„Searching Eva“ zeigt Eva Collé. Sie spielt sich selbst, so wie es jeder tut. Zu sagen, sie würde porträtiert oder es würde ein Bild von ihr gezeichnet, vielleicht sogar ein kohärentes, wäre falsch. Das geschieht in dem Langfilmdebüt von Pia Hellenthal dezidiert und mit Ansage nicht.
Es wird auch nicht, wie es der Titel nahelegt, nach ihr gesucht. Natürlich hat das Filmteam die junge Italienerin jahrelang bei ihren Reisen durch Europa begleitet, mal mit dokumentarischem Gestus, mal mit aufwändig konstruierten Tableaus. Eine Suche findet trotzdem nicht statt, weil von vorneherein feststeht, dass Eva nicht zu finden ist. Stattdessen wird sie zum Phantom erklärt, zur Unerreichbaren und Vieldeutigen. Zur Andersartigen, die bestehende Vorstellungen von Identität hinter sich gelassen hat, die in keine Schublade passt. Obwohl es dann doch auffällig viele Begriffe gibt, mit denen sie sich selbst beschreibt: Poetin, Autorin, Model, Sexarbeiterin, Bloggerin, Autistin, Drogensüchtige und so weiter.
Selbstdokumentation im Internet als Grundmodus moderner Existenz
Ist sie so unbeschreiblich? Unbeschreiblicher als andere? Natürlich nicht! Jeder Mensch ist komplex, und jeder Versuch, ein Leben in 90 Minuten zu erklären, gerät notwendigerweise reduktionistisch. Bei einem Spaziergang durch die Szeneviertel europäischer Metropolen würden sich Hunderte wie Eva Collé finden.
Wenn es etwas an ihr gibt, dass sie einzigartig macht, dann wird es im Film nicht gezeigt. Die an Reality Soaps gemahnende Selbstdokumentation, die Collé im Internet vorantreibt, ist längst zum Grundmodus moderner Existenzen geworden. Stolz stellt sich der gläserne Mensch vor der Welt aus. Nacktheit ist dabei keine Selbstoffenbarung, sondern befreit vielmehr von allen gesellschaftlichen Indikatoren und Insignien. Das unstete Leben aus Koffern entspricht dem logischen Endpunkt eines flexibilisierten Arbeitsmarktes.
Vielleicht ist die Protagonistin eine große Poetin, aber auch das lässt sich aus versprengten Textfetzen nur erahnen. Ihre Themen rund um Körperlichkeit, Geschlechterrollen, Identität und Sexualität sind omnipräsent. Als Provokation würden sie wohl nur noch in einem sehr spezifischen Rahmen gewertet. Wo sollen sie leben, diese ewigen Margaret Dumonts, die sich von Aufnahmen eines dicken Österreichers beim Sex noch erschüttern lassen?
Um wenigstens den Anschein von Transgression zu erwecken, wird sogar ein Theaterchor von anonym-zornigen Internet-Kommentaren etabliert, der zwischen die Einstellungen blökt. Körperlos aus der Finsternis sprechend, sind die Stimmen vage bedrohlich, aber natürlich auch allzu leicht diskreditiert. Fuck the haters!
Instagram für die große Leinwand
„Searching Eva“ reklamiert für sich jene Offenheit und Freiheit, die der Film auch seiner Protagonistin zuschreibt. Das geschieht vor allem durch die Montage, die bewusst sprunghaft und fragmentarisch funktioniert. Viele Schnitte sind abrupt; stets wird eher die Diskontinuität denn der Zusammenhang betont. Ein Beispiel für eine typische Bildfolge: Collés Genitalbereich. Schnitt. Collé auf einem Balkon, sie raucht und singt ein Lied. Schnitt. Collé in ihrem Zimmer; am Schreibtisch tippt jemand in hektischen Schüben auf einem Laptop herum. Auch die vielen Zwischentitel und das Voiceover strukturieren das Geschehen nicht, sondern vermitteln höchstens ein Gefühl von einer fernen, äußeren Ordnung, die nicht ganz bis ins Geschehen hineinreicht.
Doch in dem gleichwertigen, gleichmütigen Nebeneinanderstellen disparater Elemente entsteht nichts Neues, keine Dekonstruktion, sondern bloß ein weiterer Social-Media-Account. Das Kino mit seinen Gestaltungsmöglichkeiten wird dadurch nicht freier, sondern unterwirft sich. Instagram für die große Leinwand, ein Fisch an Land. Der Film bleibt vom Menschen Collé weit entfernt und wagt es nicht, zu deuten oder zu analysieren. Aus Angst vor dem Schubladendenken wird das Denken ganz vermieden; stattdessen ergeht sich die Inszenierung in einem bunten Reigen von Katalogbildern. Das ist jene Art der Idiosynkrasie, die längst selbst zur Norm geworden ist. Es gibt keine kritische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, keinen Zweifel, nur ein tumbes Starren.
Wenn die öffentliche Person Eva Collé vor allem deshalb populär und wirksam ist, weil sie ungefiltert lebt, wofür bedarf es dann des selektierenden, filternden Rahmens eines Films? Und wie soll der Film etwas wirklich Neues zeigen, wenn von vornherein klar ist, dass es gar keinen wahren Kern gibt?
Zumal dadurch auch die Schubladen und bestehenden Denkmuster nicht beseitigt werden. Man kann so oft „Don’t attach any meaning to it“ sagen, wie man will – wenn man sich dennoch in zeitgenössischen Diskursen rund um Geschlecht und Identität, Authentizität und digitale Persona, Feminismus und Patriarchat einordnet, werden solche Ziele ihrer Kraft beraubt. Die reine Kunst, frei von der Last der Bedeutung und losgelöst von der verwalteten Welt, war immer schon ein angestrebtes Ideal. Hier wird es, wie so oft, nicht verwirklicht.
Eine Liaison von Vice und ZDF
Produziert wurde der Film unter anderem von dem Medienkonzern Vice und dem ZDF. Tatsächlich positioniert er sich ästhetisch zwischen den Auswüchsen dieser Pole, also zwischen didaktischem Redaktionsfernsehen und adoleszenter Blasiertheit, die Werbefläche für Sneaker finanziert. Auch Eva Collés Andersartigkeit ist Ergebnis einer perfekten Selbst-Kommodifizierung, die sich selbst als Foucaultsches Lebenskunstwerk missversteht.
Wie rebellisch kann es sein, für das Modeunternehmen Vetements über den Laufsteg zu stolzieren? Ist ein T-Shirt für 250 Euro schon ein Protest gegen die Herrschenden, oder beginnt der Widerstand erst beim Wende-Blouson für 450 Euro?
Und draußen tobt das neue Jahr
Vielleicht sollte man diesen Film zornig schmähen, damit wenigstens die Illusion von Widerständigkeit entsteht und er zumindest einen Teil seiner Selbstdarstellung in der Welt gespiegelt findet. Eine Verunglimpfung als Geste des Mitleids: „Searching Eva“ ist langweilig, dumm und banal, eine Sammlung von Klischees, mit stolzer Ideenlosigkeit arrangierte Stockfotografie. Der Film formt keinen Gedanken und vollführt vor den Augen des Publikums selbstzufrieden die eigene Enthirnung. Er wird auch nie ein entgrenztes ästhetisches Erlebnis. Wie ärgerlich abgegriffen können Bilder sein?
Kurz vor dem Ende sitzt Eva in ihrem Zimmer, in ihrer Hand eine langsam abbrennende Wunderkerze. Draußen tobt wohl das neue Jahr mit grellem Feuerwerk heran. Entgegen aller Erwartungen ist das Model nicht in einem Club oder auf einer trendigen Party, sondern einsam und isoliert. Weil sie nicht wie die anderen ist, sondern etwas ganz Besonders. Teil einer eigenen kleinen Welt. Das ist Kitsch, Kitsch und sonst nichts. Eine Coverversion von „I Started A Joke“ erklingt. Vielleicht denkt ein Zuschauer, der hier nicht näher definiert werden soll, weil man ihn nicht so leicht in Schubladen stecken kann, und weil er stolz und eigenständig jenseits aller gesellschaftlichen Kategorien lebt, wenn er diesen Song hört: „Oh if I‘d only seen that the joke was on me.“