Anne at 13,000 ft

Romain Antony | 19.02.2021

Anne at 13.000 ft. Canada, 2019 Regie: Kazik Radwanski mit Deragh Campbell, Matt Johnson. Zum Plot: Anne alias Deragh Campbell , eine junge Berufsanfängerin als Erzieherin im Kindergarten angestellt, hat Schwierigkeiten mit einer Kollegin, will nach einem Tandem-Fallschirmsprung selbstständig Fallschirmspringen lernen, lernt auf der Hochzeit ihrer Kollegin und Freundin einen netten Mann, Matt alias Matt Johnson, kennen. Die Beziehung hakt nach einer Weile, die kollegialen Querelen auf der Arbeit nehmen zu. Anne fühlt sich unverstanden, beobachtet, schikaniert, reagiert erregt und aufbrausend. Der Film endet mit einem eigenständigen Sprung von Anne aus dem Flugzeug. Uns hat der Film gut gefallen, wir fanden ihn interessant, schauspielerisch hervorragend von Deragh Campbell interpretiert. Hohes Tempo, Detailansichten, kurzen Schnitte und sehr bewegliche Handkamera verbildlichten die innere Unruhe und Konfusion der Protagonistin und die Wuseligkeit des Kindergartenalltags. Die schnelle Abfolge der Einstellungen nervte denn auch und wir waren froh ab und zu eine längere Einstellung zu sehen, ohne dass Annas Haarpracht von hinten gefilmt war oder Bewegungen, aber nicht deren Ziel gezeigt wurden. Was war nun hervorhebenswert? 1. Die Sicht auf Arbeitsabläufe von Erzieherinnen in einer Kindertagesstätte, die im Spagat der Erwartungen von Träger der Einrichtung, Eltern, Kolleginnen und Kindern stehen. Der Film würdigt pädagogische Arbeit und streift deren Belastungspotenzial. Interessant fanden wir auch, dass im Film Konfliktlösungsversuche im Team thematisiert wurden. 2. Die Verhaltensweisen von Kindern,: So sind sie, so können sie sein, so sollte, könnte man auf ihre Eigenarten reagieren (ein „zahmer“ Schmetterling wird von Kind zu Kind, von Schulter zur Wange, von Finger zur Hand gereicht, bis er schließlich weg fliegt.../ der Junge, ein Haifischexperte, dessen Lieblingsthema Menschenfleisch fressende Haie sind und der andere Kinder zu Gesprächen über den Film „Der weiße Hai“ verführt, ein Film den anscheinen zahlreiche Kindertagesstättenkinder gesehen hatten) Kinder, meist Jungs, auch bei uns, kennen sich mit Spezialthemen oft enorm gut aus. Ob Dinosaurier oder Pokémon,, Automarken, Sportlerbilder oder Superhelden, wie reagiert man auf diese Kinder? Der Film zeigt uns das vorbildhaft. Eine Botschaft lautet: wenn man gut mit Kindern kommunizieren will, sollte man sich Kindliches, Spielerisches, Originelles und Einfallsreiches in seinem Verhaltensrepertoire bewahrt haben. Die Empfehlung der esoterischer Wohlfühlpsychologie, Kontakt zu seinem inneren Kind zu halten, hat hier jedenfalls seine Berechtigung. 3. Die Persönlichkeit der Erzieherin Anne und die Entwicklung eines Persönlichkeitszuges bis hin zu einer fast ausweglosen Situation. Anne ist verspielt, zu Scherzen auflegte. Ihre spontane, impulsive Art wird missgedeutet, eckt gegen Vorgaben und Regelstrukturen an und führt zu Auseinandersetzungen, die sie gefühlsmäßig kaum bewältigt. Hier wird kein Psychogramm einer Störung gefilmt, da passt keine psychologische Diagnose. Trotzdem zeigt sich exemplarisch, wie Persönlichkeitsanteile mit Realitätsanforderungen unvereinbar werden und sich zu Krisen zuspitzen können. 4. Wir lernten wie Fallschirmspringen gelernt wird. Was ist so faszinierend an diesem Sport? Man muss ihn praktizieren, um das zu verstehen. Das Gefühl aus dem Himmel zu fallen kann man mit Worten nicht beschreiben, das sagt der Dialog, das zeigen die Fallschirmszenen. Steffi und Sandra hätten ihre Freude dran. 5. Die Dialoge: Sie sind echt gut und intelligent. Sie wurden ohne großes Drehbuch am Set von den Schauspieler*innen entwickelt. 6. Das offene Ende. In einer Szene, kurz vor ihrem ersten selbständigen Fallschirmsprung, will Anna, in hoher Erregung, aus dem fahrenden Auto springen. Wie geht es weiter für sie? Als sie dann danach in der nächsten Szene – etwas zögerlich – springt, bleibt für uns offen, ob sie dadurch erneutes Selbstvertrauen gewinnt und sie ihre Probleme meistert oder ob vielleicht sie – suizidgefährdet - den Fallschirm gar nicht öffnet. Eine filmisch exakt austarierte Gratwanderung, ausbalanciert, schwebend in der Schwebe. Zusatzinfo aus der Q&A nach der Vorführung: die Mutter des Regisseurs ist Kita-Leiterin (sie spielt sich im Film selbst) und der Regisseur ist auch lange dort Kindertagesstättenkind gewesen. Und? Macht es Sinn etwas über einen Film zu erfahren, den man vielleicht nicht sieht?