Klasse Deutsch
Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 92 Minuten
Regie: Florian Heinzen-Ziob
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Polyphem Filmprod.
- Regie
- Florian Heinzen-Ziob
- Buch
- Florian Heinzen-Ziob
- Kamera
- Enno Endlicher
- Musik
- Vasyl Humnytskyy
- Schnitt
- Florian Heinzen-Ziob
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- 16.05.2019
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
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Heimkino
Dokumentarfilm über eine sogenannte Vorbereitungsklasse an der Kölner Henry-Ford-Realschule, in der eine resolute Pädagogin mit Herz eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von geflüchteten Kindern und Jugendlichen auf das reguläre Schulsystem vorbereitet.
Die Mühen der Ebene! Während in der Öffentlichkeit noch über die sogenannte „Flüchtlingskrise“ lamentiert oder über „sichere“ Herkunftsländer gestritten wird, findet andernorts längst praktizierte Integration statt. Etwa in der Henry-Ford-Realschule in Köln, wo die resolute Pädagogin Ute Vecchio sich den Schülerinnen und Schülern einer Vorbereitungsklasse widmet. Kinder und Jugendliche, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind, werden hier zwei Jahre lang unterrichtet, bevor sie in das deutsche Schulsystem eingegliedert werden.
Der Filmemacher Florian Heinzen-Ziob hat einige von ihnen ein halbes Jahr lang in der Interaktion mit Ute Vecchio beobachtet und das filmische Material dann so klug montiert, dass daraus eine fesselnde, einnehmende und zugleich auch sehr humorvolle Schwarz-Weiß-Dokumentation entstand, die problemlos auf jede kommentierende Kontextualisierung verzichten kann.
Mit allen Wassern gewaschen
Das hat in erster Linie mit den Protagonisten zu tun, die sich für „Klasse Deutsch“ als wahrer Glücksfall erweisen. Beispielsweise die Freunde Kujtim und Schach, die permanent mit sich beschäftigt sind, den Unterricht stören und bei Ermahnungen ultracharmant versuchen, die Lehrerin um den Finger zu wickeln. Was allerdings nur selten funktioniert, weil auch Ute Vecchio mit allen Wassern gewaschen ist und bei aller Empathie für ihre Schützlinge doch mit einer natürlichen Autorität und großer Verbindlichkeit ausgestattet ist.
Allerdings schönt der Film nichts. Der gemeinsame Weg von Schach und Kujtim ist nur von kurzer Dauer, weil Kujtim, der zwar vier Sprachen spricht, aber keine davon schreiben kann, viel länger braucht, bis er begreift, dass es mit Spaß, Stören und Schwänzen nicht so weit her ist. Die aus Albanien stammende Pranvera, die beim Armdrücken auch die Jungs locker besiegt, erlebt, wie ihre beste Freundin abgeschoben wird. Später berichtet die burschikose Jugendliche unter Tränen, dass sie in der Regelschule von ihren Mitschülern gemobbt wird. Doch dann überrascht sie Vecchio mit sehr persönlichen Impressionen von ihrem Leben in Albanien und ihrem Heimweh.
Eine ausgeprägte Leseschwäche
Der auffällig müde Ferdi würde gerne als Automechaniker arbeiten, doch er kann kaum rechnen und hat eine ausgeprägte Leseschwäche, weil seine wechselvolle Biografie den Schulbesuch immer wieder unterbrochen hat. Als Vecchio ihm einmal ein Kapitel aus einem Buch vorliest, scheint er binnen kürzester Zeit einzuschlafen. Ferdi ist für die Pädagogin ein harter Brocken, weil er wütend wird, wenn er merkt, dass er das, was er sich vorgenommen hat, nicht schafft. Trotzdem ist er nicht frei von einer gewissen Selbstüberschätzung.
Es geht in der Vorbereitungsklasse wortwörtlich um das Erlernen elementarer Dinge: Was ist der Unterschied zwischen Finden und Erfinden? Wofür ist nochmal Albert Schweinsteiger bekannt? Gleichzeitig aber geht es auch um Disziplin, um Konzentration und Ausdauer, um das Einhalten von Absprachen. Eigentlich ganz normale Anforderungen an Schüler, die hier aber unter Zeitdruck und erschwerten Bedingungen vermittelt werden. Wenn dann noch ehrgeizige oder auch gänzlich desinteressierte Eltern hinzukommen, müssen die Jugendlichen manchmal sogar in Schutz genommen und aufgebaut werden.
Der Film zeigt eine Kette endloser Überforderungen, die nur dadurch abgemildert werden, dass sich in die Frustrationen auch kleine Erfolge schleichen, wenn eine Schülerin es aus der Vorbereitungsklasse aufs Gymnasium schafft, wenn Schach eine „Drei“ in Deutsch schreibt, ein paar ältere Absolventen in der Klasse vorbeischauen und beim Unterricht helfen, um der Schule etwas zurückzugeben.
Klare inszenatorische Linie
Man schaut dem Film gebannt zu und registriert, wie es dem Regisseur gelingt, die Protagonisten mit all ihren Widersprüchen und Lernprozessen als Persönlichkeiten zu zeichnen, die man schätzen lernt. Mehr noch bewundert man Ute Vecchio für die Energie und Geduld, mit der sie ihr Pensum meistert, obwohl sie auf ihre Schüler individuell eingeht und eine persönliche Beziehung herzustellen versteht. Einmal sieht man sogar, wie sie eigenhändig und allein das Klassenzimmer neu streicht. Über ihren Werdegang und ihr Berufsethos würde man gerne mehr wissen, doch „Klasse Deutsch“ weicht nicht von seiner inszenatorischen Linie der Beschränkung und der Konzentration ab.
Man sieht viel zu selten solche Bilder konkreter Integration, welche die grobgestrickten Parolen einer „Leitkultur“ erst gar nie in den Blick bekommen. Wenn man sich etwas wünschen dürfte, würde man „Klasse Deutsch“ gerne als filmische Langzeitbeobachtung sehen. Mit Erfolgen wäre zu rechnen, auch mit Überraschungen und schmerzlichen Niederlagen. Es wäre höchst aufschlussreich, was in fünf Jahren aus Ferdi, Pranvera, Schach und Kujtim geworden sein wird. Und ob sie dann vielleicht auch an die Henry-Ford-Realschule zurückkehren, um Ute Vecchio ein wenig bei ihrer Arbeit mit neuen Schülerinnen und Schülern zu unterstützen?