Ein junger Mann und ein etwa elfjähriges Mädchen sind in einem Wohnwagen durch Süddeutschland unterwegs. Noch ist nicht ganz klar, in welcher Beziehung sie zueinanderstehen: Vater und Tochter? Bruder und Schwester? Onkel und Nichte? Das Mädchen scheint krank zu sein; müde steht es in der Wohnwagentür. Dann sieht man, wie Richi (Moisé Curia) auf seinem Laptop mit jemandem chattet. Dabei blickt er ein wenig zu lange auf die nackten Beine des Mädchens. Später wird er Bilder von Kindern hochladen, deren Gesichter unter Plastikfolie nicht zu erkennen sind. Auch filmt er das Mädchen vor einem Strandposter in einem roten Bikini. Die bittere Wahrheit: Richie ist ein Pädophiler, der das Mädchen entführt hat.
Darum ist ihm in einer parallel geführten Handlung des Films die Polizeikommissarin Milia Demetz (Cosmina Stratan) auf den Fersen. Sie ermittelt in Rom gegen ein Pädophilen-Netzwerk. Sie ist es, die mit Richi gechattet hat, unter falschem Namen. In einem der vielen Videos entdeckt Milia ein Mädchen, das die vor Jahren in Tirol verschwundene Magdalena Senoner sein könnte.
Währenddessen isst das ungleiche Paar in einem Restaurant zu Mittag und macht den Wirt (Heio von Stetten) misstrauisch. Zu scheu, zu mager, zu blass ist das Mädchen, das zudem eine seltene Sprache spricht: Ladinisch. Die Aufnahmen der Überwachungskamera aus der Wirtschaft beweisen: Das Mädchen ist Magdalena. Der Fahndungsdruck treibt Richi hingegen bis nach Rumänien.
Ein hochbrisantes Thema
Die italienische Dokumentarfilmregisseurin Isabella Sandri widmet sich in „Nicht dein Mädchen“ einem ebenso wichtigen wie hochbrisanten Thema: der Kinderpornografie im Internet. Bei ihren jahrelangen Recherchen hat Sandri mit römischen Sonderermittlern und Psychologen zusammengearbeitet. Es geht ihr sowohl um die gefährliche Beziehung zwischen Tätern und Opfern als auch um die Polizisten und Ermittler, die tagein, tagaus mit schrecklichen Bildern voller Gewalt konfrontiert werden.
Die Handlung von „Nicht dein Mädchen“ verläuft deshalb lange Zeit zweigleisig. Richi und Magdalena erleben – trotz der gewaltsamen Entführung – Momente der Unbeschwertheit; sie verkleiden sich, tanzen und lachen sogar, einfach, weil das Mädchen keine Angst hat und nicht weiß, welche finsteren Motive Richi verfolgt. Richis inszenierte Szenen, die er mit dem Handy aufnimmt, sind für sie nur ein unschuldiger Spaß; ihr Vertrauen wird grausam missbraucht.
Milia Demetz hingegen setzt sich der Kinderpornografie im Netz aus und versucht, im Chat die Sprache der Pädophilen zu sprechen. Das geht nicht ohne seelische Wunden vonstatten; darum nimmt sie die Hilfe einer Psychologin (Valeria Golino) an. „Ich war mal wieder zu spät“, muss sie ihr gestehen, weil sie die Taten, deren Bilder im Internet kursieren, nicht verhindern kann. Die großen, traurigen Augen von Anna Malfatti, der kleinen Hauptdarstellerin, sind denn auch das eigentliche Ereignis des Films.
Ohne Bilder grausamen Missbrauchs
Bilder grausamen Missbrauchs spart die Regisseurin aus; der Anblick eines elfjährigen Mädchens im roten Bikini oder im engen Glitzerkleid ist irritierend genug, ebenso, dass es für Filmaufnahmen in einem verfallenen Haus mit Drogen betäubt wird und sich anschließend übergeben muss. Was zwischen diesen beiden Szenen passiert sein mag, wird nicht gezeigt.
„Nicht dein Mädchen“ ist auch ein Krimi. Aber die Spannung der Ermittlungen behandelt die Inszenierung sanft, zurückhaltend, fast beiläufig, ohne Verfolgungsjagden oder Gewalt. Hier eine unvorsichtig hinterlassene E-Mail-Adresse, dort eine Handyortung, dazu die Hilfe von Interpol und Hinweise weniger Zeugen – schon zieht sich das Netz um Richi zusammen.
Interessant ist auch die Mehrsprachigkeit des Films: Ladinisch wird nur in einigen Tälern Südtirols gesprochen und macht die kleine Magdalena darum so besonders, dazu kommt Italienisch, Deutsch und Rumänisch. „Il confine incerto“ heißt der Film im Original, „Die unsichere Grenze“. Grenzen bieten keinen Schutz mehr, Pädophile agieren international.
Der Wald bedeutet Gefahr
Eine große Bedeutung kommt auch der Natur zu. Bei der Tour im Wohnmobil durch die Alpen ist sie mitunter atemberaubend schön und steht im krassen Gegensatz zur Traurigkeit der Hauptfiguren. Der große, dunkle Wald bedeutet hingegen Gefahr. Am Schluss sieht sich Magdalena selbst dabei zu, wie sie vor Jahren dort hineingegangen ist. Endlich erinnert sie sich wieder.