs, der sie auch mal würgt oder ohrfeigt, um eine besonders authentische Reaktion zu bekommen. Die meiste Zeit bleibt Nina dabei stumm. Lediglich auf ihrem elegant-blassen, von einem schwarzen Pony gerahmten Gesicht zeichnet sich ihre Unsicherheit ab – und immer stärker auch ihre Verzweiflung.
Am bedrückendesten ist „Nina Wu“, wenn die Gewalt – wie im Gespräch mit dem Agenten – spürbar, aber fast unsichtbar bleibt. Wenn der Regisseur sie mit seinem Perfektionismus traktiert und mehrmals dieselbe Szene wiederholen lässt. Währenddessen weicht die Kamera langsam zurück, legt den Blick auf das Set und die Crew frei und offenbart damit erst die Dimensionen, mit denen hier Druck auf die Schauspielerin ausgeübt wird. Man sieht eine große filmische Maschinerie und mittendrin Nina, der konsequent das Gefühl vermittelt wird, das sie das kaputte Rädchen in einem ansonsten geschmeidig laufenden Getriebe sei.
Seit fast zehn Jahren dreht Midi Z schon Filme, die von Flüchtlingen, Junkies oder Gastarbeitern handeln und sich verschiedenen Arten von Ausbeutung widmen. „Nina Wu“ ist - zumindest oberflächlich betrachtet - in einem weniger prekären Milieu angesiedelt und markiert eine Abkehr von der dokumentarischen Ästhetik und der klaren Struktur früherer Regiearbeiten. Die Bilder sind traumwandlerischer und stilisierter, die mit Thriller-Elementen angereicherte Erzählung verschachtelter.
Schon immer fremdbestimmt
Als Nina nach den Dreharbeiten ihre kranke Mutter in der Heimat besucht, erfährt „Nina Wu“ einen ersten Bruch. Wo das Wiedersehen mit der Familie und einem Mädchen, das mehr als nur eine platonische Freundin war, hinführen soll, ist zunächst nicht ganz klar. Doch bald zeichnet sich bei dieser Reise in die Vergangenheit ab, dass Ninas ewiges Erdulden schon weit vor ihrer Schauspielkarriere seinen Anfang nahm. Von ihren Eltern wurde sie von Kindesbeinen auf Erfolg getrimmt; ihre Homosexualität konnte sie wegen ihren beruflichen Ambitionen nie offen ausleben, und als erwachsene Frau muss sie nun die Schulden ihres Vaters abbezahlen. Auf dem Land mag alles idyllischer erscheinen, aber das Netz aus familiären und gesellschaftlichen Zwängen schnürt Nina hier ähnlich die Luft ab wie der Druck am Set.
Immer wieder lässt Midi Z die Protagonistin den Satz „Sie wollen nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Seele“ sagen und bezieht sich damit nicht nur auf Ninas Rolle, sondern auch auf ihr Leben. Überhaupt sind die Grenzen zwischen Fiktion, Wirklichkeit und Traum hier nicht säuberlich getrennt, was sich schon früh andeutet, als Nina beim Dreh eine Eidechse erscheint.
Dass nicht alle Erzählfäden zusammengeführt werden und einiges rätselhaft bleibt, stört nicht weiter, denn der zunehmend albtraumhafte und visuell ausufernde Film lässt bald erkennen, das er keine übergeordnete Perspektive einnimmt, sondern sich aus der Gefühlswelt der gemarterten Hauptfigur heraus entwickelt. Deutlich wird das spätestens bei der Begegnung mit einem übergriffigen Produzenten, die Midi Z zweimal zeigt: einmal, wie sie tatsächlich stattgefunden hat, und ein anderes Mal, wie sich dieses Erlebnis als monströs verzerrtes Höllenszenario in Ninas Psyche eingebrannt hat. Dabei offenbart sich auch, dass die scheinbar so ohnmächtige Heldin selbst Schuld auf sich geladen hat.
Ein bleibendes Unbehagen
Weil „Nina Wu“ nicht von einem Thema, sondern von seiner ambivalenten Hauptfigur her gedacht ist, bleibt der Film vielschichtig und ungreifbar. Am Ende gibt es keine wütende Anklage, keine Vergeltung oder Erlösung, ja nicht einmal eine eindeutige Opferrolle. Was bleibt, ist ein unaufgelöstes Unbehagen.