Near and Elsewhere
Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2019 | 84 Minuten
Regie: Eduard Zorzenoni
Filmdaten
- Originaltitel
- NEAR AND ELSEWHERE
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Mediart01 Films/Simonsays Pic.
- Regie
- Eduard Zorzenoni · Sue-Alice Okukubo
- Buch
- Eduard Zorzenoni · Sue-Alice Okukubo
- Kamera
- Eduard Zorzenoni
- Musik
- Sue-Alice Okukubo
- Schnitt
- Sue-Alice Okukubo
- Länge
- 84 Minuten
- Kinostart
- 21.03.2019
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm | Filmessay
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Dokumentarisches Essay über die Frage, wie man eine bessere Zukunft gestalten will, wenn man nicht mehr an die Kraft utopischer Visionen glaubt. Eine Reihe von Theoretikern entfaltet als lockeres Brainstorming eine Menge Ideen, begleitet von abstrakten (Tanz-)Performances über die Erkundung unbekannter Räume.
Das intellektuelle Gewicht der bornierten Sentenz, „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“, hat Ex-Kanzler Helmut Schmidt Jahrzehnte später selbst als „pampige Antwort auf eine dusselige Frage“ relativiert. Doch genau diese „dusselige Frage“ steht im Zentrum des ambitionierten Essayfilms „Near and Elsewhere“ von Sue-Alice Okukubo und Eduard Zorzenoni.
Im historischen Vergleich hat der wissenschaftlich-technologische Fortschritt der Menschheit eine erstaunliche Vielfalt potentieller Entwicklungsmöglichkeiten an die Hand gegeben. Zugleich aber ist seit einigen Jahrzehnten ein Erlahmen oder gar ein Verschwinden des utopischen Denkens zu beobachten. Das hat damit zu tun, dass nahezu alle Versuche, diese Utopien zu realisieren, katastrophal gescheitert sind; selbst die einzige noch existierende Utopie des grenzenlosen Wachstums bekommt nun die Grenzen aufgezeigt. Mit Blick aufs Blockbuster-Kino fällt allerdings auch mal die These, dass man eher den Weltuntergang als das Ende des Kapitalismus imaginieren könne.
Keine Zukunft ohne neue Ideen
Ausgangspunkt von „Near and Elsewhere“ ist die Frage, wie man eine bessere Zukunft gestalten will, wenn man gar keine Ideen dafür hat. Um dieses komplexes Thema aufzunehmen, haben die Filmemacher sehr unterschiedliche Theoretiker vor die Kamera geholt, unter anderem die italienische Soziologin Elena Esposito, den deutschen Trendforscher Matthias Horx, den Kulturwissenschaftler Joseph Vogl, die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, die österreichische Ärztin Andrea Mayr, den Publizist Evgeny Morozov und die Mars-Forscherin Christiane Heinicke.
In ihren interessanten Statements geht es um Grundsätzliches, etwa um die Kritik des utopischen Denkens, um die Bedingungen der Möglichkeit eines alternativen utopischen Denkens oder um die Utopie als Modell, von der Zukunft zu lernen. Die Spannbreite der Einwürfe reicht dabei von der Ideologiekritik über die Gegenwartsdiagnostik bis hin zu anthropologischen Konstanten. Wo Matthias Horx über den Abschied vom komplexitätsreduzierenden Utopischen sinniert und die Sehnsucht nach einer Wiedervergesellschaftung erahnt, berichtet Mayr von der Dramaturgie eines Marathonlaufs. Alexijewitsch spricht davon, dass die Sowjetunion ein Lager gewesen sei, in dem man immerhin noch von der Freiheit hätte träumen können. Als sich die Lagertore dann öffneten, habe man dem Träumen abgeschworen und sei widerstandslos zum Konsumenten geworden.
Ein locker moderiertes Brainstorming
„Near and Elsewhere“ ist eine Art locker moderiertes Brainstorming, bei dem die Beiträger durchaus widersprüchlich, unscharf oder ins Leere reflektieren dürfen. Anscheinend ist das den Filmemachern aber auf Dauer selbst etwas zu akademisch erschienen, weshalb sie eine zweite Ebene einbezogen haben, in der exemplarisch eine Gruppe von Suchenden und Geflüchteten in einem angedeutet futuristischen Ambiente einige der theoretischen Überlegungen im Stil einer (Tanz-)Performance über die Erkundung (noch) unbekannter Räume in recht abstrakte und mitunter auch beliebige Bilder übersetzen.
Am Ende steht – mit der imposanten Brücke über den Öresund im Hintergrund – die Einsicht, dass die Menschheit seit ein paar hundert Jahren gelernt haben könnte, dass der Wandel in der Moderne die zuverlässigste Konstante gewesen ist und dass es insofern nur konsequent wäre, den Mut aufzubringen, den Aufbruch ins Unbekannte trotz aller Furcht vor dem Anfang zu wagen. Die aktuelle Migrationspolitik indes versucht gerade, diesem Aufbruch mit allen Mitteln den Mut zu nehmen.