Drama | Norwegen/Schweden/Dänemark 2019 | 123 Minuten

Regie: Hans Petter Moland

Ende der 1990er-Jahre zieht sich ein 67-jähriger Witwer in eine Hütte in Ostnorwegen zurück. Während des einsamen Winters erinnert er sich daran, wie er im Jahr 1948 am selben Ort den Sommer mit seinem Vater erlebte. Ein tragischer Unglücksfall und die Nachwirkungen der deutschen Besatzungszeit bewirkten einen Bruch der jugendlichen Unbeschwertheit, der den Mann sein Leben lang begleitete. Elegische Romanverfilmung um unausgesprochene Gefühle, Schuld, Enttäuschung und ein Ringen um Männlichkeitsbilder, die auf der untergründigen Spannung zwischen den Figuren aufbaut. Psychologisch genau zeigt der Film die Folgen einer politischen Kompromisslosigkeit, die auf frappante Weise aufs Private übergreift. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UT OG STJÆLE HESTER
Produktionsland
Norwegen/Schweden/Dänemark
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
4 ½ Fiksjon/Helgeland Film/Zentropa/Zentropa Schweden/Nordisk Film i Väst
Regie
Hans Petter Moland
Buch
Hans Petter Moland
Kamera
Rasmus Videbæk
Musik
Kaspar Kaae
Schnitt
Jens Christian Fodstad · Nicolaj Monberg
Darsteller
Stellan Skarsgård (Trond) · Bjørn Floberg (Lars Haug) · Tobias Santelmann (Tronds Vater) · Jon Ranes (Junger Trond) · Danica Curcic (Jons und Lars' Mutter)
Länge
123 Minuten
Kinostart
21.11.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Al!ve
Verleih Blu-ray
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Elegische norwegische Romanverfilmung um einen alten Mann, der sich in einer einsamen Hütte an einen schicksalshaften Sommer im Jahr 1948 erinnert.

Diskussion

Die stille Schönheit der norwegischen Natur scheint prädestiniert zu sein, von Schriftstellern oder Künstlern in poetische Seelenlandschaften verwandelt zu werden. Auch in dem Roman „Pferde stehlen“ von Per Petterson spielt sie eine zentrale Rolle, um den Lesern das vielschichtige Innenleben des vereinsamten Protagonisten Trond nahezubringen. Die eindringliche Prosa verwandelt Regisseur Hans Petter Moland in der gleichnamigen Adaption in Kameraeinstellungen, deren Sogwirkung sich mit der untergründigen Spannung zwischen den Figuren verbindet. Der Film findet für das Unausgesprochene, das ganze Lebensabschnitte prägt, Szenen und Bilder, die das Nachleben von Schuld und Enttäuschung greifbar werden lassen.

Für den Hauptdarsteller Stellan Skarsgård bildet die Rolle als Trond einen Höhepunkt in seiner Verkörperung älterer, vom Leben gezeichneter Männer, die voller Zweifel auf die eigene Geschichte zurückblicken. Wie im Roman beginnt die Erzählung beim 67-jährigen Trond, der sich mit seiner Hündin Layla auf eine einsame Hütte in Ostnorwegen zurückgezogen hat.

Während sich die Welt aufgeregt auf das Millennium vorbereitet, zieht es ihn immer mehr in die Untiefen der eigenen Vergangenheit. Eigentlich hatte Trond gehofft, in der verschneiten Einöde endlich zu sich selbst zu finden und die verbleibende Zeit für die eigenen Belange zu nutzen. Doch begegnet er an dem abgelegenen Ort einem alten Bekannten wieder, der ihn ins Epizentrum seiner schmerzhaftesten Kindheitserinnerung führt.

Ein unvergesslicher Sommer

Die triste Winterlandschaft der Gegenwart wird immer wieder von leuchtenden Rückblenden ins Jahr 1948 unterbrochen, die Trond immer mehr einholen. Er ist zu dieser Zeit gerade 15 Jahre alt geworden, als sein Vater ihn mit auf eine Sennenhütte an der schwedischen Grenze nimmt, um mit ihm zusammen die Ferien zu verbringen. Zwischen Unsicherheit und pubertärem Übermut genießt er die strahlenden Sommertage in der Abgeschiedenheit einer dörflichen Umgebung.

Während Mutter und Schwester in Oslo zurückbleiben, fühlt sich der Junge privilegiert, die Zeit alleine mit seinem Vater verbringen zu können. Die Bewunderung für ihn kippt allerdings bald in einen männlichen Konkurrenzkampf, in dem sich Trond schmerzlich unterlegen fühlt. „Du bestimmst, wann es wehtut“, lautet ein Kommentar des Vaters, der Trond bis in seinen Lebensabend hinein beschäftigt.

Gemeinsam mit seinem Freund Jon begibt sich Trond auf waghalsige Entdeckungsreisen durch die umliegenden Wälder, in denen sie auf Bäume klettern und ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: dem „Pferde stehlen“. Dabei lassen sich die Jungen von Ästen auf den Rücken der Tiere fallen, die dann im Galopp Reißaus nehmen.

Versäumte Verantwortungen

Doch eines Tages ist Jon wie versteinert und kaum wieder zu erkennen. In seiner Abwesenheit ist es zu Hause zu einem tödlichen Unfall gekommen, bei dem einer seiner Brüder, auf die er hätte aufpassen sollen, ums Leben kam. In die Unbeschwertheit der Jugendlichen brechen damit auch Fragen von Schuld und Verantwortung ein, die in den Geschichten ihrer Eltern einen Widerhall finden. Denn es ist gerade mal drei Jahre her, dass Norwegen die deutsche Besatzung überwunden hat, und das Schweigen der Mitläufer spaltet selbst die Familien untereinander.

Psychologisch genau zeigt „Pferde stehlen“ die Nachkriegsrealität Norwegens, berührt aber auch universellere Themen. Im Zentrum stehen die Folgen von Vaterverlust und damit verbundene Schwierigkeiten, einen Platz im eigenen Leben zu finden. Während Trond in seinem leuchtend roten Pullover den Sommer über damit ringt, ein Mann zu werden und sich von seiner Rolle als Sohn zu lösen, wird ihm dies durch die Lebensentscheidungen seines Vaters verunmöglicht. Dessen Kompromisslosigkeit hat für Trond und seine Familie schließlich tragische Effekte, die sich jedoch von den politischen Umständen nicht trennen lassen.

Abwesende Väter

Am Ende wird Tronds eigene Tochter ihm bei einem unangekündigten Besuch die Anfangspassage seines Lieblingsromans „David Copperfield“ vorlesen und damit deutlich machen, dass sie ihrerseits mit dem Fortgehen ihres Vaters zu kämpfen hatte. Das Zitat von Charles Dickens handelt von der Möglichkeit, im eigenen Leben nicht die Hauptrolle zu spielen und mitansehen zu müssen, wie diese von jemand anderem eingenommen wird, für Trond ist dies eine regelrechte Angstvorstellung geworden. Emblematisch legen sich Dickens’ Zeilen über die vielfältig ineinandergreifenden Figurenkonstellationen, die alle von Versäumnissen und Bedauern handeln. Die uneingelöste Sehnsucht, die sich dadurch transportiert, macht „Pferde stehlen“ zu einem zurückgenommenen Film, dessen elegische Stimmung tief berührt.

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