Die Kinder der Toten
Experimentalfilm | Österreich 2018 | 92 Minuten
Regie: Kelly Copper
Filmdaten
- Originaltitel
- DIE KINDER DER TOTEN
- Produktionsland
- Österreich
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Ulrich Seidl Filmprod.
- Regie
- Kelly Copper · Pavol Liska
- Buch
- Pavol Liska · Kelly Copper
- Kamera
- Kelly Copper · Pavol Liska
- Musik
- Wolfgang Mitterer
- Schnitt
- Kelly Copper · Pavol Liska · Michael Palm
- Darsteller
- Andrea Maier (Karin) · Greta Kostka (Mutter) · Klaus Unterrieder (Förster) · Georg Beyer (Big P) · Sandra Eilks (Untoter Jörg Haider)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- 14.11.2019
- Fsk
- ab 12; f
- Genre
- Experimentalfilm | Literaturverfilmung | Mystery | Stummfilm | Zombiefilm
- Externe Links
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Heimkino
Eigenwillige Verfilmung des Gespensterromans „Die Kinder der Toten“ von Elfriede Jelinek, in dem sich die Schriftstellerin mit experimenteller Sprachgewalt mit der österreichischen Nazi-Vergangenheit auseinandersetzt.
Nicht zufällig beginnt „Die Kinder der Toten“, eine Verfilmung oder vielmehr eine Zerfledderung von Elfriede Jelineks gleichnamigem, in der Obersteiermark angesiedeltem Gespensterroman mit dem ratternden Geräusch eines Filmprojektors, der im ersten Bild dann auch gleich zu sehen ist: als eine etwas unheimliche Apparatur, die ihren Lichtkegel aus dem Bild hinauswirft, als würde sie zu irgendjemand oder zu irgendetwas da draußen im Dunkeln Kontakt aufnehmen.
Die Zombs kehren zurück
Dieser Einstieg über die Phantomhaftigkeit der filmischen Projektion greift weit in die Vorgeschichte des Kinos zurück, zu den Laterna-Magica-Vorstellungen und den Phantasmagorien, bei denen ebenfalls schon die Elemente des Horrors – projizierte Bilder von Skeletten, Spezialeffekte wie Rauch, diabolische Sounds oder unheimliche Stimmen – zum Einsatz kamen.
Es ist nur konsequent, dass in „Die Kinder der Toten“ ausgerechnet eine Kinoleinwand zum Portal wird, durch das die „Zombs“, wie die Untoten im Film einmal genannt werden, ins Leben zurückkehren. Womöglich wurden sie vom Licht des Projektors erst angelockt!
„Die Kinder der Toten“ eröffnet wie ein Heimatfilm im Home-Movie-Format – gedreht wurde stumm und auf 8mm –, doch die Weichen stehen von Beginn an auf Entgleisung, Verwesung und Tod. Kelly Copper und Pavol Liska, in der Theaterszene unter dem Namen „Nature Theater of Oklahoma“ bekannt-berüchtigt sind (schon der Name ist eine produktive Verwirrung; die Performancegruppe ist in New York ansässig), werfen einem die abrupt wechselnden Handlungsstränge wie jene grobe Fleischklumpen vor die Füße, die in einer Szene aus der Fahrerkabine eines Holztransporters plumpsen.
Klandestine Kino-Séancen
Da ist zum einen die Gesellschaft eines holländischen Reisebusses, allesamt Menschen mit schief sitzenden weißblonden Perücken auf Kollisionskurs mit einem Kleinbus. Zum anderen ein depressiver Förster, eine Gruppe halbverhungerter syrischer Lyriker, die in der Pension Alpenrose hoffen, eine Mahlzeit aus ihrer verlassenen Heimat zu bekommen (das „t“ in „styrian“ haben sie tragischerweise übersehen) sowie die Witwe eines Ex-Nazis, die in einem alten Fabrikgebäude klandestine Kino-Séancen veranstaltet, bei dem das Publikum bei der Betrachtung von Bildern verstorbener Angehöriger in eine Art massenpsychotisches Heulen und Schluchzen ausbricht.
Zentraler Schauplatz ist die Pension Alpenrose, ein Ort rustikaler Heimeligkeit und tiefer Fremdenfeindlichkeit – die syrischen Lyriker werden hinausgeworfen, aber auch sie kommen zurück –, der körperlichen Übergriffe und des psychischen Terrors. Hauptfiguren des sich zwischen Kruzifixen, Blumenbildern, Geweihen und Soldatenporträts austobenden Horrorkabinetts sind Karin Frenzel, eine verstockte Frau in Puma-Trainingsjacke, und ihre Mutter – „Ich kann dich nicht ausstehen“ ist in Stummfilmmanier auf einer Texttafel zu lesen, während sie an ihrem halbrohen Schnitzel herumschnippelt: „Aber das hat nichts mit dir zu tun. Wir sind einfach nie miteinander warm geworden. Du bist nicht mein Typ, was Töchter angeht.“ Ein notgeiles altes Ehepaar am Nebentisch mag es morbide: der Palatschinken, den sich der Mann aufs Gesicht klatscht, sieht wie eine Totenmaske aus.
Am „Wasserfall zum Toten Weib“
Inspirationsquellen für Copper und Liska waren neben den Zombiefilmen von George A. Romero Herk Harveys B-Movie „Tanz der toten Seelen“ und Erich von Stroheims „Blind Husbands“; auch finden sich Anklänge an den Wiener Aktionismus und das US-amerikanische Undergroundkino.
Untrennbar mit dem Horror verbunden ist auch die von den Zeichen des Todes markierte Landschaft mit ihren Schluchten, engen Kurven und eingeschriebenen Katastrophen. Was mag das wohl für eine Natur sein, in der es einen „Wasserfall zum Toten Weib“ gibt?
„Die Kinder der Toten“, der von Ulrich Seidl in Zusammenarbeit mit dem Steirischen Herbst und unter Mitwirkung von 80 lokalen Laiendarstellern realisiert wurde, nähert sich der Erinnerung und der Verdrängung der Shoa mit den Mitteln des billigen Kinos: brachial, improvisiert, vulgär, ohne Rücksicht auf den guten Geschmack und die feinen Unterschiede. Fleisch, falsche Zähne, Perücken, Kunstblut, weiße Schminke, Dirndl und Trachten: alles wird durch den Fleischwolf gedreht und als wüstes Gemisch wieder ausgeworfen. Bei der großen nächtlichen Zombieparade sind Hakenkreuze neben Judensternen zu sehen, Hitler neben Mozart und dem verunglückten Formel-1-Rennfahrer Jochen Rindt; und auf der Tonspur bläst und trötet und kracht es, als habe der Satan die Volksmusik gekapert.
Jelineks Sprache ist scharf und wütend
In den besten Momenten entfaltet der Film einen anarchisch-entfesselten Furor, der an ein exorzistisches Ritual erinnert. Mitunter erschöpft sich „Die Kinder der Toten“ aber auch einfach im Karnevalesken; Jelineks Sprache, auf die Copper und Liska klugerweise nicht setzen, besitzt eine andere Schärfe und Wucht, wenn es darum geht, das österreichische Erbe des Faschismus zu beschreiben. Andererseits bringt der Außenblick auch produktive Verfremdungselemente mit sich. Die Filmemacher haben Jelineks Roman nicht gelesen, sondern ihn sich in bester oraler Tradition einfach erzählen lassen.
Am Ende laufen alle Erzählstränge in der Alpenrose zusammen – zu einem „Fegefeuer eigener Art“. Es gibt wüste Zombstänze, in der Küche wird Kebap an gefährlich langen Spießen gegrillt, und Karin und ihre Mutter watschen sich gegenseitig mit Forellen. Dabei hallt auch die Debatte um historische Schuld und Geschichtsaufarbeitung wider. „Vergib mir.“ – „Warum sollte ich?“