- | Deutschland 2018 | 97 Minuten

Regie: Gregor Erler

Ein Berliner Rentner wehrt sich gegen die Zwangsräumung seiner Wohnung, die Teil des groß angelegten Sanierungsplans einer Immobilienfirma ist. Sein Sohn und die Polizei wollen ihn zum Umdenken bewegen, doch die Situation eskaliert, als ein Makler der Firma auftaucht. Der Debütfilm verhandelt die verschärfte Situation auf dem Immobilienmarkt als klug konstruiertes Kammerspiel zwischen Psychothriller und Sozialdrama und setzt dabei auf die emotionale Tiefe der Figuren. Drastisch und offen parteiisch skizziert der Genrefilm die Nöte der Betroffenen minimalistisch, aber sehr effektiv. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
film13 GbR/Königsgarten Film UG/Cornelsen Films
Regie
Gregor Erler
Buch
Gregor Erler · Benjamin Karalic
Kamera
Moritz Reinecke
Musik
Rutger Hoedemaekers
Schnitt
Moritz Geiser
Darsteller
Matthias Ziesing (Tobias Heine) · Pegah Ferydoni (Shirin Kämper) · Moritz Heidelbach (Mark Franke) · Thilo Prothmann (Thorsten Öhlmann) · Tom Keune (Volker Hebestreit)
Länge
97 Minuten
Kinostart
13.08.2020
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.

Kammerspielartiger Thriller über einen überforderten Installateur, der im Streit um die Räumung der väterlichen Wohnung zum Geiselnehmer wird.

Diskussion

Tobias ist gestresst, denn er kommt mit den Aufträgen nicht hinterher. Er arbeitet als Installateur und muss von einem Kunden zum nächsten hetzen, um über die Runden zu kommen. Dass sein Vater wichtige Medikamente bei ihm im Auto liegen lässt, wirft seinen ohnehin schon überlasteten Tag völlig aus der Bahn. Auch Vater Dietmar hat mit massiven Sorgen zu kämpfen: Er muss aus seiner langjährig bewohnten Berliner Wohnung ausziehen – sein Haus ist das letzte in der Straße, das von einer Immobilienfirma aufgekauft wurde und nobelsaniert werden soll. Lange haben sich Dietmar und seine Nachbarn gegen die Räumung gewehrt; jetzt steht die Hausverwaltung mit der Polizei vor der Tür, und der Makler mischt auch mit.

Regisseur Gregor Erler fackelt in seinem Debütfilm „Der letzte Mieter“ nicht lange und erzählt dieses Drama effektiv als emotional aufgeladenes Kammerspiel. Dabei sieht er von jedem Betroffenheitsgestus ab, sondern verstärkt die mannigfaltigen Emotionen, die eine solche Entmietung mit sich bringt, und macht daraus einen handfesten Psychothriller. Schnell eskaliert die Situation in Dietmars Wohnung. Tobias muss sich entscheiden: Soll er sich auf die Seite des bockigen Vaters und der Familienerinnerungen schlagen, die an diesem Ort hängen, oder soll er sich den Immobilienhaien beugen, weil er allein die raubtierkapitalistische Gentrifizierungswelle ja doch nicht aufhalten kann?

Der Kampf ist vom Gesicht abzulesen

„Der letzte Mieter“ ist besonders eindringlich, weil Erler seine Figuren zwar plakativ gestaltet, aber ihnen keineswegs die Menschlichkeit raubt. Dem renitenten Dietmar ist vom Gesicht abzulesen, welchen Kampf er hinter sich hat. Dass er sich gleich zu Beginn des Films erschießt, weil der Makler ihn bedroht, zeugt von der immensen emotionalen wie wirtschaftlichen Belastung derer, die von Miethaien in die Ungewissheit abgeschoben werden.

Für Tobias wird Dietmars Tod zum emotionalen Impuls, der den Frust über die soziale Ungerechtigkeit potenziert und zum Überkochen bringt. In einer Übersprungshandlung verschanzt er sich in der Wohnung und nimmt Franke sowie die junge Polizistin Shirin als Geiseln, um die Immobilienfirma zu stoppen. Zweifel, Wut und Resignation schwappen in Wogen über ihn hinweg – Matthias Ziesing spielt diesen Wust aus Emotionen expressiv als psychosomatische Überforderung. Tobias schwankt immer wieder zwischen Aufgabe und unkoordinierter Selbstermächtigung. Seine Zerrissenheit ist herzzerreißend.

Die Polizistin als Katalysator

Erler setzt die Polizistin Shirin schlau als Katalysator für Tobias’ Perspektive ein: Sie kann ihn nicht nur beruhigen, sondern objektiviert auch seine schnell als Überreaktion abstempelbare Sichtweise. Als sie auf die Toilette muss und Tobias sie in das schon halb abgerissene Bad ohne fließendes Wasser führt, wird deutlich, welcher Kampf hinter Tobias und seinem Vater liegt und mit welch unwürdigen Mitteln die Immobilienfirma sie unter Druck gesetzt hat. Shirin stutzt und ermöglicht aufrichtiges Mitleid mit diesem von der Gesellschaft und den kapitalistischen Konzernen Vergessenen, ohne seine Würde oder seine Wut auszublenden.

Erler kann dieses Aufeinanderprallen der Welten dramaturgisch wohl auch deshalb so kompromisslos durchziehen, weil er den Film komplett frei produziert hat – ohne die in der deutschen Filmlandschaft obligatorischen Fernsehsender oder Förderinstitutionen. Das merkt man dem Film an, denn er ist roher und in seiner Drastik weitaus konsequenter als ein Großteil der in Deutschland produzierten Filme.

Ein Hybrid aus Psychothriller und Sozialdrama

Es ist völlig klar, wer hier die Immobilienhaie und wer die Opfer der Turbokapitalismus sind. Die emotionale Tiefe der Figuren ist besonders eindringlich und macht „Der letzte Mieter“ zu einem klugen Hybriden aus Psychothriller und Sozialdrama. Das ist angesichts der Brisanz des Themas mehr als passend, weil es dazu zwingt, sich mit den Betroffenen als Individuen auseinanderzusetzen, die eine Geschichte und viele Erinnerungen mit den Wohnungen verbindet, die sie verlassen müssen.

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