Tatendrang und ein fester Wille zum Neustart in allen Ehren, doch was, wenn es am passenden Outfit fehlt? Beim Tanken fällt der Blick von Georges (Jean Dujardin) auf sein Spielbild im Autofenster und auf den Ausbund an Hässlichkeit, den seine grüne Cordjacke darstellt. Georges macht noch an der Raststätte kurzen Prozess mit diesem Schandfleck und kann den Aufbruch in sein neues Leben nun erst richtig als solchen empfinden. Ein mehr als gleichwertiger Ersatz für das entsorgte Kleidungsstück ist auch rasch zur Hand: In einem kleinen Berghof in den Pyrenäen entdeckt Georges einen wahrhaftigen Schatz. Mehrere tausend Euro drückt er dem Bauern für eine Jacke aus hundert Prozent echtem Wildleder in die Hand, was dieser dann doch so überzogen findet, dass er dem Käufer gratis noch etwas dazugibt: Die „fast neue“ Videokamera wirkt zwar ähnlich zeitlich überholt wie die Jacke, für Georges ist sie in seinem Zustand jedoch ein optimales Accessoire für seine umgestaltete Persönlichkeit. Nicht nur kann er sich nun selbst in seiner neuen Kluft filmen, die Kamera verschafft ihm auch eine Möglichkeit, sich bei etwaigen Fragen als Regisseur auf Motivsuche auszugeben.
Der neue Streich von Avantgarde-„Auteur“ Quentin Dupieux
Das Talent, surreale Stimmungen mit der Vorahnung von etwas Bedrohlichem zu erzeugen, hat den Franzosen Quentin Dupieux zu einem der herausragenden Vertreter des aktuellen Avantgarde-Kinos gemacht, zu dessen größten Qualitäten die Unvorhersehbarkeit zählt: So sehr sich sein achter Spielfilm „Monsieur Killerstyle“ im Tonfall sofort in Dupieux’ übriges Oeuvre einfügt, so wenig ist die Richtung absehbar, die der Regisseur dieses Mal beschreitet.
Das liegt vor allem daran, dass einem nach den stilisierten Set-Designs seiner letzten Filme „Reality“ und „Die Wache“ hier zunächst ein Realismus-Schock erwartet. Das Bergdorf, in dem sich Georges einmietet und das der Film nach seiner Ankunft nicht mehr verlassen wird, ist schlicht, schmucklos und reibt sich mit dieser Authentizität am irritierenden Verhalten des Protagonisten. Von Beginn an besitzt Georges’ Blick auf seine neue Jacke obsessive Züge: Er attestiert sich selbst einen „Killerstyle“, während Außenstehende ihn eher für lächerlich bis seltsam halten. In Unterhaltungen von anderen mischt er sich mit der Frage ein, ob es um seine Jacke gehe, und allein in seinem Hotelzimmer beginnt er, wahrhaftige Zwiegespräche mit dem braunen, fransenbehangenen Textil zu führen. Kein Zweifel, hier hat ein Mann jeden Halt und womöglich den Verstand verloren.
„Amour fou“ zwischen Mann und Jacke
Oder? Wirkt es zunächst so, als würde Dupieux erstmals nicht lose charakterisierte Figuren ins filmische Zentrum stellen, die durch skurriles, nicht greifbares oder schlicht Naturgesetzen widersprechendes Verhalten bestimmt sind, erweist sich der vermeintlich runde Charakter von Georges bald als Trugbild. So lässt sich verfolgen, wie Georges in eine Scheinwelt abgleitet, in der er und die Jacke eine zutiefst glückliche Beziehung führen, deren genaue Form nie explizit ausformuliert wird.
Dass die Wirklichkeit recht prekär ist, lässt er dagegen kaum an sich rankommen, auch wenn er gezwungen ist, sich Essen aus dem Müll zu suchen und in seinem Hotel ständig neue Ausreden zu erfinden, weil seine von ihm verlassene Frau die gemeinsame Kreditkarte gesperrt hat und er all sein Bargeld für seinen Wildleder-Fetisch ausgegeben hat. Der sich im Übrigen weiter steigert, indem Georges meint, von seiner Jacke einen Spezialauftrag zu erhalten: Damit auch der Rest der Welt merkt, wie einzigartig sie ist, soll er alle übrigen Jacken auf der Welt aus dem Verkehr ziehen.
Das absonderlichste Serienmörder-Szenario der Filmgeschichte
Mit seiner von Film zu Film verfeinerten Technik der allmählichen Zuspitzung gelingt es Dupieux scheinbar spielend, seine bizarre Prämisse von leisem Amüsement in ziemlich schwarzhumorige Gefilde übergehen zu lassen. Zählen kann er dabei auf seinen hochpräzisen Hauptdarsteller Jean Dujardin, der die Dialoge mit der Lederjacke – bei denen er zumindest anfangs auch sehr erkennbar den Part des Kleidungsstücks mit verstellter Stimme mit übernimmt – ebenso glaubwürdig transportiert wie Georges’ Wandel vom dreisten Schmarotzer zum manischen Umsetzer des Jackenvernichtungsplans, der in eines der absonderlichsten Serienmörder-Szenarios der Filmgeschichte mündet. So gekonnt Dujardin die humorvollen Seiten seines festgefahrenen Charakters vorführt, vermittelt er auch dessen Tragik angesichts einer Verstrickung in einen Wahn, aus der es keinen guten Ausweg geben kann.
Diesem aus der Spur geratenen Mann gegenüber steht eine Frauenfigur, die Adèle Haenel mit der ihr eigenen Klasse als störrischen Charakter mit Eigensinn anlegt: Die Barkeeperin Denise ist für Georges zunächst nur Zielobjekt für die erfundene Filmemacher-Vita, die durch ihr unerwartetes Interesse aber immer konkretere Formen annimmt. Denise fühlt sich insgeheim zur Cutterin berufen, geübt hat sie an Werken wie „Pulp Fiction“, dessen zerstückelte Erzählweise sie in eine chronologische gebracht hat – wie zu erwarten nicht zum Vorteil des Films.
Jean Dujardins Filmemacher-Figur trifft auf Adèle Haenel als Hobby-Cutterin
Als Georges ihr einen Job bei seinem angeblichen Projekt verspricht und die ersten Cassetten mit Aufzeichnungen zur Bearbeitung überlässt, offenbart aber auch die scheinbar bodenständige Frau eine Tendenz zur Psychopathin. Gerade die verrückte Mischung aus Bergaufnahmen und Jackenschwärmerei lockt Denise und treibt sie dazu, immer noch Wilderes zu verlangen, sogar als sie zur Zeugin von Georges’ Bluttaten wird. Was nicht nur den Irrwitz der Handlung befeuert, sondern auch die Metaebene, die „Monsieur Killerstyle“ neben allem anderen auch noch nonchalant bedient: Schließlich ist es genau diese Georges unterstellte Gabe, die Absurdität zu immer prächtigeren Blüten zu treiben, die auch der Regisseur Quentin Dupieux mit diesem Film einmal mehr stilsicher demonstriert.