Eine Nachrichtensendung über ein Verbrechen in Jerusalem ist das erste, was Saleem (Adeeb Safadi) sieht, als er den Fernseher anschaltet. Doch bevor der Reporter die genauen Details der Gewalttat verkündet, hat der Palästinenser bereits wieder abgeschaltet. Er hat das schon tausendfach, in allen nur möglichen Variationen gehört. Später dröhnt ein weiterer Bericht aus dem Radio seines Lieferwagens, bis ihn Sarah (Sivane Kretchner) bittet, das Radio auszustellen. Auch sie kennt die unzähligen Berichte politisch motivierter Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern. Sie sitzt in Saleems Auto, um dieser Lebensrealität für ein paar Stunden zu entfliehen, indem sie mit dem Mann von der anderen Seite schläft, der tagsüber ihr Café in West-Jerusalem beliefert. Ohne darüber nachzudenken, dass Saleem später zu seiner Frau nach Ost-Jerusalem zurückkehrt und sie selbst zu ihrer Tochter und ihrem Ehemann in West-Jerusalem.
Der Nahost-Konflikt legt sich in „Der Fall Sarah & Saleem“ als permanenter Beklemmungszustand über die wenigen Momente der Leidenschaft, die Sarah und Saleem teilen. Er dröhnt aus Radio oder Fernsehen und sickert als omnipräsentes Spannungspotenzial in jeden nur denkbaren Raum des Privaten.
Die Demarkationslinie des Konflikts teilt das moderne Jerusalem und zieht sich gleichzeitig unsichtbar durch die private Lebensrealität von Israelis und Palästinensern. Saleems Ehefrau Bisan erfährt dies schmerzlich, als ihr Wohnviertel plötzlich mit Postern ihres Mannes plakatiert wird. Saleem ist gerade verhaftet worden. Man wirft ihm vor, eine Israelin für den palästinensischen Geheimdienst „angeworben“ zu haben. Bevor Bisan die Situation einordnen und Saleems Betrug verarbeiten kann, ist dieser bereits zum Märtyrer erklärt worden, dessen Gesicht nun jenseits der Mauer die Straßen ziert.
Zwei Leben, von Grenzen zerschnitten
Das gewaltsame Eindringen der Staatsgewalt in das Privatleben, das Sarah und Saleem nach dem Auffliegen ihrer Affäre erleben, ist ein in der Filmgeschichte so bekanntes Motiv wie das der zwei Lebenswelten, die von Grenzen zerschnitten werden. Regisseur Muayad Alayan inszeniert die Teilung Jerusalems und das politische Minenfeld des Nahostkonflikts jedoch nicht mit Hilfe symbolischer Überformungen, mit denen Konflikte, Teilung und Segregation oft dargestellt werden. „Der Fall Sarah & Saleem“ dekonstruiert nicht vordergründig den Machtapparat und das dazugehörige Weltbild, das die eigene Sicherheit nur mit militärischer und nachrichtendienstlicher Übermacht zu gewährleisten behauptet.
Es sind vielmehr die persönlichen Probleme und existenziellen Ängste der Menschen, anhand derer Alayan die Tragik der Situation zuspitzt: Sarah muss ihre Bedürfnisse hinter der Sicherheit Israels zurückstellen, die ihr Mann als ranghoher Offizier mit zu verantworten hat. Saleem wiederum schafft es nicht, sich die finanzielle Unabhängigkeit von der Familie seiner Frau zu erarbeiten. Ihre Affäre ist eine Flucht vor den familiären und politischen Strukturen, die ihr Leben bestimmen; der Ehebruch ein persönlicher Verrat, den die Staatsbehörden als Landesverrat deklarieren.
Die Verwandtschaft von politischem und privatem Betrug nutzt der Film geschickt aus. Beide Ebenen werden formal nie voneinander getrennt. „Der Fall Sarah und Saleem“ bleibt stets ein geradlinig erzählter Thriller, dessen Hauptfiguren jedoch keine Staatsakteure, sondern einfache, anonyme Menschen sind. Eben diejenigen, die die Konsequenzen politischer Konflikte zu tragen haben.
Alles wird dem politischen Interesse untergeordnet
Das, was Sarah und Saleem nicht wahr haben wollen, ist in dem Jerusalem, das der Film entwirft, ein Dauerzustand: Nicht nur die eigene Volkszugehörigkeit, Religion oder Gesinnung wird dem Narrativ der jeweiligen Konfliktpartei untergeordnet, sondern auch jede Beziehung, jede Affäre, jeder Anruf, jede Geste, jede Autofahrt – alles, was in den friedlicheren Regionen der Welt zur privaten Existenz gehört. Während beide noch versuchen, die Schäden für ihr jeweiliges Familienleben zu begrenzen, haben die Geheimdienste ihre Affäre im Hintergrund längst zur nationalen Sicherheitsfrage erklärt.
Der politische Konfliktzustand erdrückt das Privatleben unter der Last des strategischen Vorsprungs, zermalmt es bei militärischen Operationen oder vereinnahmt es ideologisch und propagandistisch. Inmitten dieser so komplexen wie unerbittlichen Maschinerie der Sicherheitspolitik ringen Sarah und Saleem um Kontrolle. Ein Unterfangen, das im Angesicht der sukzessive mobilisierten Staatsgewalt nur das zurücklässt, was Menschen verspüren, deren Heimat zur Konfliktzone geworden ist: Ohnmacht und Verzweiflung.