Ein Haus am Rand von Berlin, ein grüner Garten drum herum, gemütlich und leicht verwildert. Hier wohnen die Schwestern Heli und Ginnie. Beide sind nie aus diesem Haus herausgekommen. Seit dem Tod der Eltern kümmert sich Heli um die jüngere Ginnie, die jemanden braucht, der auf sie aufpasst. Ginnie ist geistig behindert.
Beide bekommen Besuch von ihren drei Brüdern, die sich schon lange nicht mehr blicken ließen. Es ist ein Abschiedsbesuch, eine letzte Vollversammlung der Familie, denn nach diesem Wochenende kommt Ginnie für den Rest ihres Lebens in die Psychiatrie. „Ins Heim“, wie die Geschwister sagen, die die Dinge nicht gerne beim Namen nennen.
Eine Versuchsanordnung
Abgeschottet in diesem Haus errichtet Regisseur Michael Klier eine Versuchsanordnung, in der die Beziehungen einer Familie wie auch die Abgründe der Gesellschaft zutage treten sollen. Es wird schnell klar, wie Kliers Idee funktioniert: Die Geschwister, insbesondere die Brüder, werden von Ginnie aus der Fassung gebracht, recht bald, nachdem sie eingetroffen sind. Die Pläne, die sie sich für dieses Wochenende vielleicht zurechtgelegt hatten, werden angesichts von Ginnies Unwägbarkeit auf keinen Fall aufgehen. Stattdessen müssen die Brüder zeigen, wie sie mit Konfrontationen umgehen, mit gegensätzlichen Lebensentwürfen und womöglich auch mit Schuldgefühlen gegenüber ihren Schwestern.
Wie viel oder wenig Ginnie von dem versteht, was um sie herum passiert, ist eine ständige Frage. Sie tut jedenfalls nicht das, was andere von ihr wollen, sie glättet den Besuch der Brüder nicht mit Gehorsam oder Höflichkeit. Die Turbulenzen resultieren dabei gar nicht aus Ginnie, sondern eher daraus, dass die Brüder sie als Messlatte für ihr eigenes Handeln nehmen. Ständig wollen sie sich an ihr beweisen; jeder will der bessere, schlauere, verantwortungsbewusstere Ginnie-Versteher sein. Worte wie Zartgefühl oder Vorsicht kennen die Brüder nicht. Denn, das wird auch von Anfang an klar, die anderen sind die eigentlichen Idioten der Familie; der Filmtitel bezieht sich am allerwenigsten auf Ginnie. Man könnte auch drastischere Bezeichnungen für die Brüder finden, so übergriffig, hilflos oder feige benehmen sie sich.
Der Film bleibt Momentaufnahme
Damit ist fast alles gesagt. Der Film bleibt Momentaufnahme, er weist nie über die Situation des Wochenendes hinaus. Es gibt für die Akteure weder eine Analyse noch eine Entwicklung. Der Vater, so viel erfährt man, war Christ, die Mutter promiskuitiv. Viel lieber würde man etwas aus der Kindheit der Geschwister erfahren, die sie zusammen mit Ginnie verbracht haben. Es muss ja einen alltäglichen Umgang mit ihr gegeben haben, eine Vertrautheit und Erfahrungen miteinander. Doch davon ist in den Film nichts zu spüren. Was man sieht, sind drei Idioten, die einen Fremdkörper abtätscheln und anstaunen. Allerdings machen die Schauspieler (Florian Stetter, Kai Scheve, Hanno Koffler) das mit furchterregender, bewundernswerter Perfektion.
Die Männer verkörpern dabei Idiotencharaktere unterschiedlicher Stärke, jeder bedient ein Klischee: der Oberlehrer, der Künstler, der Biedermann. Zwei von ihnen sind Musiker, Saxophon, Jazz; Klarinette, Klassik. Oft genug flammt Streit zwischen ihnen auf, Konkurrenz und Eifersucht, aber untereinander tragen sie nichts aus, geben wenig zu. Ihre Schwester Heli, schön nüchtern gespielt von Jördis Triebel, besitzt deutlich mehr Bodenhaftung. Sie ist diejenige, die am meisten über sich preisgibt; sie ist auch die einzige, der man den Umgang mit Ginnie glaubt. Seit Jahren weiß sie, wie viel Zeit und Arbeit das Leben mit Ginnie kostet. Ihre Brüder wiederum halten Vorträge über Nächstenliebe.
Je abseitiger, desto besser
Ginnie wird von Lilith Stangenberg gespielt, die ein Glücksfall für jeden Film ist, in dem sie mitspielt, und immer noch besser ist, je abseitiger die Figuren sind, die sie einnimmt. Auch wenn man das Interesse an den Brüdern schon weitgehend aufgegeben hat, sieht man Stangenberg noch immer neugierig zu. Ihr misstrauischer Blick, ihre eckigen Gesten werden von Kameramann Patrick Orth nah und lange ins Bild genommen, während Stangenberg ihre Figur in die Mitte setzt zwischen Fluchtimpuls und rigorose Selbstbestimmung. So sind beide, Ginnie und Lilith Stangenberg, das Herz dieses Films, dessen Reiz mehr in seinem Schauspielerensemble als in seiner Story liegt.