Eine Geschichte von drei Schwestern
Drama | Türkei/Deutschland/Niederlande/Griechenland 2019 | 108 Minuten
Regie: Emin Alper
Filmdaten
- Originaltitel
- KIZ KARDEŞLER
- Produktionsland
- Türkei/Deutschland/Niederlande/Griechenland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Liman Film/Nu Look Prod./Komplizen Film/Circe Films/Horsefly Prod.
- Regie
- Emin Alper
- Buch
- Emin Alper
- Kamera
- Emre Erkmen
- Musik
- Nikos Papaioannou
- Schnitt
- Çiçek Kahraman
- Darsteller
- Cemre Ebuzziya (Reyhan) · Ece Yüksel (Nurhan) · Helín Kandemír (Havva) · Kayhan Açikgöz (Veysel) · Müfit Kayacan (Sevket)
- Länge
- 108 Minuten
- Kinostart
- 18.06.2020
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Drama in imposanten Bildern um drei Schwestern aus einem abgelegenen anatolischen Dorf, die auf eine Chance hoffen, als Dienstmagd in die Stadt vermittelt zu werden.
Wie eine beschädigte Fracht, die an den Besitzer zurückgeht, werden die drei Töchter des verwitweten Patriarchen Sevket nacheinander in das ärmliche Dorf zurückgeschickt, das sie mit Aussicht auf eine bessere Zukunft in einer wohlhabenden Pflegefamilie verließen. Reyhan, die Älteste, ging eine Beziehung mit einem Apothekerlehrling ein und wurde schwanger. Nurhan, die bei dem städtischen Arzt unterkam, wird nach Hause geschickt, weil sie den Sohn der Familie wiederholt geschlagen hat. Auch Havva, die Jüngste, muss gehen, nachdem der Sohn ihrer Pflegefamilie verstorben ist.
Mit ihrer Rückkehr nimmt „Eine Geschichte von drei Schwestern“ von Emin Alper seinen Anfang. Auf einer von schroffen Felsen gesäumten Serpentinenstraße geht es durch eine archaische Landschaft. Zu Füßen der Berge ein winziges Dorf. Das wird der Film nicht mehr verlassen.
Reyhan, Nurhan und Havva sind gescheiterte „Besleme“, wie Pflegekinder, die gleichzeitig als Magd arbeiten, nach einem früher weit verbreiteten Brauch in Anatolien genannt werden. Sevket bewertet die Rückkehr seiner Töchter als persönliche Niederlage. Für sie selbst ist es eine Verbannung. Schon die eigene Mutter hat es anders als ihre Schwestern nicht aus dem Dorf hinausgeschafft. Arbeit gibt es dort auch für die Männer nicht. Die Mine ist eingestürzt, und die wenigen, die dageblieben sind, versuchen aus dem einsturzgefährdeten Schaft noch ein bisschen Kohle für den Winter zu kratzen.
Alle wollen weg
Alle wollen sie weg. Reyhan, die mit dem etwas bedröppelten Ziegenhirten Veysel verheiratet wurde, träumt davon, mit ihrem kleinen Sohn bei ihrer Tante in Ankara zu leben. Nurhan hofft, der Arzt würde sich doch noch erweichen lassen und sie zurücknehmen. Derweil versucht der Vater zu deren Missfallen, die Jüngste statt Nurhan bei ihm unterzubringen. Veysel wiederum bedrängt den Arzt in einer betrunkenen Nacht, ihm Arbeit in der Stadt zu verschaffen.
In seinem dritten Spielfilm leiht sich Alper von Anton Tschechow die Figurenkonstellation der drei Schwestern und ihre Sehnsucht nach Aufbruch (in seinem Theaterstück „Drei Schwestern“ lautete das Mantra „Nach Moskau!“). Auch die Art, wie sich die Figuren dialogisch in ihre jeweils eigenen Dramen hineingraben, hat mit Tschechow zu tun. Und auch ihre Handlungsohnmacht. Mehrfach verlässt ein Auto ohne die Schwestern das Dorf. Irgendwann ist der Ort so eingeschneit, dass die Straßen nicht mehr passierbar sind, und auch von außen niemand mehr hereinkommt.
Landschaft und Innenraum
„Eine Geschichte von drei Schwestern“ arbeitet mit imposanten Bildern von Landschaft und Innenraum, doch die Struktur folgt dem Kammerspiel. Die Männer quatschen am Lagerfeuer, die Frauen reden und streiten zu Hause. Ihre Gespräche haben mit Reue und verpassten Gelegenheiten zu tun, mit den Frustrationen des täglichen Lebens und nächtlichen Träumen, deren rätselhafte Spuren sie zu lesen versuchen. Die Dynamik der Schwestern ist unstet und spannungsgeladen. Mal trösten sie sich, mal gehen sie aufeinander los. Konkurrenz und Zuwendung erzeugen ein kompliziertes Gemisch.
Wie schon „Beyond the Hill“ (2012) und „Abluka“ (2015) ist auch „Eine Geschichte von drei Schwestern“ zeitlich nicht klar verortet. Auch hier wird eine realistische Erzählweise mit suggestiver Aufladung und allegorischen Motiven verbunden. In den verwachsenen Wurzeln und Ästen der Bäume knistert es unheimlich, wenn Veysel nachts die Ziegen hütet. Das Haus der Familie erinnert an eine Höhle. Durch den dichten Stoff der Vorhänge dringt die Sonne kaum durch. Das Feuer flackert, als wüsste es was zu erzählen, in seinem Licht wirkt alles ein wenig verwunschen – Alper hat sich bei der Bildkomposition am Chiaroscuro der niederländischen Malerei orientiert. Mitunter geht das Märchenhafte mit dem Komischen einher. Einmal bereiten Reyhan und Nurhan das Getränk Ayran zu, indem sie ein Holzfass rhythmisch hin- und herschwenken; dabei sprechen sie über Sex und erigierte Penisse.
Die Schwestern umgibt etwas Mattes
Anders als der „Abluka“ findet „Eine Geschichte von drei Schwestern“ aber zu keiner vergleichbaren Verdichtung. Trotz ihrer emotionalen Ausbrüche umgibt die drei Schwestern etwas Mattes. Gut möglich, dass sich Alper mit Männerfiguren einfach besser auskennt. So gewinnt ausgerechnet der von allen Seiten belächelte und verachtete Veysel am meisten Kontur – und Tragik.
Dann gibt es noch eine mysteriöse Alte, die, wann immer sie auftritt, freudig Purzelbäume schlägt. Vielleicht könnte das eine Option für die Dagebliebenen sein: auf eine gute Weise einfach verrückt werden.