Dieser Film ist ein Geschenk
Dokumentarfilm | Österreich 2019 | 72 Minuten
Regie: Anja Salomonowitz
Filmdaten
- Originaltitel
- DIESER FILM IST EIN GESCHENK
- Produktionsland
- Österreich
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Virgil Widrich Filmprod.
- Regie
- Anja Salomonowitz
- Buch
- Anja Salomonowitz
- Kamera
- Martin Putz
- Schnitt
- Eleonora Camizzi · Petra Zöpnek
- Länge
- 72 Minuten
- Kinostart
- 06.12.2019
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Künstlerporträt
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Ungewöhnliches Porträt des in Wien lebenden Schweizer „Objekt“-Künstlers Daniel Spoerri.
Ungewöhnliches Porträt des in Wien lebenden Schweizer „Objekt“-Künstlers Daniel Spoerri.
In dem Kurzfilm „Resurrection“ (1968), der nach einer Idee des in Wien lebenden Schweizer Künstlers Daniel Spoerri entstand, wandern die Ausscheidungen in den Körper zurück, purzeln durch den Mund auf den Teller und liegen bald als durchgebratenes Steak in der Pfanne. Das Steak wiederum vervollständigt sich zur Kuh am Fleischerhaken, die schließlich quicklebendig auf der Weide vor sich hin grast, wo sie einen frischen Kuhfladen hinterlässt – und so könnte es ewig weitergehen.
Nicht von ungefähr steht der von Tony Morgan inszenierte Film „Resurrection“ am Anfang von Anja Salomonowitz’ ungewöhnlicher Biografie über Spoerri. Denn in der rückwärts erzählten Stoffwechselkette findet Spoerris Vorstellung vom Leben als ewigem Kreislauf in ein anschauliches Bild gebracht. Und auch Salomonowitz’ Annäherung an Spoerri folgt einer zirkulären Bewegung. Gedanken werden ausgetauscht, Dinge hin- und hergeschoben oder verschenkt.
Menschen sterben, Dinge bleiben
So liegen zum Beispiel die schwarzen Kunststoffkochlöffel von Salomonowitz’ verstorbenem Vater neben Schöpfkellen, Teesieben, Holzlöffeln und anderem Küchenkram auf dem Ateliertisch von Spoerri, der von der statischen Kamera zum klaren Tableau gerahmt wird: ein Sammelsurium, aus dem im Laufe des Films ein fertiges Bild entsteht. „Die Menschen sterben, die Dinge bleiben“, sagt Salomonowitz mit ihrer charismatischen „Nebenbei“-Stimme aus dem Off.
Zu Beginn der 1960er-Jahre zählte Daniel Spoerri neben Jean Tinguely, Yves Klein und Niki de Saint Phalle zu den Nouveaux Réalistes. Er gilt zudem als Erfinder der Eat Art, eine Ausprägung in der Kunst, die das Feld des künstlerischen Ausdrucks durch die Kochkunst erweitert – das Austragen von Festessen gehörte ebenso dazu wie das Erfinden experimenteller Gerichte.
Bekanntheit erlangte Spoerri vor allem durch seine Fallenbilder („Tableaux pièges“) – auf Tischplatten fixierte Überreste vorgefundener Situationen wie beispielsweise dem Frühstückstisch seiner damaligen Freundin Kichka. Später ging er dazu über, Gegenstände auf Flohmärkten einzusammeln und sie zu Assemblagen weiterzuverarbeiten; die Dinge gerieten in einen neuen Zusammenhang, sie bekamen einen neuen Sinn – oder wie Spoerri es im Film nennt: einen neuen „Unsinn“.
Oskar & „der Spoerri“
Auch Salomonowitz arbeitet in ihren hybriden Arbeiten mit Neukonfigurationen; so lässt sie in „Kurz davor ist es passiert“ (2006), einem Dokumentarfilm über den Frauenhandel in Österreich, reale Erfahrungen von Laiendarstellern erzählen und macht dadurch die Gewalt als etwas Strukturelles erfahrbar. In „Dieser Film ist ein Geschenk“ sind die Darstellungsbrüche allerdings verspielter und wärmer. So lässt sie Erzählungen und Handlungen des Künstlers, die man zuvor als „authentische Zeugnisse“ gesehen hat, von ihrem Sohn Oskar nachspielen. Manchmal verhaspelt sich Oskar oder er kramt in seiner Erinnerung. Salomonowitz geht es dabei weniger um eine Dekonstruktion des Künstlerporträts; vielmehr wird im kindlichen Reenactment „der Spoerri“ an die Gegenwart weitergegeben und damit ein Stück weit bewahrt.
Sollte „Dieser Film ist ein Geschenk“ tatsächlich ein „Fallenfilm“ sein, dann ist er ein komplett unmusealer Fallenfilm. Seine Elemente bleiben stets beweglich und leicht; im Gegensatz zu Spoerris Assemblage-Objekten müssen sie nicht mit Klebstoff fixiert werden.
Zwei essentielle Tätigkeiten stehen in „Dieser Film ist ein Geschenk“ nebeneinander oder greifen oft auch ineinander: das Anordnen von Gegenständen (mitunter in Zusammenarbeit mit Oskar) sowie die Erinnerungsarbeit, die sich zumindest momenthaft auch als Trauerarbeit entpuppt. Spoerri, eigentlich Daniel Feinstein und Sohn eines rumänischen Juden, ist knapp am Vernichtungsterror „vorbeigeschrammt“. Als er zehn Jahre alt war, verschwand sein Vater; erst viel später erfuhr Spoerri, dass er von den rumänischen Faschisten mit einem Todeszug deportiert wurde.
Ein rotes Herz kehrt zurück
Auf ganz andere Weise schwirrt der Vater von Anja Salomonowitz durch den Film. Ein rotes Porzellanherz, das sie in der Wohnung des Verstorbenen fand und nach einem versäumten Abschiedsritual an Spoerri weiterschenkte, kam in einem seiner Kunstwerke unerwartet wieder zu ihr zurück. Der Film ist sozusagen ein Gegengeschenk. Und wie alle Geschenke in diesem schönen, manchmal heiteren und manchmal auch ein wenig traurigen Film kommt es von Herzen.